Alter Brauch in Bruck:Schlumpf auf großer Fahrt

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In Fürstenfeldbruck tanzen am Tag der heiligen Luzia 200 selbst gebastelte Häuser auf den Wellen der Amper. Mit standfesten Figuren im Vorgarten.

Stefan Salger

Ganz vorsichtig, als könnten Fenster und Türen zu Bruch gehen, stellt Vroni das prächtige Haus auf einen der Tische, die zwischen der Leonhardikirche, der Gaststätte mit dem sehr passenden Namen Venezia sowie der Amperbrücke stehen. Es ist ein großer Tag für die Neunjährige aus der Philipp-Weiß-Schule. Ein großer Tag, an dem es Abschied nehmen heißt.

Ebenso wie an die 200 weitere Kinder aus Fürstenfeldbruck hat die Schülerin der 4a ein Luzienhäuschen gebaut, das in ein paar Minuten der Amper übergeben wird. Und so steht das fast einen halben Meter messende, bunt bemalte Kunstwerk zwischen einem Palast aus 1001 Nacht, einer Burg, einem riesigen blauen Hochhaus, einem Stadel aus Schilfrohr sowie einem Reiterhof, aus dessen Kaminen weiße Watte in den Himmel steigt.

Vroni hat auf einen solchen Kamin verzichtet. Dafür kann man die beiden Türflügel öffnen, um kurz vor dem Ablegen eine Kerze hineinzustellen. Ohnehin wiegt ein älterer Mann beim Anblick des imposanten Reiterhofs bedächtig den Kopf. "Der ist ganz schön schwer, der könnte gleich untergehen", sagt er zu seinem Enkel.

Vronis Kunstwerk ist an vier Tagen in Leichtbauweise entstanden und sieht seetüchtig aus. "Es ist ein Phantasiehaus", sagt sie stolz. Ein paar Anleihen hat sie vom Nachbarhaus genommen. Dort freilich steht kein Regent vor dem Eingang. Bei Vroni schon: Ein Königsschlumpf mit einem Fliegenpilz als Zepter, der nun auf die große Reise gehen darf.

Immer mehr Kinder bringen ihre Häuser - mal tragen sie diese allein, mal braucht es einen Bollerwagen, mal die helfenden Hände von vier Schulkameraden. Über die Dächer der kleinen Stadt hinaus erklingen dann die Weisen des Posaunenchors der Erlöserkirche. Brucks OB Sepp Kellerer und Diakon Peter Artmann erklären den schönen Brauch, mit dem an jedem 13. Dezember der im Jahre 305 verstorbenen heiligen Luzia gedacht wird. In einem Beitrag hat Kreisheimatpfleger Toni Drexler einmal erläutert, dass sich mit dem Luzienhäuserlschwimmen zwei Bräuche überlagern: Der Luzientag war vor der Einführung des gregorianischen Kalenders der Tag der Sonnenwende, später wurde er mit dem Dankopfers für überstandene Hochwasserkatastrophen verknüpft.

Jenseits aller Theorie birgt dieser Abend für Vroni, ihre Mitschüler und die vielen hundert Zaungäste, die sich am Ufer und auf der Amperbrücke drängen, einen großen Zauber. Um kurz vor sieben Uhr ist es soweit: Zwischen Silbersteg und Leonhardikirche haben zahlreiche Helfer der Wasserwacht die bereits illuminierten Häuser aufgebaut. Von einem Boot aus werden sie Zug um Zug auf die pechschwarzen Fluten gesetzt.

Ein Raunen geht durch die Menge, als auf der Amper das erste flackernde Licht auftaucht. Es werden immer mehr. Paläste segeln da vorbei. Ein schwerfälliges Haus wird von einem kleinen Indianertipi überholt. Zwei kleine Häuser geraten nahe dem Ufer in Strudel und treiben kurzzeitig entgegen der Hauptstromrichtung. Etwas bange, aber mit leuchtenden Augen, verfolgen die Kinder, wie ihre Werke auf den Wellen tanzen und wie die flackernden Lichter immer mehr von der Dunkelheit umfangen werden. Wer sein Haus richtig konstruiert hat, die hölzerne Bodenplatte vielleicht sogar mit Korken aufgerüstet hat, der kann sich Hoffnung auf eine weite Reise machen.

Doch Freddy Sedlmair von der Brucker Wasserwacht, ein alter Hase beim Luzienhäuschenschwimmen, weiß, wo Endstation ist. Denn die leuchtenden Häuser aus Papier, Pappe und Holz werden es bestenfalls in der Phantasie bis zum Ozean schaffen. In der Realität werden sie spätestens am Olchinger Wehr stranden. Aber so etwas behält Freddy Sedlmair, der mit seinem Bart aussieht wie ein Seebär, lieber für sich, als die Häuser von den Wellen hineingetragen werden in die stockdunkle Nacht. Es sind Momente der Stille, die nicht nur die Grundschüler in ihren Bann schlagen. Denn viele der Eltern und Großeltern standen einst selbst am Ufer der Amper und sahen ihren eigenen kleinen Häusern nach.

© SZ vom 15.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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