Wärmestube für Obdachlose:An der Not nicht vorbei gehen

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Die Wärmestube des Vereins "MenschSein" bietet Obdachlosen an Weihnachten Gesellschaft und ein warmes Essen.

Alexandra Vettori

Weihnachten in der Wärmestube für Obdachlose, das klingt nach Herzschmerz und Verzweiflung. Nein, so schlimm werde es nicht, versichert Gerry. Der 44-jährige Freisinger weiß, wovon er redet, seit über zehn Jahren hilft er hier mit. Viele Menschen hat er kommen und gehen sehen, Geschichten von gescheiterten Lebensentwürfen, Not, Sucht und Einsamkeit gehört. Eigentlich arbeitet Gerry in einem Labor, doch die ehrenamtliche Tätigkeit in der Wärmestube ist ihm wichtig, mindestens zweimal die Woche ist er da. "Man kann an der Not nicht vorbei gehen. Und deshalb halte ich mir die Zeit hierfür frei."

In Freising bietet der Verein "Freisinger Wärmestube.MenschSein" Obdachlosen eine Obhut für Weihnachten. (Archiv)  (Foto: dapd)

Aber es sei schon richtig, vor Weihnachten würden es mehr Leute in der Wärmestube. "Sie suchen keine materiellen Dinge, sie suchen Wärme und Gesellschaft", sagt Gerry. Die Gäste, wie er die Besucher der Stube nennt, liegen ihm am Herzen: "Die Leute sagen ehrlich, was sie meinen, das ist etwas, was ich in anderen Gesellschaftsschichten oft vermisse."

Eng ist es in dem 20-Quadratmeter-Kellerraum, es ist mehr ein Wärmestübchen. An die 20 Männer drängen sich um drei Tische, junge Männer Mitte 20 und alte Männer. Der Älteste ist Heinz, 74. "Ich bin schon so lange hier, wie es die Wärmestube gibt", erzählt er freimütig und grinst ein zahnlückiges Grinsen. Nächstes Jahr feiert die Wärmestube Jubiläum, 25 Jahre gibt es sie dann. Träger ist der Verein "Freisinger Wärmestube.MenschSein", der sich fast nur aus Spenden finanziert.

Die Pallottiner stellen den Raum zur Verfügung, bezahlt werden müsse nur die Nebenkosten. Gerade hat das Marriot-Hotel das Essen geliefert: Ente mit Blaukraut und Knödel. "Das Essen ist super", sagt Heinz. Zweimal die Woche liefert das Hotel, zweimal das Krankenhaus und einmal das Tagungshotel Vivavita. Inge und Sabine, zwei der insgesamt 25 ehrenamtlichen Helfer, haben die Tische liebevoll gedeckt.

Neben jedem Teller liegen Weihnachtsservietten und eine mit Goldsternen bedruckte Plätzchen-Tüte. In einer Ecke hängt ein Tannenzweig mit Kugeln, daneben rote Sterne, im Hintergrund ertönen Weihnachtslieder. Bis zu 30 Leuten täglich kommen vorbei. Von 11 bis 14.30 Uhr hat die Wärmestube geöffnet, nur samstags bleibt sie zu. Das Mittagessen steht zwar im Zentrum, doch erfahren die Gäste hier Hilfe in allen Lebenslagen. Es gibt Duschen, eine Waschmaschine, einen Trockner und auch ein winziges Büro.

Dort kann man Kopien anfertigen, hier stehen die Helfer bei Hartz IV- und sonstigen Anträgen zur Seite. Die Helfer seien zwar alle Laien, sagt Gerry, "aber wir haben viel Betriebserfahrung."

Ständig geht die Kellertür auf, freundliche Mitmenschen bringen Geschenke, Plätzchen, Kuchen. Inge und Sabine macht es sichtlich Spaß, die Weihnachtsengel zu spielen: "Wer möchte diesen Hühnertopf", ruft Inge und hält eine Dose in die Höhe. Das Echo ist verhalten. "Aber da habe ich was Feines", lockt sie und zieht ein paar Schachteln Zigaretten aus einer Tasche. Sofort schießen fünf Finger in die Höhe, alle lachen.

Auch Zahnbürsten, Zahnpasta und Duschgel finden Abnehmer, ein junger Bursche nimmt Letzteres grinsend, "aber nur, weil es nach Orient duftet." Christian ist Ende 30, sein Akzent verrät den Franzosen. Aus der Bretagne stamme er, erzählt er, "die Wärmestube ist multikulturell." Er komme nicht nur wegen des Essens, sondern wegen der Leute. Er ist begeisterter Schachspieler, so wie Fred. Kaum sind die Teller weg, bauen sie das Spiel auf, am Nebentisch formiert sich eine Runde zum Watten. Auch am Heiligen Abend werden sie alle da sein, so wie Gerry.

Dann bringt Brigitte Bach, stellvertretende Vereinsvorsitzende, Gulaschsuppe und es wird wieder voll. Ein Wunsch ist da: Ein größerer Raum für die Wärmestube wäre schön, den sucht man seit Jahren. Abgesehen von der Enge findet Toni, ein streitbarer Mittvierziger, die Gitterstäbe vor den Fenstern schlimm: "Wir sind unten im Leben, gut, aber warum muss ich dann noch jeden Tag in den Keller, damit es mir noch bewusster wird?"

© SZ vom 24.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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