Zum Experten wird man schnell:"Man wächst da rein"

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Viele Neufahrner wollen sich in der Flüchtlingshilfe engagieren

Brigitte Wieners weiß, wie Flüchtlingsarbeit läuft. Sie kümmert sich schon jetzt um die Bewohner mehrerer Unterkünfte in Neufahrn, hilft beim Ausfüllen von Formularen, vereinbart Arzttermine und erklärt die Geheimnisse des MVV-Tarifsystems. Manchmal ohne Erfolg: Bei einer Frau hätten sich schon 380 Euro Strafe wegen Schwarzfahrens angesammelt, erzählt sie. Mit Unterstützung eines Anwalts ist zumindest Ratenzahlung vereinbart.

Barbara Beischler nickt - sie kennt das Thema aus der großen Unterkunft an der Ludwig-Erhard-Straße, in der sie bei der Betreuung der Flüchtlinge hilft. Schnell wird am Dienstagabend im evangelischen Gemeindezentrum deutlich: Flüchtlingshelfer sind notgedrungen Experten in vielen Fragen. Manche Zuhörer blicken etwas verunsichert, doch Sozialreferentin Beate Frommhold-Buhl beruhigt: "Sie dürfen sich davon nicht abschrecken lassen - man wächst da wirklich rein."

110 Frauen, Männer und auch Jugendliche sind gekommen, weil sie helfen wollen, wenn demnächst bis zu 300 Flüchtlinge in eine Traglufthalle am Keltenweg ziehen. Pfarrer Reinhold Henninger, der den bestehenden Kreis mit 40 Helfern leitet, macht deutlich, dass fast jede Fähigkeit von Nutzen ist. Hilfe beim Reparieren von Fahrrädern wird ebenso gebraucht wie Unterstützung in der Kleiderkammer. Besonders wichtig seien Sprachpaten, betont Henninger: Unabhängig vom Deutschunterricht müsste man mit den Flüchtlingen im Alltag - etwa bei einem Rundgang durch den Ort - die Sprache einüben.

Für alle, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, soll es in Zusammenarbeit mit der Asylsozialberatung der Diakonie Freising und der Neufahrner Volkshochschule Einführungsseminare geben - das erste bereits am 9. Januar, wie Integrationsreferentin Ulrike Gietl ankündigt. Am 30. Januar folge ein Seminar für Leute, die Deutschstunden geben wollen. Koordiniert wird die Arbeit auf einer Homepage, die Josef Bornhorst mit dem Webteam des Oskar-Maria-Graf-Gymnasiums erstellt hat (www.fluechtlingshilfe-neufahrn.de).

Auch die Spendenbereitschaft ist groß: Auf einem Konto stehen aktuell 4600 Euro zur Verfügung. Erst vor kurzem hat zum Beispiel der Hort 300 Euro beigesteuert. Das Geld stammt aus dem Verkauf von selbst gebackenem Kuchen. Um Sachspenden kümmert sich Beate Frommhold-Buhl. Gebraucht werden für die neu ankommenden Flüchtlinge vor allem "schmal geschnittene" Winterkleidung, Schuhe und Fahrräder. Und man werde Helfer benötigen, die mit den Menschen von der Traglufthalle am Keltenweg zu dem Kleidungslager gehen, das in einem Gebäude am Lohweg eingerichtet wird.

Pfarrer Henninger appelliert an alle, im Alltag populistischen Äußerungen entgegenzutreten und zu erzählen, "was Sie selbst erleben". Ob es in Neufahrn schon Unterschriftensammlungen gegen Flüchtlingsunterkünfte gegeben habe, wollte ein Zuhörer wissen. Henninger erinnerte an die Initiative gegen Container an einem Standort nördlich der Bahn. Im Fall der Traglufthalle gebe es so etwas bisher nicht. Man dürfe sich aber keine Illusionen machen, so Henninger: Auch in Neufahrn gebe es "natürlich Leute, die das alles völlig unmöglich finden". Er selbst sei am Telefon und im Internet schon wüst beschimpft worden, "auch unter der Gürtellinie". Eben deshalb sei es wichtig, dem immer wieder etwas entgegenzusetzen. Der Vertrag mit dem Landkreis für das Traglufthallen-Grundstück läuft laut Bürgermeister Franz Heilmeier ein Jahr, für ein weiteres Jahr gebe es eine Option.

© SZ vom 19.11.2015 / bg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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