Besser als jedes Drehbuch:Das ungeschminkte Leben

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Regisseur Christian Lerch erläutert in den Gröben-Lichtspielen B-12-Doku

Von Stefan Salger, Gröbenzell

Es gibt eine Szene in diesem technisch perfekten Film, da wackelt das Bild ein wenig. Das fällt kaum jemandem auf. Regisseur Christian Lerch erläutert am Sonntag nach der Vorführung von "B 12 - Gestorben wird im nächsten Leben" in den Gröben-Lichtspielen den Grund fürs zitternde Bild: In der Szene wird dem alten Lenz ganz nüchtern vorgehalten, er sei selbst schuld an der Aberkennung der Pflegestufe. Kann man doch nicht bringen, ans klingelnde Telefon zu springen, anstatt vor dem Prüfer der Pflegekasse den Fußlahmen zu markieren! Da konnte sich Kameramann Johannes Kaltenhauser das Lachen nicht mehr verdrücken, die Kamera fing kurz an zu tanzen. Wiederholen lässt sich die Szene nicht. Denn dies ist ein Dokumentarfilm, den das Leben geschrieben hat.

Während das Thermometer draußen Richtung 30-Grad-Marke klettert, sind 51 Zuschauer zur Matinee in dieses wunderbare Kino gekommen, das so gut mit dem Schauplatz der Doku korrespondiert: Ebenso wie die Raststätte an der Bundesstraße 12 bei Hohenlinden haben die Gröben-Lichtspiele Höhen und Tiefen gesehen und sich gegen neue Trends und Moden und den Zeitgeist behaupten müssen. Alle bleiben nach dem Film sitzen und suchen das Gespräch mit dem Regisseur, der ohne Starallüren aus dem Nähkästchen plaudert und sich freut über die durchweg positive Resonanz. Lacher und spontanen Applaus hatte es bereits während der Filmvorführung gegeben.

Christian Lerch hat sich einen Namen als Schauspieler und Co-Autor von "Wer früher stirbt ist länger tot" gemacht. Im Foyer signiert er am Sonntag Postkarten und Plakate. (Foto: Günther Reger)

Der Film dreht sich um die teils skurrilen Persönlichkeiten, die sich auf einer unscheinbaren Raststätte an der B 12 treffen - Mane, der Betreiber, sein alter Vater Lenz, der ebenso wie der Parkplatzeinweiser auf dem Rasthof wohnt, die Stammtischbrüder sowie zufällig vorbeikommende Gäste - mal sind es Lastwagenfahrer, mal die Zeugen Jehovas. Der aus Steinhöring im Landkreis Ebersberg stammende Drehbuchautor, Schauspieler und Regisseur Christian Lerch kannte diesen Rasthof vom Vorbeifahren gut. Drei Jahre lang dreht er dort, mit Unterbrechungen. Er und sein Kameramann gehören fast schon zum vertrauten Inventar. Die Hauptpersonen, Mane und Lenz, offenbaren sich ohne Hemmungen und verschweigen auch ihre biographischen Tiefschläge nicht. Manchmal stockt einem da fast der Atem.

Es ist Tragödie und Komödie gleichermaßen, wie man sie nicht besser hätte inszenieren können. Die Zuschauer sind dabei, als der Lenz jammert und sich zum x-ten Mal wünscht, endlich sterben zu können, als der Sohn und der neue italienische Pächter der Gaststätte ums wirtschaftliche Überleben kämpfen, als die Stammtischbrüder mit einer gehörigen Portion Sarkasmus fachsimpeln über Leben, Liebe, Geld, die richtige Zubereitung eines Saukopfs, wie viel Bier und Zigaretten der Gesundheit noch zuträglich sind oder über die technischen Finessen eines künstlichen Hüftgelenks.

Dieser Heimatfilm schlägt einen in den Bann. Dann etwa, wenn er das Banale und die Tristess durch die Wahl ungewöhnlicher Perspektiven und die ruhige Kameraführung zum Kunstwerk adelt. Dann etwa, wenn mitten aus einem sozialen Mikrokosmos Lebensweisheiten aus der Hüfte geschossen werden. So sagt der mittlerweile 90 Jahre alte Lenz in einer Szene mit weinerlicher Stimme: "Alloa bist wirklich a Depp, aber wenns'd oane host, bist vielleicht aa da Depp". Es sind diese profan anmutenden Szenen wie jene, in denen der Lenz im Auto stoisch mit dem Sicherheitsgurt kämpft. Oder jene, in der sich der Maurer als Metzger outet und die drei neuen Fenster der Gaststätte falsch herum einbaut, so dass sich die nur noch nach unten kippen lassen. Und doch scheint Gott es mit ihm und seinen Spezln zu meinen: nur eine Viertelstunde später spuckt der Spielautomat in der Stube 400 Euro aus.

So ist das Leben. Es fließt vorbei wie die Autos und Lastwagen draußen auf der B12. Die ungeschminkte Wahrheit toppt eben jedes Drehbuch. Nur eines wundert einen da noch: dass das Bild nicht viel öfter wackelt.

"B 12 - Gestorben wird im nächsten Leben" läuft seit 19. Juli in den Kinos, am Mittwoch, 1. August, von 20 Uhr an erneut in den Gröben-Lichtspielen

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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