Arbeiten nach der Stechuhr:Zwischen Kontrolle und Vertrauen

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Firmenchefs aus dem Landkreis sind geteilter Meinung über das Urteil des Europäischen Gerichtshofes, der die systematische Erfassung der Arbeitszeit der Mitarbeiter fordert

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Bäckermeister Werner Nau aus Grunertshofen will seine Kunden gerecht behandeln. Um niemandem eine versteckte Preiserhöhung unterzujubeln, werden in seinem Laden Brezen und Semmeln gewogen und nach Gewicht bezahlt. Nach dem gleichen Prinzip verfährt er mit seinen Mitarbeitern. "Alles, was gearbeitet wird, wird bezahlt", sagt er. Das heißt, in seiner Bäckerei werden die Arbeitszeiten systematisch erfasst und dokumentiert. So wie es der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem noch in Landesrecht umzusetzenden Grundsatzurteil den EU-Mitgliedsländern vor kurzem vorgegeben hat.

Obwohl der Richterspruch Firmen einen Mehraufwand aufbürdet, befürwortet Nau, der Obermeister der Bäckerinnung Fürstenfeldbruck, diesen uneingeschränkt. Verbindet er damit doch eine Hoffnung. Müssen Betriebe Arbeitszeiten dokumentieren, wird schwarzen Schafen das Handwerk gelegt. Schwarze Schafe sind für den Bäcker solche Chefs, die Angestellte regelmäßig länger malochen lassen als vereinbart, ihnen aber den zustehenden Lohn vorenthalten. Nau ist sich bewusst, dass eine solche Vorgabe auch Nachteile hat. Trotzdem sollte jedes Unternehmen Arbeitszeiten erfassen. Ist doch so zu gewährleisten, dass jeder den ihm zustehenden Lohn erhält.

Die Gegenposition vertritt Michael N. Rosenheimer, Inhaber des Mammendorfer Instituts für Physik und Medizin (MIPM). Sein Betrieb entwickelt und produziert medizinische Geräte im Kernspinbereich. Rosenheimer sieht sich vom EuGH als "Sklaventreiber" an den Pranger gestellt. Ihn ärgert die Annahme der Richter, Unternehmer seien "gewissenlose Ausbeuter". Was nicht stimme. Der Patriarch ist stolz darauf, Vertrauensarbeitszeit ohne Kontrolle, individuelle Arbeitszeitmodelle sowie Wunscharbeitszeiten zu bieten. Raucherpausen gelten bei ihm als Arbeitszeit.

Die Mitarbeiter im Fürstenfeldbrucker Landratsamt müssen ein- und ausstempeln. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Seine Manager hält Rosenheimer dazu an, daheim Firmenhandy oder Firmenlaptop abzuschalten. Geht eine Mutter wegen ihrer Kinder früher, könne sie sich ja später noch einmal vom Homeoffice aus ins Firmensystem einloggen. "So sind Familie und Beruf zu vereinbaren", beteuert der Mammendorfer. Er unterstellt dem EuGH, der hinter dessen Urteil steckende "Kontrollwahn" schaffe ein neues "Bürokratiemonster". Für den Kritiker ist das Urteil "betriebsfremd, kontraproduktiv, unmenschlich". Sein Fazit: "So möchte ich nicht mein Unternehmen führen müssen".

Michael Steinbauer ist in Maisach als stellvertretender Personalleiter bei Doka, einem Hersteller von Schalungen und Gerüsten, mit den Tücken von Arbeitszeiterfassungsmodellen vertraut. Wie er beteuert, hat Doka die elektronische Arbeitszeiterfassung seit Jahrzehnten eingeführt. Die Firma ist also auf die Umsetzung des Urteils vorbereitet. Auf Baustellen oder im Außendienst, also in Bereichen, in denen es unmöglich ist, die Anwesenheit elektronisch zu erfassen, sieht Steinbauer Probleme mit der Praktikabilität. Für ihn passen Vertrauensarbeitszeit-Modelle, von denen viele Angestellten profitieren, nicht zu einem unflexiblen, starren Zeiterfassungssystem. Hier müsste der Gesetzgeber nachjustieren.

In der klassischen Produktion ist laut Steinbauer die Dokumentation der Arbeitszeiten Standard. Der Maisacher ist Vorsitzender des IHK-Gremiums für den Landkreis Fürstenfeldbruck und verbindet mit der Pflicht, künftig Arbeitszeiten festzuhalten, einen zusätzlichen Aufwand ohne erkennbaren zusätzlichen Nutzen. Daher bedauert es Steinbauer, dass diese Frage nicht im Vorfeld mit Experten geklärt wurde. Und er verweist darauf, dass wegen des Fachkräftemangels, des demografischen Wandels und des Wandels der Unternehmenskultur ein fairer Umgang mit Mitarbeiter geboten sei.

Beim Mammendorfer Institut für Physik und Medizin srtzt man auf Vertrauensarbeitszeit. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Inzwischen führt auch in der Gastronomie kein Weg mehr daran vorbei, die 40-Stunden-Woche konsequent einzuhalten. Davon ist Gerhard Kohlfürst überzeugt, der das städtische Veranstaltungsforum Fürstenfeld bewirtschaftet. Laut dem Wirt sind im Gaststättengewerbe früher normale Arbeitstage mit 12 bis 14 Stunden nicht mehr durchzusetzen. Deshalb ist für ihn die digitale Zeiterfassung Teil der modernen, zeitgemäßen Betriebsführung. Eingeführt hat der Fürstenfeldbrucker dieses System bereits vor zwei Jahren mit dem Mindestlohn. Den damit verbundenen Anstieg der Personalkosten nimmt der Gastronom und Hotelier in Kauf. Beschäftigt er doch 77 Mitarbeiter sowie 30 Aushilfskräfte auf 450-Euro-Basis. Zudem kooperiert er bei Großveranstaltungen mit Personaldienstleistern. Schließlich verbesserte sich im Gegenzug mit einem solchen transparentes Arbeitszeitsystem seine Chance, trotz des Fachkräftemangels qualifiziertes Personal zu bekommen und zu halten.

"Eine Zeiterfassung an sich ist sinnvoll", bestätigt auch der Gröbenzeller Schreinermeister Harald Volkwein. Werde das vernünftig gehandhabt, bringe so etwas Ordnung in jeden Betrieb. Erzieht es doch zu Selbstdisziplin. Der Obermeister der Schreinerinnung dokumentiert die Arbeitszeiten schon lange und verbindet damit nur Vorteile. "Wer seinen Laden im Griff haben will, muss den Aufwand und die Zeiten lückenlos belegen", beteuert Volkwein. Der Schreiner benötigt die Wochen- und Stundenzettel nicht zur Kontrolle seiner Mitarbeiter. Unverzichtbar sind sie ihm für die Abrechnung der Aufträge mit Kunden und für die betriebsinterne Nachkalkulation und Zuordnung der Kosten. So etwas lerne jeder Meister in der Ausbildung, sagt Volkwein.

Das Landratsamt und die Kreisklinik zählen zu den größten Arbeitgebern im Landkreis. Laut einer Pressesprecherin der Kreisbehörde stempeln außer dem Landrat alle Mitarbeiter der Kreisbehörde Arbeitszeiten und Ruhepausen. Wer nicht stempelt, erfasst die Zeiten handschriftlich. Für Heimarbeitsplätze stehen Erfassungsbögen zur Verfügung, die später abgezeichnet werden. Überstunden werden grundsätzlich mit Freizeit ausgeglichen, was viele am Freitagnachmittag tun. Da das alles in Dienstvereinbarungen geregelt ist, sieht die Behördensprecherin keinen Handlungsbedarf infolge des EuGH-Urteils.

Ähnlich äußerst sich der Vorstand der Kreisklinik, Alfons Groitl, der an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr den Klinikbetrieb gewährleisten muss. Laut Groitl werden bis auf die Chefärzte von allen Mitarbeitern, also auch von allen anderen Ärzten, die Arbeitszeiten schon jetzt minutengenau digital erfasst.

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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