Alkoholmissbrauch:"Es ist ein doch sehr schambesetztes Thema"

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74 Jugendliche werden in der Kreisklinik 2017 wegen einer Alkoholvergiftung behandelt. Caritas-Suchtberaterin Ramona Wybiral erklärt, wie junge Menschen den verantwortungsvollen Umgang mit berauschenden Getränken lernen können und wo der Missbrauch beginnt

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Im Jahr 2017 sind 74 Kinder und Jugendliche mit einer Alkoholvergiftung in die Kreisklinik Fürstenfeldbruck gekommen. Das hat die Krankenkasse DAK-Gesundheit mitgeteilt. Im Vergleich zu 2016 ist demnach de Zahl der Betroffenen um knapp 19 Prozent gesunken. Im Landkreis versuchen das Jugendamt und die Caritas, jungen Menschen den verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol nahezubringen, unter anderem mit dem Projekt Halt - Hart am Limit. Ramona Wybiral, 25, von der Fachambulanz für Suchterkrankungen der Caritas erläutert im Interview, wie das Projekt funktioniert und welche Auswirkungen es hat, dass der Landkreis den Zuschuss gekürzt hat.

SZ: Seit mehr als zehn Jahren gibt es das Halt-Projekt. Wie erfolgreich ist Ihre Arbeit?

Ramona Wybiral: Im Landkreis Fürstenfeldbruck ist das Halt-Projekt aufgeteilt. Für den präventiven Teil ist das Kreisjugendamt zuständig. Die gehen in die Schulen und machen das Halt-Festival. Wir von der Caritas-Suchtberatung sind für den reaktiven Teil zuständig. Wenn jemand mit einer Alkoholvergiftung oder einer Intoxikation mit Drogen ins Krankenhaus eingeliefert wird, dann werden wir aktiviert. Außer dem Halt-Projekt kommen auch viele Jugendliche mit richterlicher Weisung zu uns, zum Beispiel wegen einer Schlägerei am Volksfest. Für uns ist es erfolgreich, weil die Gespräche gut angenommen werden.

Wer kommt ins Krankenhaus?

Das sind ganz überwiegend die Jugendlichen, die gar keine oder wenig Erfahrung haben mit Alkohol. Die kennen ihre Grenzen nicht und trinken ganz viel in kurzer Zeit. Den Betroffenen ist das ganz peinlich. Mit den Eltern ist Alkohol noch kein Thema, weil es häufig das erste Mal passiert, dass die Jugendlichen Alkohol trinken.

Ist das Komasaufen out?

Komasaufen und Flatrate-Partys gibt es heute kaum noch. Es ist nur ein ganz geringer Anteil, der sich regelmäßig bis ins Koma zusäuft. Bei den Jugendlichen kommen inzwischen tatsächlich die meisten wegen Drogen zu uns, meist wegen Cannabis, weil die Polizei geringe Mengen bei ihnen gefunden hat.

Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?

Unser Ziel ist, zum einen die Reflexion des Konsums. Wieso kam es überhaupt zur Einlieferung? Was ist an dem Abend schief gelaufen? Wie kann eine erneute Überdosierung verhindert werden? Zum anderen ist das Ziel ein Gespräch in der Familie in Gang zu bringen. Es ist ganz wichtig, dass das nicht unter den Teppich gekehrt wird. Wir bieten an, mit den Betroffenen und den Eltern jeweils separat zu sprechen und dann noch mal zusammen. Das ist der Idealfall. Manchmal kommt auch nur ein Gespräch zustande.

Sollen die jungen Leute gar keinen Alkohol mehr trinken?

Nein, das wäre sehr unrealistisch und ist auch gar nicht von den betroffenen erwünscht. Da würde man die Betroffenen gar nicht erreichen. Wir versuchen zu klären, wie der Konsum von Alkohol in Zukunft passend gestaltet werden kann. Da geht es darum, Trinkmengen festzulegen, zu überlegen, wann man trinkt: nur, wenn es einem gut geht, und nicht, wenn es einem schlecht geht. Eine Möglichkeit könnte auch sein, im Wechsel ein alkoholisches und ein nicht alkoholisches Getränk zu trinken. Die Jugendlichen sollen ihre Grenzen kennenlernen und lernen, wie sie diese einhalten können.

Könnte das nicht vorher schon im Elternhaus passieren?

Es ist natürlich gut, wenn Eltern mit ihren Kindern über das Thema sprechen und mit ihnen in Kontakt sind. Erziehen ist in diesem Alter kaum noch möglich, daher setzen wir auf Beziehungsarbeit. Ihnen das Gefühl zu geben, dass man sie begleitet, ist besser als Verbote, die oft dazu führen, dass die Jugendlichen heimlich trinken.

Wo liegen die Gefahren des Alkohols?

Ramona Wybiral arbeitet für die Fachambulanz für Suchterkrankungen der Caritas. (Foto: Matthias Döring)

Die psychischen und sozialen Folgen werden oft vernachlässigt. Manche kommen in eine aggressive Stimmung, wenn sie betrunken sind. Außerdem sinkt die Hemmschwelle und dann macht man Dinge, die man normalerweise nicht machen würde. Die Leistungen in der Schule oder in der Ausbildung können sinken, bis hin zum Verlust des Ausbildungsplatzes. Womöglich wenden sich Freunde und Familie ab. Außerdem steigt das Risiko, straffällig zu werden, etwa wenn man in eine Schlägerei gerät oder betrunken Auto fährt.

Wie reagieren Schulen und Arbeitgeber?

Wenn jemand regelmäßig mit einer Fahne in die Schule oder die Arbeit kommt, kann das sehr schnell negative Folgen haben. Es gibt Schulen und Betriebe, die uns kontaktieren. Manche Jugendliche werden von der Ausbildungsstelle geschickt. Das ist viel besser, als ihnen zu kündigen oder wegzuschauen. Die Leute schauen heute bei Alkoholmissbrauch anders hin, aber es ist doch ein sehr schambesetztes Thema.

Wann beginnt Missbrauch?

Das fängt an, wenn ich konsumiere um einen unangenehmen Gefühlszustand zu unterdrücken oder zu vermeiden. Man rutscht in eine Abhängigkeit hinein, wenn es keine sonstigen Bewältigungsstrategien mehr als den Konsum gibt.

Wie erkennt man, dass jemand abhängig von Alkohol oder Drogen ist?

Die Abhängigkeit ist eine Krankheit, für die es sechs klare Kriterien gibt: Man kann nicht mehr entscheiden, ob man konsumieren will oder nicht. Man konsumiert, um den Normalzustand zu erreichen, weil es sich zum Beispiel komisch anfühlt, wenn man nicht getrunken hat. Man hat keine Alternativen zum Konsum. Es gibt schon negative Konsequenzen, und trotzdem ändert man nichts an dem Verhalten. Man braucht immer mehr von der Substanz für die gleiche Wirkung. Und dann gibt es die körperliche Abhängigkeit mit Entzugserscheinungen. Wenn von diesen sechs Kriterien innerhalb von zwölf Monaten mindestens drei zutreffen, dann diagnostiziert der Arzt eine Abhängigkeit. Aber es beginnt schleichend.

Was kann man tun, wenn man merkt, dass man selbst oder jemand anders nicht mehr ohne auskommt?

Man kann sich Unterstützung suchen in der Familie und im Freundeskreis und sich dann auch professionelle Unterstützung holen, zum Beispiel bei uns. Wir klären in mehreren Gesprächen ab, was sinnvoll ist, ob eine ambulante oder eine stationäre Therapie angesagt ist. Oftmals können mehrere Beratungsstunden schon sehr unterstützend wirken. Ist bei sehr jungen Menschen tatsächlich eine Therapie indiziert, kommt es häufig zu stationären Maßnahmen.

Was können Eltern tun?

Das ist eine schwierige Kiste, weil die Jugendlichen ja unabhängig von den Eltern werden wollen, aber doch von ihnen abhängig sind. Da können die Eltern nur noch begleiten, nicht mehr erziehen. Man muss eine stabile Beziehung herstellen, es ist wichtig, dass der Kontakt zum Kind bleibt. Es funktioniert zu schauen, wie können wir uns eine gute Zeit machen, in der nicht die ganze Zeit geschimpft wird. Das hilft schon mal. Was viele Leute nicht wissen: Es gibt auch Beratung für Familien, da können auch die Eltern ohne den Betroffenen hinkommen oder anrufen.

Und dann?

Wenn die Betroffenen Hilfe wollen, sollen Familie und Freunde sie unterstützen, sie aber selber machen lassen. Der Betroffene muss die Unterstützung auch selber wollen. Wir setzen heute nicht mehr auf den Kontaktabbruch, der früher gefordert wurde. Denn das belastet die Eltern hochgradig, dann geht es denen am Ende auch noch schlecht, das funktioniert also nicht.

Der Landkreis hat dem Halt- Projekt den Zuschuss gekürzt, von 36 000 Euro im Jahr 2018 auf nur noch 28 000 Euro für 2019. Wie wirkt sich das aus?

Wir haben das Konzept so umgestellt, dass es keine Wochenendeinsätze mehr gibt. Die haben früher Ehrenamtliche gegen Aufwandsentschädigung gemacht. Jetzt sind halt nur wir Hauptamtlichen von Montag bis Freitag hier. In der Regel passiert aber was am Wochenende und wenn man nicht gleich zur Stelle sind, sinkt die Bereitschaft zum Gespräch, weil das dann schon wieder weit weg ist. Es gäbe Bedarf für einen Hauptamtlichen, der sich nur auf die Suchtprobleme von jungen Leuten konzentriert. So müssen wir halt schauen, wie wir mit dem Geld auskommen.

© SZ vom 28.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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