für Musiker, Schauspieler und Kabarettisten:Der Herr Kleinkunst von Laim

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Vor 30 Jahren haben Hans Falter und sein Team ein abgewirtschaftetes Häuschen in Beschlag genommen, um hier Platz für Kultur zu schaffen. Sie machten das "Interim" zur beachteten Bühne. Jetzt tritt der Chef ab

Von Andrea Schlaier, Laim

Er ist da, die Tür steht sperrangelweit auf. Nur zu, rein mit euch. Der Hausherr versteht dies als Willkommensgeste. Nebenbei kann durch die offene Pforte auch die abgestandene Luft vom Vorabend aus der Bude am Rande des Laimer Angers ziehen, als hier noch Gäste und Künstler beieinander saßen. Ach komm, ein Glas geht noch. Mitten drin Hans Falter. Immer. Mit seinem blank rasierten Haupt ist er ruck zuck ausgemacht. Und einer will unter Garantie was von ihm: Einen Tipp unter Jazzern, Stühle für den Saal, den Plömpel fürs verstopfte Klo. Das geht seit 30 Jahren so. Falter ist der Herr Kleinkunst von Laim.

Ohne ihn gäbe es im 25. Bezirk bis heute keine feste Bühne für Musiker, Schauspieler und Kabarettisten. Mit einem sehr kleinen, maximal engagierten Team hat der gebürtige Mühldorfer die einst provisorische Kirche am Laimer Anger 1989 in Beschlag genommen. Weil Zwischennutzung damals schon eine Option war, nannten sie es "Interim" und machten das unscheinbare Haus an der Agnes-Bernauer-Straße unter seiner ehrenamtlichen Leitung zum einzig kulturellen Treffpunkt der Gegend. "Es ist gut gelaufen", sagt der inzwischen 71-Jährige und streicht sich nickend über den glatten Kopf. In dem Alter, schiebt er nach, ist es Zeit, sich zurückzuziehen. Sein Nachfolger Marcus Janke hat das Erbe bereits angetreten.

Heute gibt Falter noch mal ein letztes offizielles Interview. Er sitzt an einem der dunklen Tischchen vor der Bar, die der Verein im Vorraum des Saales weitgehend aus eigenen Mitteln und eigener Kraft geschaffen hat. An den Wänden hängt abstrakte Kunst. Es ist Nachmittag. Noch immer verabredet Hans Falter sich ungern vor zwölf Uhr mittags. Die Nacht ist oft lang, wenn er hier mit Musikern oder Theaterleuten sitzt, die nach dem Auftritt nicht gleich heim wollen. Für den Betriebswirt Falter gehört dies elementar zum Konzept der Bühne: Hohe Gagen kann der Verein nicht zahlen, dafür bietet er persönliche Betreuung. Es traf sich gut, dass er mit 58 Jahren seinen verantwortlichen Posten in der Krankenhausverwaltung an den Nagel gehängt hat und damit morgens nicht mehr an den Schreibtisch musste. Es gab Wichtigeres für den Frührentner.

Als "Nachhang der 68er", erzählt er, wollten er und die von ihm angeführte Bürgerinitiative in den 1980er Jahren in der kulturellen Diaspora Laim das ehemalige Bäckerei-Wild-Haus ein paar Meter die Agnes-Bernauer-Straße stadteinwärts vor dem Abriss retten. "Soziokulturelle Nutzung", erklärt er und ist selbst amüsiert über die vom einstigen Zeitgeist gern bemühte Vokabel. Es ging im Prinzip um Räume für Mutter-Kind-Gruppen und Kunst. Hat aber nicht geklappt. Stattdessen überließ die Stadt dem Aktivisten und seinen neun Mitstreitern, die mittlerweile den Verein "Bürgertreff Laim" gegründet hatten, den Schlüssel für das schlichte Häuschen ein paar Meter weiter, in dem nurmehr Tischtennis gespielt wurde. Es machte zu der Zeit so viel her wie ein schier weggeblasenes Bushäuschen in der Pampa. Nicht mehr viel zu sehen von seiner Vergangenheit als ehemaliges Wirtschaftsgebäude des Laimer Schlössls, das 1912 nach den Plänen von Theodor Fischer zur evangelischen Interimskirche umgebaut und bis 1956 als solche genutzt worden war.

Nick Woodland von Sahara. (Foto: Florian Peljak)

"Am Anfang hat keiner von der Stadt einen Pfifferling drauf gegeben, dass das klappt." Falter grinst breit. "Wir haben die Wände gespachtelt, gestrichen, ein Haufen Arbeit." Die ersten zwei Jahre gab's überhaupt keinen Zuschuss, "das ging alles von der Privattasche weg", und als dann zufällig mal einer vom Kulturreferat vorbei gestolpert ist - jetzt schüttelt es Falter vor Lachen und sein Kopf leuchtet rot, "dachte der, wir seien längst verschwunden".

Im Gegenteil. Die zehn Hansel vom Verein unter Vorsitz von Falter sind von Anfang an in die Vollen gegangen. Nach dem Eröffnungs-Konzert im Oktober 1989 stemmten sie im ersten Monat berstend vor Euphorie 20 Veranstaltungen. Musik, Tanz, Theater, Ausstellungen. "Die ersten Münchner Rocktage waren nicht in der Olympiahalle, sondern hier." Tagelang war die Hütte voll. Die Prog-Rocker von "Sahara" entdeckten die Adresse für sich, Dozenten vom Salzburger Mozarteum, Kunststudenten schlugen vor dem Haus Skulpturen aus Eisblöcken, Schlagzeuger Charly Antolini geht im Interim seit Jahrzehnten ein und aus. Es ist ein Netzwerk aus Musikern, darunter maßgeblich Mainstream-Jazzer und Kleinkünstler, die mit Falter, der auch das Programm wesentlich gestaltet, in die Jahre gekommen sind. Man hält sich gegenseitig die Treue.

Hans Falter lockte mit Kunst und Gästen ins Interim. (Foto: Robert Haas)

Ewig stand die vermeintliche Zwischennutzung auf wackligen Beinen. Mal drohte der Abriss, mal wollte das Stadtmuseum hier ein Lager einrichten. Die Falter-Truppe ließ sich nicht beirren. Gema-Gebühren abrechnen, Gagen zusammen kratzen, Getränke herkarren und bei jeder Vorstellung zur Stelle sein. Jahrelang bot die kleine ehrenamtliche Zelle Programm - ohne funktionierende Heizung. Im Winter war der Saal praktisch nicht nutzbar, das Dach eh undicht, die Wände feucht. Zum zehnten Geburtstag ließ das Kulturreferat eine umfassende Sanierung springen. An der "neuen" Ölheizung von damals arbeiten sich die Interimler allerdings bis heute ab.

Mit dem Glanz und der seither anhaltenden Unterstützung des Kulturreferates wuchs auch das Selbstbewusstsein. 100 Leute passen maximal in den Saal, wo aufs Jahr verteilt mittlerweile an die 100 Veranstaltungen stattfinden - unterm ganzen Stolz der Gastgeber: Dem Holztonnengewölbe der ehemaligen Kirche mit seiner stadtweit einzigartig trockenen Akustik. Diesen Umstand nutzte Falter für sein letztes Großprojekt: Das jährliche Kammermusik-Festival "Internale". Überzeugt davon, dass jede Bühne in der Stadt als Überlebensstrategie mittlerweile ein Markenzeichen braucht. Zusammen mit Jazzer Stefan Huber entwickelte er ein Konzept. Der Bezirksausschuss finanziert und garantiert damit die Reihe. Es funktioniert.

Genauso wie die Jam-Session, die donnerstags vom Jazzclub München organisiert wird. Der Laden ist immer voll. Tanz-Gruppen, Chöre, Vereine nutzen das Interim regelmäßig. Die sechs Aktiven der insgesamt 23 Bürgertreff-Vereinsmitglieder schieben nach wie vor in jeder freien Minute Dienst; die Bürokratie erledigen sie mittlerweile in einem Raum unterm Dach und nicht mehr im heimischen Wohnzimmer.

"Ich bin sehr zufrieden", sagt Hans Falter und gießt sich am Bistrotisch Bier nach. "Es hat geklappt, in Laim eine Kleinkunstbühne zu etablieren, die von den Stadtteilbewohnern angenommen wird." Weitertragen müssten das Projekt jetzt andere. "Ich hatte in den ganzen Jahren nie den Kopf frei, um wegzufahren, zu reisen." Jetzt sei er ein freier Mensch. "Ich genieße es." Im Interim wird man Hans Falter trotzdem treffen - oft, wenn die Tür aufsteht.

© SZ vom 18.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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