Friedenstreffen der Gemeinschaft Sant' Egidio:Unter Rabbinern und Rebellen

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Die Weltgemeinschaft der Friedenswilligen kommt nach München, um ein Zeichen gegen den Terror zu setzen. Beim Treffen der Gemeinschaft Sant' Egidio treten aber nicht nur prominente Redner auf - die Organisatoren haben auch ein großes Ziel: In München soll ein verlorenes Jahrzehnt enden.

Matthias Drobinski

Sie soll die "Gegenikone" zu den Anschlägen vom 11. September 2001 sein, die Feier am Sonntagnachmittag auf dem Münchner Marstallplatz, zehn Jahre nach dem Morden. So jedenfalls formuliert es Mario Marazziti, der Sprecher der katholischen Gemeinschaft Sant' Egidio. Meditation und Musik soll es geben und wenige Worte, dafür eine Live-Schaltung nach New York zum Ground Zero, wo zwei Überlebende des Infernos dazu aufrufen werden, den Hass zu überwinden.

Seit 1987 treffen sich auf Initiative der Gemeinschaft Sant'egidio einmal im Jahr Gläubige zum gemeinsamen Gebet und zu Gesprächen über Frieden und Toleranz wie hier 2005 in Lyon. Dieses Jahr findet das Friedenstreffen in München statt, es beginnt mit einer Feier am Sonntag. (Foto: AFP)

Bundespräsident Christian Wulff und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) werden schweigend dabei sein - zu reden gibt es später genug. Wulff wird am Abend zum Auftakt des Friedenstreffens sprechen, vor dem Grundsatzreferat des Sant' Egidio-Gründers, des Geschichtsprofessors Andrea Riccardi. Am Montag ist dann Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Gast, am Dienstag kommt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) - die deutsche Polit-Prominenz eilt, als wäre noch Kirchentag oder schon Papstbesuch.

Wirklich spannend ist aber, wer außer den Deutschen noch nach München kommt. Wenn es mit dem Visum klappt, einer aus der libyschen Übergangsregierung zum Beispiel. Es kommt der Sprecher der Al-Azhar-Universität in Kairo und der koptische Patriarch von Alexandrien, ein Theologe vom Hohen Schiitischen Rat im Libanon und ein Gesandter der libyschen islamistischen Muslimbrüder, ein Bischof aus der Volksrepublik China. Es kommen Buddhisten und japanische Shinto-Priester, Minister und Schriftsteller, vier Kardinäle, ein halbes Dutzend Rabbiner, der Präsident des lutherischen Weltbundes.

Es ist die Weltgemeinschaft der Friedenswilligen und derer, von denen die Veranstalter hoffen, dass sie friedenswillig werden. Nicht die Abschlusserklärung am Dienstag wird das wichtigste Ergebnis des Treffens sein, sondern dass sie in München alle miteinander geredet, gestritten, gegessen, gelacht haben, dass der Andere nun ein Gesicht hat, der Jude, Moslem, Christ und Atheist. Das Treffen ist die Botschaft.

Und dieses Treffen wirkt wie die Gegenveranstaltung zur jährlichen Münchner Sicherheitskonferenz: Hier die Protagonisten der Absicherung, des bewaffneten Friedens. Dort das Experiment der Offenheit, der Suche nach einer gemeinsamen Sprache, einer "Grammatik des Friedens", wie Armin Wouters sagte, der Beauftragte des Münchner katholischen Erzbistums.

Die Idee des Friedenstreffens ist 25 Jahre alt. 1986 lud Papst Johannes Paul II. muslimische und jüdische Vertreter zum Friedensgebet nach Assisi ein. Im Vatikan war das höchst umstritten, vor allem Joseph Ratzinger, damals Präfekt der Glaubenskongregation, fürchtete, dass der Wahrheitsanspruch der katholischen Kirche relativiert würde.

In der Basisgemeinde Sant' Egidio im römischen Stadtteil Trastevere aber stieß die Idee auf Begeisterung. Seit der Gründung im Jahr 1968 arbeitete die Gemeinschaft mit Christen aller Konfessionen, mit Juden und Muslimen zusammen. Seit einigen Jahren nutzte der Vatikan die weltweiten Kontakte der Gemeinschaft, um eine verschwiegene Friedensdiplomatie zu betreiben; in den 90er Jahren endete in den Räumen von Sant' Egidio der Bürgerkrieg in Mosambik. Andrea Riccardi überzeugte seine Mitstreiter, dass es viele solcher Friedenstreffen geben sollte. Das erste fand 1987 in Rom statt, im Wendejahr 1989 traf man sich in Warschau, 2003 in Aachen.

Das 25. Treffen in München ist das bislang größte, mit 500 geladenen Gästen, 1300 freiwilligen Helfern und bis zu 10.000 Zuhörern aus aller Welt. Vor einem Vierteljahrhundert kamen nur wenige Muslime und Juden, das Misstrauen war groß, "manche schauten strikt an den Vertretern der anderen Religion vorbei", erzählt Marazziti.

Jetzt kommen Gesprächspartner, die sonst wohl niemand zu einer Veranstaltung nach Europa bekommen würde. Das Ansehen der Gemeinschaft, die nach eigenen Angaben weltweit 60.000 Mitglieder umfasst, ist hoch, auch, weil viele von diesen Mitgliedern unentgeltlich in Afrika, Lateinamerika, dem Nahen Osten als Ärzte, Lehrer, Entwicklungshelfer arbeiten.

In München soll ein verlorenes Jahrzehnt enden, sagt Marazziti, die Dekade des Hasses und der Kriege. Jetzt müsse ein "Jahrzehnt des Dialogs" beginnen. Dialog sei nicht "die Waffe der Naiven", sondern "die einzig mögliche Kraft, um in dieser Zeit die Wurzeln des Zusammenlebens wiederzufinden," gegen die Fundamentalismen in allen Religionen, dieser "Krankheit unserer Zeit".

Damit der Optimismus nicht ganz so groß wird: Die Polizei hat nach dem vereitelten Anschlag in Berlin die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verschärft.

© SZ vom 10.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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