Auftritt in Maisach:"Ich bin nicht kleiner, sondern nur jünger"

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Der Bluesmusiker Chris Jagger spricht im SZ-Interview über das schlechte Wetter in England und seine Vorfreude auf die neue Tour - aber auch über seine Rolle als Bruder von "Rolling Stone" Mick Jagger.

Aline Pronnet

Er ist der jüngere Bruder von Mick Jagger, der es als Sänger der Rolling Stones zu Weltruhm gebracht hat und in dessen Schatten er immer stand. Dabei macht Chris Jagger selbst seit mehr als 40 Jahren Musik und hat dabei seinen ganz eigenen Stil entwickelt. Der bewegt sich zwischen den Stilarten Rock'n'Roll, Zydeco, Country, Cajun und Rhythm'n'Blues. Am heutigen Freitag (20 Uhr) gastiert der mittlerweile 64 Jahre alte Chris Jagger mit seiner Band Atcha im Bürgerzentrum in Gernlinden. Dazu eingeladen hat ihn Hans-Dieter Scherer, der normalerweise die Beer & Guitar-Konzerte im Maisacher Bräustüberl organisiert. Vor seinem Auftritt in der bayerischen Provinz sprach die SZ mit Chris Jagger.

Mister Jagger, Sie haben am Montag Ihre neue Tournee begonnen. Wie lange werden Sie mit Ihrer Band unterwegs sein?

Tut mir leid, ich weiß es gar nicht genau, ich habe im Moment gerade nicht alle Termine im Kopf. Gut, dass ich im Internet nachsehen kann, wo wir hinfahren. Also, wir starteten am Montag, dann spielen wir in der Gegend rund um München. Wie ist denn das Wetter eigentlich bei Ihnen? Hier ist es Mist.

Bei uns scheint gerade die Sonne und es ist angenehm warm.

Dann freue ich mich natürlich noch mehr auf die bevorstehenden Konzert in München. Danach sind wir in Holland, und die Woche drauf komm ich für ein paar Tage wieder nach Ingolstadt. Und danach geht es dann nach Australien.

Aber direkt in München spielen Sie doch gar nicht.

Nein, nicht in München. Eigentlich alles außer München.

Sind größere Städte nicht der richtige Ort für Rock'n'Roll und Blues?

Das Problem in großen Städten wie Berlin, München, London oder Paris ist, dass sie zwar große Bühnen für Shows und Konzerte haben, die alten Clubs, in denen zum Beispiel Jazz und Rock'n'Roll gespielt wurde, so gut wie ausgestorben sind. Ich liebe diese Orte und jetzt sind sie einfach verschwunden.

Was meinen Sie, woran das liegt?

C'est la vie. Ich weiß es nicht. Oft sind die Veranstaltungen in kleineren Städten oder sogar in Dörfern billiger auszurichten. Dafür werden sie von Leuten organisiert, denen es wirklich um die Musik geht. Und die Konzertbesucher kennen sich untereinander, das ist so super. Konzerte sind dann ein gesellschaftliches Ding und nicht nur Kommerz. In München beispielsweise kennen sich die Leute nicht und reden nicht einmal miteinander, außer der eine rempelt den anderen an. Überhaupt hat sich die Szene verändert. Eigentlich will ja jede Band mal in New York spielen. Aber man bekommt ja nur wenig Gage, hat die Anreise zu bezahlen und das Hotel. So was lohnt sich heute erst recht nicht.

Kommen die kleinen Konzerte in den kleineren Städten also besser an ?

Ja, das ist definitiv so. Dadurch, dass sich die Konzertbesucher meistens kennen, ist die Stimmung gleich besser. Wir treffen diese Leute, wir sprechen mit ihnen und manchmal werden wir Freunde. Dann kommt man eben vielleicht auch im nächsten Jahr wieder. Es geht bei kleinen Konzerten nicht um den wirtschaftlichen Wert, sondern um den kulturellen. Es ist doch toll, ich habe inzwischen überall in Deutschland Freunde, kenne das Land recht gut und spreche auch ein bisschen Deutsch. Heute ist mehr kultureller Austausch möglich als noch in den 1990er Jahren, als ich zum ersten Mal in Deutschland aufgetreten bin.

Mal ehrlich, wären Sie verwundert, wenn Sie in einem Interview nicht nach ihrem Bruder gefragt werden würden?

Na klar passiert das oft. Wird aber immer seltener. Was ich aber nicht mag, ist, wenn man mich immer als den kleinen Bruder von Mick Jagger bezeichnet. Ich bin nicht kleiner, sondern nur jünger. Immerhin sind wir beide schon über sechzig. Generell stört es mich aber nicht, nach ihm gefragt zu werden. Manchmal stellen die Leute dumme Fragen und versuchen mich, herabzuwürdigen, indem sie uns uns miteinander vergleichen. Das zeugt meiner Meinung nach von wenig Respekt. Vor kurzem fragte mich einer, ob es mich störe, dass mein Bruder in großen Stadiem spiele und ich nur in kleinen Räumen. Mann, ist so was dämlich. Ich habe ihm dann geantwortet, dass es mir ganz egal ist, wo ich hingehen muss, um gute Musik zu hören.

Sie scheinen ohnehin ein sehr gutes Verhältnis zu ihrem Bruder zu haben. Manchmal kommt es sogar vor, dass Mick ganz spontan mit Ihnen auftritt.

Ja, er mag meine Musik, auch wenn sie anders ist als seine. Auch auf meinem neuen Album, das dieses Jahr rauskommt, singt er bei einigen Stücken mit. Vielleicht hätte ich irgendwas Vernünftigeres wie Bankangestellter werden sollen, dann hätte ich mehr Geld verdient. Aber ich erinnere mich an eine kurze Geschichte, die ich mit acht Jahren über mich geschrieben habe. Ich wollte damals drei Berufe haben: Läufer, weil ich durch meinen Vater sehr an Sport interessiert war. Dann wollte ich Komiker werden, weil ich gerne lustig bin. Und der dritte Wunsch war, Sänger zu werden. Den hatte ich sogar schon vor meinem Bruder. Alle diese Dinge mag ich heute noch gerne. Ich meine, wenn man etwas erreichen will, sollte man nicht damit aufhören, nur weil der Bruder gerade dasselbe durchzieht. Besonders wenn man älter wird, merkt man, dass Zeit etwas sehr Kostbares ist. Man mag sich dann nicht mehr damit herumschlagen, was andere Leute denken oder sagen. Als junger Mensch ist man aber nicht so selbstsicher, und manchmal war es schon hart für mich. Ich weiß, dass ich nie wirklich viel Kohle mit meiner Musik machen werde, aber jetzt kümmert mich das nicht mehr. Ich will einfach Musik machen.

Und den Spaß daran mit ihrem Publikum teilen, oder?

Ja, eben. Wie ich schon sagte, das Tolle an der Musik ist, Menschen zu treffen und Brücken zu bauen. Wenn Leute nach einem Konzert zu mir kommen und sich mit Songs von mir identifizieren, ist das unglaublich. Wissen Sie, ich habe einen Song geschrieben, als mein Vater starb, und dann kam eine Frau zu mir, die ihren Vater auch verloren hatte und sagte, dass sie das Lied sehr gerne mag. Wenn mir auch nur eine Person so etwas sagt, bedeutet das schon ganz viel. Ganz schön finde ich es auch, wenn die Besucher bei unseren Konzerten aufstehen und spontan tanzen. Eine meiner Missionen ist es nämlich, deutsche Männer zum Tanzen zu bewegen. Das ist echt nicht leicht. Mal sehen, ob das bei dieser Tour klappt.

© SZ vom 03.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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