Naturschutz:Inventur im Wald

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Derzeit werden wieder die Vegetationsgutachten erstellt, sie dienen als Grundlage bei der Aufstellung der Abschusspläne. (Foto: Johannes Simon)

Derzeit werden wieder die Vegetationsgutachten erstellt, sie dienen als Grundlage bei der Aufstellung der Abschusspläne. Beim gemeinsamen Gang durch den Wald wird deutlich, wie gegensätzlich die Positionen von Jägern und Waldbesitzern aber noch immer sind.

Von Gudrun Regelein, Nandlstadt

"Fichte, Stufe 1, nicht verbissen", sagt Michael Matuschek in die Runde. Der staatliche Förster vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ebersberg-Erding ist an diesem sonnigen Märztag mit Meterstab, Markierungsstange und Wäscheklammern gemeinsam mit Forstkollegen, Jagdvorstand, Waldbesitzern und einem Jäger unterwegs, um den Zustand eines Waldes nahe Nandlstadt zu dokumentieren.

Die von Matuschek begutachtete Fichte ist in Stufe 1 kleiner als 50 Zentimeter, sie wurde nicht von Schalenwild - also von Rehen oder Hirschen - verbissen oder verfegt. Fegeschäden entstehen, wenn Rehböcke den Bast von ihrem Geweih an den Bäumchen abreiben.

Die Mini-Fichte wird an diesem Tag in der Hegegemeinschaft Attenkirchen nicht das einzige begutachtete Objekt bleiben. Pro Hegegemeinschaft werden bei den Inventurterminen für das neue "Forstliche Gutachten zur Situation der Waldverjüngung", kurz Vegetationsgutachten, zwischen 30 und 40 Verjüngungsflächen begutachtet.

Dazu werden entlang einer Geraden an fünf Stichprobepunkten, die mit der Stange markiert werden, 15 Bäumchen untersucht, die größer als 20 Zentimeter und maximal 1,30 Meter groß sind. Auch die nächstgelegen fünf jungen Bäume, die kleiner als 20 Zentimeter sind, werden mit aufgenommen. Bei 30 Verjüngungsflächen werden also mindestens 2250, bei 40 sogar mindestens 3000 Bäumchen begutachtet.

Wäscheklammer und Laptop gehören zur Erstellung des Vegetationsgutachtens dazu. (Foto: Johannes Simon)
Förster Michael Matuschek gibt die Untersuchungsergebnisse noch im Wald in seinen Minicomputer ein. (Foto: Johannes Simon/Johannes Simon)
Für das Vegetationsgutachten werden Bäumchen auf Verbissschäden hin untersucht. (Foto: Johannes Simon)

Die von Matuschek mitgebrachten Wäscheklammern werden dazu von der Gruppe an die jeweils 15 Bäumchen, die am nächsten zur Markierungsstange stehen, geheftet. Es sind lauter kleine Fichten, die dann gemessen und vom Förster auf Verbiss oder Fegeschäden hin untersucht werden. Die Ergebnisse werden von ihm sofort in ein Tough-Book, einem extra robusten Minicomputer für draußen, aufgenommen. So werden derzeit in allen der etwa 750 Hegegemeinschaften in Bayern - im Landkreis sind es acht - Daten für das Vegetationsgutachten gesammelt, das im Freistaat seit 1986 alle drei Jahre erstellt wird.

"Ziel des Gutachtens ist, zu kontrollieren, wie sehr Rehe und Hirsche junge Triebe und Knospen anknabbern. So erfahren wir, wie der Zustand der Wälder ist und ob sie sich verjüngen können", erklärt Matuschek. Aus den erhobenen Daten werden dann die Vegetationsgutachten erstellt. Diese zeigen, wo Wald und Wild noch im Einklang sind - beziehungsweise wo Handlungsbedarf besteht. Vier Stufen gibt es: günstig, tragbar, zu hoch oder deutlich zu hoch. Auf Grundlage dieser Gutachten werden schließlich von den Unteren Jagdbehörden die Abschusspläne für die kommenden vier Jagdjahre erstellt.

Mischwald ist der Wald der Zukunft

"Es soll ein Gleichgewicht bewahrt werden. Die Bäumchen sollen ja zum Wald der Zukunft heranwachsen können", sagt Matuschek. Den Landkreis Freising beispielsweise prägten noch immer Fichten-Monokulturen, diese aber würden bereits 2100 - bedingt durch den Klimawandel - hier keinen geeigneten Lebensraum mehr finden. Der Wald sei schon jetzt wegen des Borkenkäfers und der Sturmschäden in Auflösung, sagt Matuschek. "Wir haben nicht mehr ewig Zeit." Der Umbau sei aber schon in vollem Gange: Ziel sei ein Mischwald mit Buchen, Eichen, Bergahorn und Tannen.

Noch immer - wie hier im Wald bei Aiglsdorf - ist die Fichte im Landkreis Freising die dominante Baumart. (Foto: Johannes Simon)

Nach dem zweiten Kontrollpunkt zieht Matuschek eine erste Bilanz: Einen großen Verbiss oder Fegeschäden habe man bislang zwar nicht gefunden. Aber die vielen verbuschten Fichten im Wald seien ein Indiz dafür, dass der Leittrieb abgebissen wurde. Der Baum bilde dann viele Nebentriebe und wachse nicht - wie eigentlich gewünscht - in die Höhe. Das sei aber vielleicht nur an dieser Stelle so - und genau deshalb betrachte man auch nicht nur einen Punkt, sondern viele. "Wir suchen nicht nach der besten oder der am stärksten verbissenen Fläche, sondern wollen ein Gesamtbild. Mit vielen Punkten bekommen wir in der Summe ein realistisches Bild." Das sei zwar zeitaufwendig, aber das Ergebnis dann belastbar. Sein derzeitiger Eindruck vom Wald bei Aiglsdorf: "Kein optimaler Zustand."

"Die Inventur schafft schon Klarheit", sagt der Vorsitzende der Jagdgenossenschaft Figlsdorf, Johann Pichlmaier, diplomatisch. Die Umsetzung sieht er dann aber kritisch: Die Population sei noch immer zu hoch, die Abschussquote müsse sukzessive angepasst werden. Um den Wald ins Wachsen zu bekommen, seien aber nicht nur die Jäger, sondern auch die Besitzer gefordert, "die müssen ihn in Schuss und gesund halten", sagt er. Das bedeute beispielsweise, dass der Borkenkäfer konsequent bekämpft werden müsste oder Holz nicht lange im Wald liegengelassen werden dürfte. "Nur den Jägern die Verantwortung zu geben, ist falsch."

Waldbesitzer und Jäger müssen gemeinsam Lösungen finden, sagt Förster Michael Matuschek (rechts). (Foto: Johannes Simon)
Die Abschussquote ist zu hoch, beklagt der Jäger Frank Nusser. (Foto: Johannes Simon)

Früher habe es zehnmal so viele Rehe wie heute gegeben, und der Wald sei dennoch mega gewachsen, sagt Frank Nusser, der Jagdpächter in der Runde. "Der ist zwar arg verbissen, aber er steht. Das Reh wird heute eben als Schädling verteufelt." Früher habe man halt dort geschossen, wo gerade ein großer Schaden verursacht oder neu aufgeforstet wurde. Der Aufwand für die Vegetationsgutachten sei gigantisch und koste enorm viel Geld. "Und dann liegt der Abschuss noch in einer Höhe, die nicht mehr erfüllt werden kann", kritisiert Nusser. Früher seien es in seiner Jagdpacht 42 Rehe gewesen, inzwischen sind es 66. "Das ist weder sinnvoll noch notwendig."

Das sieht ein Teilnehmer des Inventurgangs, ein Waldbesitzer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ganz anders: "Vom Verbiss her sind wir hier in einem sehr extremen Bereich", sagt er. Die Abschussquote sei deutlich zu niedrig. "Wie soll das so mit der Verjüngung gehen?", fragt er. Ohne Zutun werde es nicht funktionieren - sprich die Neupflanzungen in seinem Wald müssten umzäunt werden. Das aber bedeute nicht nur immense Kosten, denn ein Meter Zaun koste etwa zehn Euro, sondern auch sehr viel Arbeit.

Ein Zaun werde die Probleme sicher nicht lösen, sagt dagegen Förster Matuschek. "Im Gegenteil. Ein Zaun löst einen Teufelskreis aus." Denn die Rehe suchen sich dann andere Stellen aus, wo sie junge Triebe und Knospen anknabbern. "Dann ist eben dort der Verbiss deutlich höher." Um stabile Mischwälder zu erhalten oder neue zu schaffen, müssen gemeinsame Lösungen gefunden werden, betont Matuschek. "Waldbesitzer und Jäger müssen an einem Strang ziehen. Unser forstliches Gutachten dient dabei als Hilfsmittel."

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