Amt greift ein:Vernachlässigt

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Sprachvermögen von Geschwisterpaar nicht altersgerecht

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Bald sind es vier Wochen, dass Jamila, sieben, und ihr zweieinhalb Jahre alter Bruder Max vom Jugendamt wegen Vernachlässigung in einer Pflegefamilie untergebracht worden sind. Den Kindern geht es dort sehr gut, auch wenn sie natürlich ihre Eltern vermissten, erzählt ihr Vormund Tim Rottenfußer. Die Gründe für so eine Inobhutnahme, die die Mitarbeiter des Jugendamtes immer nur als allerletzten Ausweg wählen, wenn sie das Kindeswohl gefährdet sehen, "sind immer ganz unterschiedlich und individuell". Im Fall von Jamila und Max war es vor allem die Tatsache, dass das nunmehr siebenjährige Mädchen nicht die Grundschule besuchte. Vom Adventskalender der Süddeutschen Zeitung wünschen sich die Kinder Spielzeug und eigene Winterbekleidung.

"Es ist aufgefallen, dass das Kind nicht in die Schule gegangen ist", berichtet der Vormund, der in diesem Fall streng genommen ein so genannter Ergänzungspfleger ist. Die Schule meldete die fehlende Erstklässlerin - Jamila war zu Beginn des Schuljahres noch sechs Jahre alt - beim Jugendamt. Dem dort ansässigen BVI-Team (für Beratung, Vermittlung, Intervention) war die Familie bereits von anderen Stellen gemeldet worden, da sie offenbar von Obdachlosigkeit bedroht war. Wobei Rottenfußer unterstreicht, dass eine fehlende Bleibe für das Jugendamt noch kein ausreichender Grund sei, Eltern ihre Kinder wegzunehmen.

Bei Jamilas und Max' Eltern kamen noch weitere Gründe dazu. So ergaben Nachforschungen des BVI-Teams, dass die Familie bereits beim Jugendamt München aktenkundig, dann aber plötzlich für die Behörde nicht mehr greifbar war. Rottenfußer zufolge ist das ein relativ häufiges Verhalten von Personen, die oft Schwierigkeiten mit Behörden und anderen Alltagsanforderungen haben.

Jamila und Max jedenfalls, die in Wirklichkeit anders heißen, wurden nach Einschätzung ihres Vormundes vernachlässigt; dazu wird noch ein psychiatrisches Gutachten erstellt. Rottenfußer vermutet, dass die Kinder noch nie bei einem Arzt waren. Einen Impfpass jedenfalls hat er nicht gefunden. Und ihr Sprachvermögen ist nicht altersgerecht. "Wenn sie Hunger hat, dann sagt sie mjam, mjam", ihr Bruder beherrsche vielleicht zehn Wörter, obwohl er in seinem Alter schon 50 bis 100 kennen müsste. Aber ganz besonders auffällig ist für den Vormund, dass die Geschwister unglaublich wissbegierig sind. Und dass sie in wenigen Tagen - den Abständen zwischen seinen Besuchen bei der Pflegefamilie schon kleine, aber merkliche Fortschritte in ihrer Entwicklung gemacht haben.

© SZ vom 27.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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