Abenteuer:Mit dem Boxer über den Pamir Highway

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Auch von vereisten Straßen und viel zu tiefen Flussfurten lässt sich Wolfgang Müller aus Schöngeising nicht bremsen. Zu seinem 60. Geburtstag bringt er das zu Ende, was ihm 37 Jahre zuvor nicht gelungen ist: Auf seiner alten 750er BMW durchquert er Zentralasien

Von Stefan Salger, Schöngeising

Zwei Jahre sind seit der Rückkehr Ajatollah Chomeinis nach Teheran vergangen, als Wolfgang Müller sich an der Grenze zum Iran die Zähne ausbeißt. Der Iran befindet sich noch im Griff der islamischen Revolution. Da kann man die beiden Studenten, die mit ihrem Motorrad einreisen wollen, nicht gebrauchen. 37 Jahre später kann Müller die Grenze mit Hilfe eines Schleppers passieren. Im Frühjahr 2018 bringt er das zu Ende, was ihm 1981 noch verwehrt blieb: Die Motorradrundreise durch Zentralasien. In elf Wochen legt er fast 20 000 Kilometer zurück, von Schöngeising geht es bis Osch in Kirgistan und wieder zurück. Solo, auf der alten Boxer-BMW R75/5, Baujahr 1970, die einiges durchmachen muss, aber sich wacker schlägt. In der Stadtbibliothek hingen Wolfgang Müller jüngst mehr als 150 Zuhörer an den Lippen, als er von dem Sturz im vereisten Tunnel erzählte und von der atemberaubenden Gastfreundschaft der Menschen. Am 25. Januar wird er den Vortrag wiederholen.

Reise über unbekanntes Terrain mit Höhen undTiefen: Wolfgang Müller wird überall sehrgastfreundlichaufgenommen. (Foto: Wolfgang Müller/oh)

Müller sitzt ein paar Tage nach dem Dia-Vortrag im ersten Stock des Rathauses von Fürstenfeldbruck. Am Türschild steht "Soziale Beratung". Kaum ein Besucher dürfte ahnen, dass Müller nicht nur ein Herz für Menschen hat, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Sondern dass er ein Biker ist, der Entbehrungen nicht aus dem Weg geht. Zu Hause in Schöngeising stehen noch eine historische Puch 250, Baujahr 58, ein wunderschöner 850er-Norton Commando-Twin und eine 96er BMW R 80GS basic. Die Enduro mit den Stollenreifen und etwas längeren Federwegen wäre für so eine Reise eigentlich prädestiniert. Aber für Müller kommt nur die alte 750er-BMW in Frage, die 185 000 Kilometer auf dem Tacho hat und eine Mission vollenden muss. Standfeste Technik ohne Elektronikkrimskrams, der man im Pannenfall mit einem Stück Draht, einem Hammer und einem Schraubenzieher beikommen kann, wenn es denn mal nötig ist. Gitter und Metallbügel an die Lampe, die stabileren Ventildeckel des Nachfolgemodells, Alukoffer drauf, Zelt und Schlafsack draufgeschnallt und schon kann es losgehen.

Am Lenker seiner alten 750er BMW muss er aber immerwachsam sein. Denn nicht alle Straßen haben diese Bezeichnung verdient. (Foto: Wolfgang Müller/oh)

Den Weg bereitet hat ihm nicht zuletzt sein 27 Jahre alter Sohn, der die Mutter davon überzeugt hat, dass sie dem Vater diesen großen Wunsch zum 60. Geburtstag nicht abschlagen darf: im zweiten Anlauf doch noch den durch Tadschikistan führenden Pamir Highway zu erreichen - die nach dem Karakorum Highway zweithöchste befestigte Fernstraße der Welt. Auch Kollegin Doreen Höltl und Oberbürgermeister Erich Raff geben grünes Licht für die dreimonatige Auszeit. Und so geht es nach einem Jahr Vorbereitung am 13. April los. Die Zeit drängt, denn Visa und Zollbescheinigungen haben nur eine begrenzte Gültigkeitsdauer und manche Pässe sind nur wenige Monate geöffnet. Duschanbe, die Hauptstadt Tadschikistans, sollte Anfang Juni erreicht werden, da dann erst die Hochstraßen im Pamir befahrbar sind. Von Venedig aus setzt Müller über ins griechische Igoumenitsa. Von dort aus geht es 2000 Kilometer quer durch die Türkei. Irgendwann steht er neben dem Ishak-Pascha-Palast aus dem 17. Jahrhundert, nahe dem Städtchen Dogubeyazit, an der Grenze zum Iran. Dort, wo er 1981 umkehren musste. Diesmal gibt er der BMW die Sporen. Diesmal geht es weiter. Überall trifft Müller auf überwältigende Gastfreundschaft. Es bewährt sich, dass er allein unterwegs ist und zudem mit einem sehr betagten Gefährt. Er ist ein Reisender auf Augenhöhe - manchmal auch darunter: Immer wieder wird der BMW-Oldtimer mit einer Ural verwechselt. Erst der Schriftzug auf dem Motorblock beweist die wahre Herkunft des Boxers.

Wer in ein paar aufgehäuften Steinen kein Warnsignal erkennt, landet schnell in der Unterwelt (Foto: Wolfgang Müller/oh)

Als wahre Schutzengel erweisen sich die Biker vom Motorradclub Baikonur. Die Männer sind gut vernetzt, beherbergen Müller in ihren "Bikehouses" auf der Strecke, helfen bei kleineren Reparaturen und schmuggeln ihn dann sogar in die gesperrte Stadt Baikonur, von der aus eine Woche zuvor der deutsche Astronaut Alexander Gerst ins All gestartet war. Grenzen erweisen sich neben korrupten Polizisten als die eigentliche Herausforderung auf der Reise. Grenzformalitäten in kyrillischer Schrift, arbeitsmüde Beamte, stundenlanges Warten, immer wieder das Gepäck öffnen und von Drogenhunden durchschnüffeln lassen. Stempel in Gebäuden holen, die man erst suchen muss. In anderen Fällen zeigen sich die Vertreter der Staatsmacht von ihrer sympathischen Seite - so wie die beiden türkischen Soldaten im Kurdengebiet südlich des Vansees, die das Gespräch mit diesem originellen Weltenbummler suchen und sich dann mit dem abenteuerlich Gefährt ablichten lassen. In einem vereisten Tunnel im kurdischen Bergland stürzt Müller und prellt sich die Schulter. Aber auch das geht letztlich glimpflich ab - und bringt ihn erneut den Menschen näher: Das gestauchte Lampengehäuse hat einen Kurzschluss und einen Kabelbrand ausgelöst. Lange muss der Schöngeisinger am Straßenrand aber nicht auf Hilfe warten, mit einem Pickup wird er nebst Motorrad in eine Werkstatt transportiert. Dort kann er in aller Ruhe zu Draht, Zange und Schraubenzieher greifen und die Sache in Ordnung bringen. Zwei Tage darf er in eine Lehrerwohnung einziehen und wird bei den Dorfbewohnern "herumgereicht" und bewirtet. Einmal übernachtet er im Iran in den Bergen bei einer Gruppe Hippies. Am Lagerfeuer wird gemeinsam gegessen, geraucht, getrunken, gesungen. "Das war etwas ganz Besonderes", erinnert sich Müller.

Der höchste Busstopp Tadschikistans auf fast 3300 Metern. (Foto: Wolfgang Müller/oh)

Mit zunehmender Reisedauer merkt er, dass er viele Gepäckstücke gar nicht hätte mitnehmen müssen: Zelt und Kocher benötigt er kaum, und Kleidung hat er auch zu viel dabei. Von Isfahan geht es durch die Dasht e-Kavir-Wüste zur Oase Garmeh. Über das Elbrus-Gebirge hinab ins subtropische Klima von Mahmut Abad am Kaspischen Meer. Da es mit dem Visum für Turkmenistan nicht geklappt hat, muss er den Umweg über Aserbeidschan und das Kaspische Meer machen. 26 Stunden dauert die Überfahrt nach Kasachstan. Von dort aus geht es durch Usbekistan nach Tadschikistan. Bei einer Flussdurchfahrt nahe der afghanischen Grenze wird die BMW kurzzeitig zum U-Boot. Der Motor zieht Wasser und geht aus. Zwei Fahrradfahrer, die vorbeikommen, helfen Müller, sein Motorrad aus dem eiskalten Wasser zu ziehen. Sein Instinkt bewahrt ihn vor einem schlimmen Unfall, als er ein paar aufgeschichtete Steine sieht und abbremst. Direkt dahinter klafft ein metertiefer Hohlraum unter der unterspülten Straße. Es bestärkt Müller darin, auf Nachtetappen weitgehend zu verzichten. Es folgen die Länder Kirgistan sowie Kasachstan, Russland und Ukraine sowie die Städte Baikonur, Aral, Wolgograd, Kiew, Budapest und Wien. Am 29. Juni schließlich kehrt Wolfgang Müller wohlbehalten nach Schöngeising zu seiner Familie zurück - und ein paar Tage später in sein Büro im ersten Stock des Rathauses.

Wiederholung des Reiseberichts von Wolfgang Müller : "Mit dem Oldtimermotorrad durch Zentralasien", Freitag, 25. Januar, 19 Uhr, Stadtbücherei Aumühle, Bullachstraße 26. Eintritt frei, Spenden für den Fonds "Bürger in Not" willkommen; vorherige Anmeldung ist erforderlich unter Telefonnummer 08141/36 30 910 oder per E-Mail an die Adresse stadtbibliothek@fuerstenfeldbruck.de.

© SZ vom 31.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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