Vortragsreihe "Über die Erinnerung hinaus":Der Bezug fehlt

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Christine Fößmeier beschäftigt sich mit Traumata der Generation der "Kriegsenkel", die Moosburger fühlen sich nicht angesprochen

Von Karlheinz Jessensky, Moosburg

Mit Traumata der Kriegsenkel hat sich ein Vortrag der Moosburger Lokaljournalistin Christine Fößmeier beschäftigt. Er gehört zur Vortragsreihe der Volkshochschule "Über die Erinnerung hinaus" und präsentierte sich als Mischung zwischen Wissenschaftlichkeit und eigener Biografie. Der spezielle Bezug zu Moosburg fehlte. Letztlich ging es um Ängste und Urängste der Menschen.

In Christine Fößmeiers Kindheit und Jugend kam das Thema Zweiter Weltkrieg sprichwörtlich fast jeden Tag auf den Tisch. Sie ist 1966 geboren und gehört damit zur Generation der sogenannten Kriegsenkel, deren Eltern noch als Kinder oder Jugendliche den Weltkrieg mitmachen mussten. In der Schule habe sie keine große Lust gehabt, sich mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Das Thema habe ja schon zu Hause täglich das Familienleben mitbestimmt. Dass vor allem der Vater viel geredet, aber im Grunde wenig gesagt habe, sei ihr erst viel später bewusst geworden.

Die täglichen Weltkriegstories seien für sie zu einem richtigen Trauma geworden, erzählte sie jetzt. So richtig habe sie dies erkannt, als sie sich als Journalistin und Künstlerin vor zwei Jahren mit den Kunstprojekten "1000" und in der Folge mit "150 000" beschäftigt habe. Die beiden Zahlen stehen schlicht für die während des Krieges in Oberreit vor Moosburg verscharrten russischen Kriegsgefangenen des damaligen Stammlagers der Wehrmacht Stalag VII A und die Zahl der dort inhaftierten Kriegsgefangenen aus aller Herren Länder. Jetzt realisierte Fößmeier ihr Trauma. Zumindest bezeichnet die Künstlerin diese Augenöffnung als solches. Über Traumata durch Kriegseinwirkungen gibt es eine Reihe von Schriften, Dokumentationen und Internetforen. Das Gefühl der Heimatlosigkeit, Verlassenheitsängste, Unterdrückung von Gefühlen, Kinderlosigkeit seien nur beispielhaft genannt.

Aber solche seelischen Schäden bei den Enkeln der Kriegsgeneration? Das ist wohl in der Fachliteratur unbestritten, und so erwartete eine erkleckliche Anzahl von Besuchern des Vortrags von Fößmeier in der Volkshochschule, dass nun vor allem Verbindungen aufgezeigt würden, warum auch die Nachkommen von Alt-Moosburgern unter diesen seelischen Folgen leiden würden. Das konnte sich nur auf das einstige Kriegsgefangenenlager beziehen, denn Moosburg ist weitgehend von Kriegseinwirkungen verschont geblieben, maßgeblich wohl durch die Existenz des Stalag VII A, das die Alliierten dran hinderte, die Stadt zu bombardieren.

Und: das Stalag war kein Konzentrationslager, hier wurden nicht reihenweise und systematisch Menschen ermordet - es war "nur" ein Gefangenenlager. Moosburg als Stadt war zwar zweifellos vom Stalag betroffen, und sei es nur durch die Sicherstellung der Versorgung der tausenden Inhaftierten. Deshalb Traumata in der Enkelgeneration? Diese Frage wurde mehrfach von den Zuhörern gestellt und eigentlich durchwegs verneint. Der Vortrag wurde weitgehend zur Diskussionsrunde, in der es über Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg, bis hin zum Gemetzel in Syrien und von Flüchtlingen von dort ging, die wohl zu allererst traumatisiert sind. Und Traumata könnten doch auch andere Gründe als Kriege haben, wurde geäußert, Gewalt in der Familie, Mobbing in der Schule oder am Arbeitsplatz. Und eine Feststellung überwog: Die Menschen, Staaten und Völker haben nichts gelernt aus ihrer traurigen Geschichte, Gewalt und Hass bestimmen immer noch das Miteinander. Die Gedanken über Traumata der Kriegsenkel seien deshalb eher ein "Luxusproblem", hieß es.

© SZ vom 09.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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