Ausstellung:Im digitalen Dickicht

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Ein Video zeigt, wie die Künstlerin Lene Vollhardt eine weiße Tafel, eine leere Projektionsfläche also, aus allen Perspektiven fotografiert. Daneben liegt eine der Fisch-Skulpturen von Max Fesl. Angelehnt an Plastikschwimmtiere, aber mit unebener, geschwürartiger Oberfläche und verkabelt, wird die Freiheits- und Erholungssymbolik ins Gegenteil verkehrt. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Sechs junge Künstler beschäftigen sich mit der Frage, wie die vorherrschende Aufmerksamkeitsökonomie von Internet und sozialen Medien Privatleben und Arbeitswelt verändern. Die Ergebnisse werden in einer sehenswerten Präsentation im Haus 10 gezeigt

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Künstler, vor allem die jungen, stehen unter einem immensen Druck. Auf der einen Seite ist das, was sie ausdrücken wollen: Gedanken und Gefühle, denen sie eine Form verleihen wollen - und zwar die, die ihnen als die einzig richtige erscheint. Und auf der anderen Seite ist der Markt, der anhand simpler Mechanismen definiert, was gewünscht und dadurch ausgewählt, verkauft und der Öffentlichkeit präsentiert wird. Wer sich beugt, hat bessere Chancen, von seinen Arbeiten leben zu können und vielleicht einen gewissen Einfluss zu haben. "Wir müssen eigentlich zu allem ja sagen. Und wir müssen alles gut finden", fasst es Anders Ehlin zusammen. Er ist einer von sechs jungen Künstlern, die aktuell im Haus 10 unter dem Titel "Und also sprach das Internet: ,Du sollst dir ein Bildnis machen'" ihre Werke präsentieren, darunter mehrere Videos, zahlreiche Skulpturen sowie Installationen und Klangkunst.

Ausgehend von dieser inneren Spannung thematisiert die Ausstellung ein ganzes Knäuel an Phänomenen der modernen Gesellschaft. Gar nicht erst zu versuchen, es zu entwirren und sich mit einzelnen Strängen zu beschäftigen, ist radikal konsequent: Weil eben alles zusammenhängt, muss es auch zusammen ausgesprochen werden. Um das in seiner Komplexität abzubilden und den Besucher dabei nicht zu überfordern, schaffen die Künstler verschiedene Erfahrungsräume und -ebenen, die miteinander korrespondieren - ähnlich wie es das Internet und die sozialen Medien tun, quasi in sich eine Spiegelung des zentralen Themas der Ausstellung: die Orientierungslosigkeit des Individuums in der digitalen, neoliberalen Welt, die Auflösung zwischen Privatem und Beruflichem, zwischen Arbeit und Freizeit.

Über allem schwebt der von Ehlin geschaffene Klangraum. Die Übertragung einer Radiosendung bildet den Grundklang. Immer wieder aber stimmen andere Töne ein. In einer Ecke etwa ein Mediationsmantra. Und dann hat er eine "Confession booth" geschaffen, eine Bekenntnisecke. In einem eigenen Raum hängt dafür ein Mikrofon, die Besucher können hinein gehen und, wenn sie möchten, ihre Meinung äußern, egal zu welchem Thema. Teile davon werden dann live in die im Rest der Ausstellung hörbare Übertragung eingebaut. "Es ist spannend zu sehen, wer sich traut, dabei mitzumachen. Weil man ja weiß, dass es direkt übertragen wird, aber nicht, in welchem Kontext", sagt der in Berlin lebende, gebürtige Schwede Ehlin. Das Werk ist eine Antwort auf die Debatte um "Meinungskorridore", also im Diskurs von der Mehrheit akzeptierte und gewünschte Ansichten. Wer den Korridor verlässt, egal in welche Richtung, der verlässt quasi auch die Gesellschaft. Im engen Raum der Bekenntnisecke wird eines schnell klar: Je enger der Korridor, desto mehr Menschen stehen außerhalb und desto weniger können sie miteinander kommunizieren.

Schon landet man wieder bei den sozialen Netzwerken: Sie sind mittlerweile die Hauptkommunikationskänale geworden und wer dort sich oder seine Arbeit bekannt machen will, muss sich den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie beugen, alles dafür tun, geliked und geteilt zu werden, also möglichst glatt und mainstreamhaft auftreten. Und er muss permanent mit anderen interagieren. Feedback-Loop nennen die Künstler dieses Phänomen, das sie aus ihrer eigenen Arbeit gut kennen. "Ambivalenz, Reflexion und Zweifel, auch Selbstzweifel, sind nicht erwünscht und nicht erlaubt", sagt Veronika Dräxler. Sie ist quasi das Bindeglied der Ausstellung, ist mit den anderen Künstlern befreundet und hat sie im Haus 10 zusammengebracht. Dräxler zeigt unter anderem eine Litfasssäule aus Smartphones und einen Videodialog, den sie mit Max Fesl geführt hat. Während sie in den einmütigen Clips immer in der Natur zu sehen ist, bleibt Fesl, von dem in der Ausstellung einige Skulpturen zu sehen sind, stets in seiner Wohnung. Schon diese unterschiedlichen Räume erzeugen Spannung. Hinter dem Video steht auch die Frage nach Ritualen, deren Entstehung, Sinn und Zweck.

Zwischen die unzähligen visuellen und akustischen Eindrücke schiebt sich in der Ausstellung eine meditative Ebene. Ein von Lene Vollhardt konzipierter "Audioguide" bildet mit beruhigenden Texten einen Kontrast zur Umgebung - und steht dabei in einem dauernden Kampf mit ihr. Denn durch die Kopfhörer dringen permanent die Geräusche von außen.

Und so fragt Fesl mit seinen Skulpturen, vor allem bizarr verfremdeten Fischen, die sich in der Form an Plastikschwimmtieren orientieren, wo, wann und wie Erholung überhaupt noch möglich ist, in einer digitalen Welt, in der die Grenzen zwischen privatem Leben und Beruf mittlerweile so gut wie komplett aufgelöst sind. Die Antwort lautet: eigentlich gar nicht.

Ausstellung "Und also sprach das Internet", Haus 10 Fürstenfeldbruck, Eröffnung am Freitag, 7. September, um 19.30 Uhr mit Musik von "Ooi", danach zu sehen bis zum 23. September.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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