Armut im Landkreis Freising:Ansturm auf die Tafeln

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Immer mehr Menschen im Landkreis sind bedürftig und sind froh, bei der Tafel gegen den symbolischen Preis von einem Euro Lebensmittel zu bekommen. (Foto: Marco Einfeldt)

Deutschlandweit versorgen die Tafeln mittlerweile über zwei Millionen Menschen mit Lebensmitteln, der Ansturm ist kaum mehr zu bewältigen. Etwa jede dritte Tafel musste bereits einen Aufnahmestopp verhängen - so auch die Einrichtungen in Hallbergmoos und Moosburg.

Von Gudrun Regelein, Freising

Die gut 960 Tafeln in Deutschland unterstützen mittlerweile über zwei Millionen Menschen. Das sind mehr als je zuvor. Im bundesweiten Durchschnitt kamen 2022 50 Prozent mehr Menschen zu den Tafeln. Die Belastungsgrenze sei mittlerweile erreicht, warnte der Vorsitzende der Tafel Deutschland, Jochen Brühl, kürzlich. Etwa ein Drittel der Tafeln mussten bereits einen Aufnahmestopp verhängen. Auch im Landkreis Freising nehmen zwei der insgesamt drei Tafeln keine neuen Kunden mehr auf.

Die Tafel in Hallbergmoos ist eine davon: 620 Berechtigte zählt sie, fast 90 Helfer sind hier aktiv. "Zu Beginn waren es gerade einmal acht Kunden, das hatte noch eine ganz andere Dimension. Inzwischen sind wir aber zu einer kleinen Firma geworden", sagt die Leiterin Tanja Voges. Wegen des Angriffskrieges seien im vergangenen Jahr viele Geflüchtete aus der Ukraine dazugekommen. Daneben gebe es aber auch immer mehr Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr alleine stemmen können - die ihre Miete oder die Lebensmittel nicht mehr bezahlen können. "Unsere Kundenzahl ist nach oben geschnellt." Zuletzt sei die Dringlichkeit ausschlaggebend gewesen, ob jemand noch einen Ausweis bekam, sagt Voges. "Wer durch jedes Raster fällt und überhaupt keine Zuschüsse bekommt, wie für Miete, hat Hilfe am nötigsten." Trotzdem waren bei der Tafel Hallbergmoos Ende des vergangenen Jahres die Kapazitäten erschöpft: Anfang 2023 wurde dann ein Aufnahmestopp verhängt.

Grund dafür war nicht eine zu geringe Warenmenge. Diese sei zwar manchmal knapp gewesen, aber habe immer ausgereicht. "Unsere Helfer aber hatten ihre Grenzen erreicht", berichtet Voges. Sie waren erschöpft, sie als Vorsitzende sei für diese verantwortlich, "ich musste sie schützen." Die Entscheidung für den Aufnahmestopp habe ihr Bauchweh gemacht, aber sie sah keine andere Lösung. "Wenn immer mehr Helfer aufgeben, weil sie nicht mehr können, müsste die Tafel schließlich ganz zumachen."

Eine eigentlich staatliche Aufgabe

Was Voges aber zunehmend ärgert, sei die Selbstverständlichkeit, mit der die Versorgung bedürftiger Menschen auf die ehrenamtlichen Tafeln übertragen werde. "Eigentlich ist das ja eine staatliche Aufgabe", sagt Voges. Im Gewerbegebiet Hallbergmoos beispielsweise sollen zeitnah 250 syrische Flüchtlinge untergebracht werden. "Es liegt ja auf der Hand, was passieren wird. Die Menschen werden zu uns kommen", sagt Voges. Sie habe große Bedenken, wie man diese große Zahl auch noch versorgen könne. Manchmal möchte man alles hinschmeißen, sagt Voges. "Aber dann macht man doch weiter, wir wollen ja helfen."

Auch langfristig werde sich die Situation wohl nicht entspannen. "Die Tafeln müssen wohl deutschlandweit nach neuen Konzepten suchen." Voges befürchtet, dass es angesichts der immer weiter steigenden Kundenzahl irgendwann zu einer Massenversorgung, einer Art Fließbandabfertigung, kommen wird. Das Menschliche gehe dabei verloren.

Knappe Warenmenge in Moosburg

Vor etwa einem halben Jahr musste auch die Tafel Moosburg die Notbremse ziehen und einen Aufnahmestopp verhängen. "Es ging einfach nicht mehr anders", sagt Vorsitzende Julia Schmidbauer. Hier reichte die gespendete Warenmenge nicht mehr aus. Zuzukaufen entspreche zwar eigentlich nicht dem Tafelgedanken, trotzdem habe man das mit Spendengeldern getan.

Die Kunden aber wurden immer mehr, zuletzt waren es so viele, dass man sich zu einem Aufnahmestopp entschied. "Jetzt müssen wir schauen, wie es sich weiterentwickelt", sagt Schmidbauer. Etwa 150 Ausweise sind derzeit bei der Tafel Moosburg ausgegeben. Da oft aber mit einem Ausweis eine mehrköpfige Familie Lebensmittel bekommt, sei die Zahl der eigentlich versorgten Menschen deutlich höher. Schmidbauer schätzt sie auf gut 300.

Sie selbst engagiere sich seit gut 16 Jahren bei der Tafel, erzählt Schmidbauer. Damals begann alles klein, es war überschaubar. "Das ist es mittlerweile aber nicht mehr." Die Versorgung einer so hohen Zahl an Menschen sei kaum mehr zu erfüllen. Im vergangenen Jahr hätten viele Kunden ein Schreiben vom Amt mitgebracht, erzählt Schmidbauer. Auf diesem war ganz unten zu lesen: "Lebensmittel erhalten Sie von der Tafel". "Da könnte ich einen Schreikampf bekommen. Das ist doch ein Witz", sagt Schmidbauer. Der Staat delegiere eine seiner Aufgabe an die Tafeln - und rechne damit, dass diese dann erfüllt werde.

Zwei-Wochen-Rhythmus in Freising

Auch bei der Tafel Freising stand man im vergangenen Jahr kurz vor einem Aufnahmestopp, entschied sich dann aber, einen Zwei-Wochen-Rhythmus einzuführen. In einer Woche werden die ukrainischen Flüchtlinge versorgt, in der anderen die sogenannten Altkunden. "Das war die Lösung, sonst hätten wir es nicht mehr handeln können", sagt Vorsitzender Manfred Schimmerer. Denn sonst hätte die Ware nicht mehr ausgereicht, es wären zu wenige Helfer gewesen und die Warteschlange wäre sehr lange gewesen. "Für uns ist das so ein guter Weg", sagt Schimmerer. Zwar bekämen die Kunden nun nur noch alle zwei Wochen Lebensmittel, aber das sei eben der Preis. So können nach wie vor auch Neukunden aufgenommen werden.

Fünf bis zehn seien es wöchentlich, sagt Schimmerer. Die Gesamtzahl der Abholer aber bleibe relativ konstant bei 600, insgesamt werden aber mindestens doppelt so viele Menschen versorgt. "Noch können wir das gut stemmen." Aber auch hier wird die Ware allmählich knapp. "Wir haben aber Spendengelder und die Möglichkeit, etwas dazuzukaufen - und das werden wir auch tun." Man werde in diesem Jahr wohl einiges Geld in die Hand nehmen müssen, um helfen zu können, sagt Schimmerer. "Im Vergleich zu anderen Tafeln aber geht es uns in Freising noch gut."

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