Willkommen in Freising:"Mein Leben ist reich geworden"

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Warum kostbare Freizeit opfern und sich um fremde Menschen kümmern, ohne zu wissen, ob man sie überhaupt mögen wird? Freisings Flüchtlingshelfer erzählen, was sie dazu bewegt, was sie dabei so alles erleben und wie sie davon profitieren.

Von Sandra Vettori, Rebecca Seeberg und Gudrun Regelein, Freising

1307 Asylbewerber leben derzeit im Landkreis Freising - und wie überall in Bayern beteiligen sich auch hier zahlreiche Menschen freiwillig an der Hilfe für Flüchtlinge. Die Freisinger SZ hat gefragt, was ihre Motivation ist, was sie erleben und warum sie teilweise so viel Zeit und Energie in die neue, selbst gewählte Aufgabe stecken.

Erledigen, was anfällt

Wer in die Flüchtlingsunterkunft in Dietersheim kommt, wo derzeit 65 Menschen leben, dem fällt die freundliche Atmosphäre auf. Man grüßt, lächelt, und wenn Franz Nadler das Haus betritt, wird er stets freudig begrüßt. "Ich bin nicht der einzige, der hier arbeitet, wir sind ein fester Kreis von zehn Leuten, dazu kommen noch die Deutschlehrer", betont er. Jeder aus dem Helferkreis erledigt, was anfällt, und das ist einiges. "Ich mache praktisch den Fahrradverleih, spreche mit Nachbarn, wenn es Beschwerden über Lärm gibt, und ich reinige mit den Flüchtlingen alle zwei Wochen den Spielplatz, auch wenn sie dort keine Müll mehr hinterlassen, wie es am Anfang war. Ich kümmere mich um Handyfreischaltungen und führe unzählige Telefonate mit Behörden und Organisationen", zählt er das Aufgabenspektrum auf.

Momentan macht ihm die behördlich angeordnete Rückführung eines jungen Mannes aus Afrika zu schaffen, der schon gut deutsch spricht, fleißig und integrationswillig ist, jetzt aber nach dem Dublin-Ankommen nach Ungarn abgeschoben werden soll. Es sind die Menschen, die dem früheren Maschinenbauer am Herzen liegen, "mein Leben ist durch sie reich geworden", sagt Nadler. All ihre Geschichten, die sie mitbrächten, ihre Herzlichkeit und Dankbarkeit. Er selbst habe nie Not und nie einen Krieg erlebt, "das ist eine Gnade. Und da kann man schon mal ein bisschen was zurück geben."

Religiöse Verantwortung

Melih Sirmakesler, 27, Luftsicherheitskontrollkraft: "Ich bewohne seit zwei Monaten ein Apartment, das direkt bei der Moschee liegt. Dort kommt man sehr leicht mit Flüchtlingen in Kontakt, die von der Gemeinde auch sehr unterstützt werden. Ich selber gebe zusammen mit einigen Brüdern Deutschunterricht. Letzte Woche erst haben wir jemandem dabei geholfen eine Arbeitserlaubnis zu bekommen - solche Sachen eben.

Ein Kollege, der arabisch sprechen kann, hat mir erzählt, was manche von den Asylbewerbern auf ihrer Flucht erlebt haben. Das hat mich erschreckt und traurig gemacht. Diese Menschen haben wirklich viel durchgemacht, wurden beleidigt und geschlagen, sogar von Polizisten, obwohl sie eigentlich nur weg wollten. Wenn jemand hilfsbedürftig ist, muss ich da irgendwie helfen. Das kommt unter anderem auch aus meiner religiösen Verantwortung heraus. Denn als Moslem hat man die Pflicht dazu.

Wer sich mit der Geschichte des Propheten Mohammed beschäftigt, der weiß, dass er selber ein Flüchtling war und von Mekka vertrieben wurde. Deshalb kann ich diese Menschen sehr gut verstehen. Man müsste sich mal in deren Lage hineinversetzen. Was würde ich tun in dieser Situation? Ich würde logischerweise auch fliehen! Diese Menschen haben die gleichen Sorgen wie wir. Ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit, gegebenenfalls auch eine Arbeit.

Wir haben plötzlich eine so große Verantwortung, aber da gibt es auch Potenzial. Die Flüchtlinge, die ich kennen gelernt habe, sind für mich talentierte, begabte Menschen, die Deutschland sehr gut brauchen kann.

Nette kleine Momente

Nicole Habermeier, 28, ist Assistentin in der Geschäftsführung in den Isar Sempt Werkstätten in Freising: "Als das Flüchtlingsthema so aktuell wurde, habe ich mir gedacht, ,jetzt musst du was machen'. Ich muss dazu sagen, dass ich immer ungern mit Leuten über die politische Situation diskutiere - ich mache lieber was.

Zusammen mit einer Freundin bin ich also zu der Flüchtlingsunterkunft an der Wippenhauser Straße in Freising marschiert, um Sport anzubieten. Am Anfang hatte ich natürlich echt Respekt dahin zu gehen, weil ich nicht wusste, was mich erwartet. Das war aber sofort weg, als ich mich mit den Bewohnern dort getroffen habe. Diese Menschen sind so offen, freuen sich über alles und sind so dermaßen daran interessiert Deutsch zu lernen. Manchmal erzählen sie dir dann auch die Vokabeln, die sie schon können und fragen, ob sie sie richtig aussprechen. Mittlerweile ist es schon so, dass sie dich mit ,Servus' begrüßen - das ist einfach total nett.

Da gibt es so viele Dinge, die man gar nicht auf einmal nennen kann. Zum Beispiel fragt man sich doch, wie das ist, wenn zwei Mädels dahin kommen. Gerade in der Wippenhauser Straße sind nur Männer. Aber von Anfang an haben die uns respektiert und gehen ganz normal, wie mit einem ihrer Kumpels, mit uns um. Ich muss dazu sagen, dass meine Freundin und ich starke Persönlichkeiten sind. Als Mäuschen könnte man sich unter den vielen Männern nicht durchsetzten.

Wir haben uns mal darüber unterhalten, was für Rechte Frauen in den unterschiedlichen Kulturkreisen haben. Ich habe zu einem gesagt, dass die Frauen bei uns auf die Straße gegangen sind und dafür gekämpft haben. Und dann sagt er zu mir, "ja, aber ihr kämpft mit Worten, bei uns kämpft man mit Waffen". Dass er das so toll findet an Deutschland. Dann merkst du einfach mal, was du da überhaupt sagst - Kämpfen. Für die ist das ein ganz anderer Begriff als für uns.

Das sind so kleine nette Momente, die im Dialog aufkommen - das war auf dem Weg, als wir zum Basketball gegangen sind. Das bleibt auch, obwohl das Gespräch schon drei Monate her ist."

Mindestens acht Stunden

Menschen in Not hat Reinhard Kastorff aus Moosburg schon immer geholfen. Früher kümmerten er und seine Frau Marianne sich um gesellschaftlich Gestrandete, dann um Russlanddeutsche, seit vier Jahren sind es nun Asylbewerber. Das Ehepaar trat im Winter 2011 als erste ehrenamtliche Helfer im Landkreis auf, als eine Flüchtlingsunterkunft in Wang eröffnet wurde.

"Wir haben alles besorgt, vom Gebetsteppich bis zur Nachttischlampe, bei der Renovierung des Hauses geholfen, damals gab es ja noch nichts", sagt Kastorff. Mindestens acht Stunden am Tag seien er und seine Frau mit der Flüchtlingshilfe beschäftigt, weite Teile dieser Zeit sitzen sie am Telefon: "Wir suchen Wohnungen und Jobs, halten Kontakt mit Vermietern und Arbeitgebern, denn Jobs und Wohnungen gibt es meistens nur, wenn die einen zuverlässigen deutschen Ansprechpartner haben, den sie erreichen können", weiß Kastorff aus Erfahrung.

Er und seine Frau sind außerdem Vormund eines minderjährigen Flüchtlings, gerichtlich bestellte Betreuer eines 27-Jährigen und betreuen dazu noch 36 Personen, vom Beantragen eines Telefonanschlusses bis zur Klage vor dem Verwaltungsgericht. In den vergangenen Monaten kam noch die Öffentlichkeitsarbeit dazu, Kastorff hält zahlreiche Vorträge, sein Anliegen: "Mir geht es darum, unsere Bevölkerung fit zu machen für die Integration der Flüchtlinge." Warum er das macht? Kastorff sagt lachend: "Weil ich einen Vogel habe."

Positiv überrascht

Marie Stückhardt, 19, Studentin: "Durch meine Arbeit in einem Flüchtlingscamp in München habe ich plötzlich einen ganz anderen Bezug zu dem Thema bekommen, als allein durch Nachrichten lesen. Ich habe mich hauptsächlich mit Kindern beschäftigt und hatte im Vorhinein Bedenken, wie ich mit denen umgehen sollte, die eine traumatisierende Vergangenheit hinter sich haben.

Aber eigentlich war ich positiv überrascht, als ich dort angekommen bin. Im Camp herrschte immer eine gemeinschaftliche Atmosphäre, man wurde von allen gegrüßt und die meisten waren gut drauf. Den Kindern hat man überhaupt nicht angemerkt, dass sie traurige Geschichten haben, sondern das waren einfach Kinder, die fröhlich gespielt haben und dort glücklich waren. Man hat natürlich gemerkt, dass ihr Deutsch schlechter war.

Ein Kind in meiner Gruppe konnte überhaupt kein Deutsch. Sie hat sich das dann einfach von den anderen Kindern abgeschaut. Wenn wir zusammen schaukeln waren und alle "schneller, höher" gerufen haben, dann hat sie das eben auch gemacht. Es war schön mitzuerleben, wie schnell sie Fortschritte gemacht hat. Am meisten geredet habe ich mit den zwei Grundschülern Sarah und Akin, die beide aus dem Irak kommen.

Akin konnte von Anfang an gut Deutsch und hat auch ein bisschen mehr über ihre Geschichte erzählt. Sie ist mit ihren beiden Eltern und zwei Geschwistern nach Deutschland gekommen und hat uns auch von einer dritten Schwester erzählt, die im Irak erschossen wurde. Zum Glück hat sie kaum Erinnerungen dran, geht hier in die reguläre Grundschule und ist ein ganz normales, fröhliches Mädchen.

Manchmal aufreibend

Seit etwa einem Jahr engagiert sich die Marzlingerin Regina Höfl in der Flüchtlingshilfe, damals hatte die Rentnerin nach einer neuen Aufgabe für sich gesucht. Zwei bis dreimal in der Woche besuchte sie eine bulgarische Familie, unterrichtete die zwei Kinder in Deutsch. "Zu Beginn war es nicht so einfach. Ich wusste ja gar nicht, wo ich anfangen sollte, bekam keine Bücher, musste alles selber besorgen", erinnert sich Regina Höfl. Mittlerweile ist sie auch im Verein Hilfe von Mensch zu Mensch aktiv, dort bringt sie an zwei Nachmittagen in der Woche Kindern schreiben und lesen bei.

Ihr Unterricht solle lustig sein, sagt Regina Höfl. "Mir macht das unheimlich Spaß. Ich beschäftige mich gerne mit Kindern." Sie freue sich jedesmal, wenn sie hingehe und "die Kinder freuen sich auch, wenn sie mich sehen". Sie arbeite nicht nur mit Verstand, sondern auch mit Gefühl - Distanz zu halten falle ihr nicht leicht, sagt sie. Deshalb tue ihr die albanische Familie, die sie momentan betreut, "wahnsinnig leid, weil ich weiß, dass sie nicht bleiben kann." Manchmal sei das Ehrenamt auch aufreibend, meint sie, aber sie werde auf jeden Fall weitermachen.

Erst vor kurzem habe sie gemeinsam mit einer anderen Marzlinger Bürgerin in ihrer Gemeinde den Helferkreis Asyl gegründet: Auch dort treffen in wenigen Tagen die ersten Flüchtlinge ein.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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