Ausstellung in Gröbenzell:Kunstvolle Konsuminformation

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Sie sind klein, gezahnt und kleben auf Briefen. Doch Porto ist es nicht. Mit Reklamemarken wird vor allem in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Werbung für alles Mögliche unter die Leute gebracht. Das Heimatmuseum zeigt eine Sammlung, die im Ort aufbewahrt wird

Von Kristina Kobl, Gröbenzell

Werbung ist heute ein großes Geschäft und erreicht alle überall. Doch in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gab es Werbung auch auf Briefen: in Form von kleinen Marken zum Versiegeln der Umschläge. Über 100 Jahre später werden gesammelte Werbemarken im Heimatmuseum Gröbenzell ausgestellt.

Michael Jaumann, der in Gröbenzell eine Holzbildhauerei betreibt, hat sie dorthin gebracht. Die Sammlung hat er von seinem Urgroßvater. Bevor dieser zu Beginn des Ersten Weltkrieges starb, hatte er 6000 Marken gesammelt - nicht jedoch Briefmarken, sondern Reklamemarken: solche für die Rückseite, um den Briefumschlag versiegeln und damit zu zeigen, dass niemand unrechtmäßig den Brief geöffnet hat. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Werbemittel wie Wachs- oder Papiersiegel benutzt. Mit den Briefen wurden sie in die Welt hinaus geschickt, wie subtile Hinweise an Freunde in der Ferne: Schau mal, in München gibt's Paulanerbräu, liebe Grüße nach Berlin, komm doch mal vorbei.

Die kleinen Marken dienten als Werbeträger in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. (Foto: Matthias F. Döring)

Über drei Generationen in der Künstlerfamilie weitergetragen, landete die Sammlung bei Michael Jaumann. Auch er wird sie weitergeben. "In dieser Größenordnung ist das etwas Einmaliges", sagt der Holzbildhauer. Und doch haben von den 6000 Reklamemarken, sorgfältig auf schwarzen Karton geklebt, nur ein Bruchteil in der Ausstellung Platz.

Nicht nur Paulaner erreichte durch die Marken Bekannte in der Ferne, auch Nestlés Kindermehl, Maggis Würze und Fabers Bleistifte wurden als Konsuminformation unter die Leute gebracht. "Das war quasi der Ursprung der Werbung", sagt Museumsleiter Werner Urban, der die Sonderausstellung organisierte. Unternehmen machten damals Werbung auf Briefen - noch bevor sie irgendwo anders Werbung machten. Wer genau am Ende des 19. Jahrhunderts mit den Reklamemarken anfing, sei nicht bekannt, sagt Jaumann. Doch die Firmen hätten schnell erkannt: So lässt sich Werbung machen. Nach und nach produzierten sie die Marken und verteilten sie kostenlos. Es gab auch welche zu kaufen - dann jedoch für einen wohltätigen Zweck. Die Kinder haben damals sogar Sammelalben mit den bunten Marken gefüllt - der Vorreiter der Panini-Alben.

Michael Jaumann (links) und Werner Urban präsentieren im Gröbenzeller Heimat- und Torfmuseum eine einzigartige Sammlung mit Reklamemarken aus der Zeit um die Jahrhundertwende. (Foto: Matthias F. Döring)

Fast alle Werbebilder sind in Farbe gedruckt - auch das sei eine Besonderheit für die damalige Zeit, sagt Jaumann. Ebenso bunt ist die Auswahl im Heimatmuseum: Autos, Verlage, Lebensmittel, Kaufhäuser, Sport, Technik. Der Fokus der Ausstellung liegt auf lokalen Marken: Münchener Brauereien, Juweliere, Restaurants oder Metzger in der Stadt.

Als Bildhauer achtet Jaumann besonders darauf, wie die Marken grafisch gestaltet sind. Privat interessiert er sich sehr für Autos, deshalb liegen ihm die Marken mit Automobil- und Reifenwerbung am meisten am Herzen. "Man erkennt an den Marken auch den Fortschritt. Alle zehn bis 20 Jahre ändert sich etwas, und seien es nur die Schriften oder die Formensprache." Die Logos der Automobile haben sich zwar verändert, doch im Kern bleiben sie ähnlich: "Man wird einen Mercedes-Stern immer erkennen", sagt Jaumann. "Es ist interessant, wie sich die Werbeleute an den Ursprung gehalten haben."

Im Vergleich zur heutigen Werbung sind die Werbebilder von damals schlicht gehalten, fast minimalistisch: Nestle's Kindermehl wird mit einem Bild von einer Mutter und Kind beworben, das Kaufhaus Oberpollinger mit einem Foto des Kaufhauses, Osram mit einer Glühbirne und dem Zusatz "Unzerbrechlich". Damit sei alles gesagt. Und für mehr ist ohnehin kein Platz. Doch vielleicht ist gerade das ein Vorteil: "Es geht nichts über eine klar gezeichnete Grafik", sagt Jaumann. "Die Frage ist doch, ob die vielen Informationen, die man heutzutage durch Werbung bekommt, überhaupt jemand liest."

Marken in Grün und Weiß zum 100. Jubiläum des Oktoberfests 1910. (Foto: Matthias F. Döring)

Die Ausstellung im Heimatmuseum sei besonders für Werbeschaffende interessant, da die Entwicklung der Werbung deutlich wird, sagt Urban. Ihre Hochphase hatten die Marken bis 1914.

Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg war ihre Zeit vorbei. "Wer schreibt heute noch Briefe?", fragt sich der Museumsleiter. Vielleicht geht an den Marken, die man heute nur noch im Museum findet - oder bei Herrn Jaumann auf dem Dachboden - eine besondere Form der analogen Kunst verloren. Die Einladung zu Paulaner nach München wird wohl stattdessen per Social Media versandt. Und die Werbung - die kommt von ganz allein, in allen Medien, auf allen Frequenzen.

In der Sonderausstellung Kleine Marken - Große Marken im Heimat- und Torfmuseum Gröbenzell werden vom 24. November 2019 bis 4. Februar 2020 Reklamebilder aus ganz Deutschland und besonders aus dem Raum München ausgestellt. Das Museum in der Rathausstraße 3 ist immer sonntags von 10 bis 12 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 21.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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