Weihenstephaner Verhaltensforscherin:"Die Tiere leiden stumm"

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Pferdehalter sollten darauf achten, ob ihre Schützlinge Macken entwickeln. Laut Wissenschaftlerin Margit Zeitler-Feicht sind dies Zeichen von Frustration aufgrund nicht erfüllter Bedürfnisse

Interview von Katharina Aurich, Kirchdorf

Die promovierte Agraringenieurin und Verhaltensforscherin Margit Zeitler-Feicht lebt mit ihrem Mann, Hund, zwei Pferden und einer Schildkröte am Ortsrand von Hirschbach, einem kleinen Weiler in der Gemeinde Kirchdorf. Vor 20 Jahren habe sie sich hier am Waldrand mit Blick auf Koppeln und Felder den Traum von einem alten, charmanten Haus in ungestörter Ruhe erfüllt, erzählt die Pferdenärrin. Da sie in zahlreichen Gremien, im Tierschutzbeirat der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, bei der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, im Ethik- und Tierschutzbeirat der Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer Mitglied ist, ist sie viel unterwegs. Die Ruhe zu Hause braucht sie, um abschalten zu können und um zu schreiben. Soeben ist das Standardwerk der Fachbuchautorin, das "Handbuch Pferdeverhalten", im Ulmer-Verlag in dritter Auflage erschienen. Nach den Übersetzungen ins Englische, Französische und Polnische ist jetzt eine rumänische Version in Bearbeitung.

SZ: Warum ist die Verhaltenskunde von Nutztieren inzwischen zu einem Teil der agrarwissenschaftlichen Ausbildung geworden?

Zeitler-Feicht: Es findet ein Umdenken in der Gesellschaft statt und der Tierschutz, der ja als Staatsziel im Grundgesetz verankert ist, gewinnt immer mehr an Bedeutung.

I hr Schwerpunkt sind die Pferde, die Freizeitpartner vieler Menschen. Geht es ihnen denn besser als Kühen oder Schweinen?

Leider nicht. In den meisten Pferdeställen können die Tiere ihr artgemäßes Verhalten nicht ausreichend ausleben, die Tiere leiden stumm oder es kommt zu Verhaltensstörungen. Diese beginnen oftmals als "Macken", denen der Besitzer keine Aufmerksamkeit schenkt, die aber bereits ein Alarmzeichen sind. Zum Beispiel Leerkauen oder Spielen mit der Zunge deuten auf einen Mangel oder auf Frustration aufgrund nicht erfüllter Bedürfnisse hin.

Was braucht ein Pferd, damit es ihm gut geht?

Ein Pferd sollte mindestens zwölf Stunden über den Tag verteilt die Möglichkeit haben zu fressen. Ohne Kauschläge sollte es höchstens vier Stunden am Stück verbringen müssen. Natürlich sollte ein Pferd permanent Zugang zu einer Tränke haben. Die Futteraufnahme dient nicht nur der Ernährung, sondern auch der Beschäftigung. Die Tiere brauchen vor allem Gras und Heu. Pferde sind Gruppentiere, sie benötigen Sozialkontakte, sie möchten sich nicht nur sehen, sondern auch berühren, zum Beispiel, in dem sie sich das Fell gegenseitig beknabbern. Ganz wichtig ist ein Freund in der Herde. Pferde wollen ihre Umgebung beobachten, nur dann fühlen sie sich sicher. Sie sind Bewegungstiere und in der Natur täglich 16 Stunden und länger auf Nahrungssuche unterwegs. Es reicht nicht, ein Pferd in der Box zu halten und es jeden Tag zu reiten, sondern die Tiere brauchen mehrstündigen Auslauf, um zum Beispiel Verspannungen zu lösen oder einfach nur um zu schlendern oder miteinander zu spielen.

Sie haben die "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten" mit verfasst, was beinhalten diese noch?

Sie beinhalten die ganze Palette der Pferdehaltung, beginnend mit den Grundbedürfnissen der Tiere, der Stall-, Weide- und Auslaufgestaltung, Betreuung und Management bis hin zu den Bauausführungen und Maßen. Ein Beispiel: Pferde sollten nicht im Schlamm oder Morast stehen müssen, der dann noch mit Kot vermischt ist. Das ist aber leider häufig der Fall.

Was sind typische Verhaltensstörungen?

Wie auch Schweine beißen und benagen Pferde die Stangen oder Holzabtrennungen ihrer Box, wenn sie zu wenig Beschäftigungsmöglichkeiten haben. Während Pferde aufgrund eines Bedürfnisdefizits, man kann auch sagen aus Frustration, Späne oder ihren eigenen Kot fressen, beknabbern Schweine die Schwänze ihrer Gruppengenossen. Mastbullen, die dicht an dicht in ihren Buchten stehen, beißen in die Schwänze ihres Nachbarn. Eine nicht seltene Störung in der Boxenhaltung von Pferden ist das Weben, bei dem die Tiere ausdauernd mit Vorderbeinen und Kopf hin und her pendeln.

Woran liegt es, dass die allermeisten Pferdeställe nicht die Kriterien für eine artgerechte Haltung erfüllen?

Früher ging man davon aus, dass es einem Pferd gut geht, wenn es gesund ist und eine gute Leistung bringt. Doch heute weiß man, dass die angeborenen Bedürfnisse erfüllt werden müssen. Dieses Wissen muss erst in der Praxis Einzug halten und umgesetzt werden. Nicht selten werden Pferde vermenschlicht, für manche Besitzer ist es der große, starke Freund. Auch kommerzielle Aspekte stehen im Vordergrund und die Bedürfnisse der Tiere kommen zu kurz.

Was haben Sie Pferdestallbesitzern anzubieten, die ihre Haltungsform verbessern möchten?

Wir arbeiten zurzeit an einem Bewertungssystem, das zur Beurteilung der Tiergerechtheit und der Umweltwirkungen von Pferdehaltungen bundesweit flächendeckend eingesetzt werden kann. Wir wollen ein Beratungstool entwickeln, das als Ampelsystem Schwachstellen analysiert, Optimierungen empfiehlt und vor Ort eingesetzt werden kann. Dem Pferdehalter wird auf diese Weise eine Unterstützung angeboten, um ganz gezielt seine Haltung verbessern zu können.

Nimmt die Pferdehaltung hier im Landkreis zu und wächst das Bewusstsein für artgerechte Haltung?

Die Pferdehaltung hat viele Jahre lang geboomt, im Moment scheint sie jedoch eher zu stagnieren. Erfreulicherweise gewinnen moderne Offenlaufställe an Bedeutung. Heute kann man an vielen Hochschulen und Universitäten Pferdewissenschaften studieren. Die Nutztierethologie und die Vorlesungen zur ökologischen Tierhaltung haben unglaublich viel Aufwind bekommen, aber der Weg zu einer artgerechten Pferdehaltung wie auch artgerechten Nutztierhaltung ist noch weit. Doch es geht voran!

© SZ vom 10.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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