SZ-Serie zum Kriegsende in Freising:Angst vor Racheakten und Plünderungen

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In den ersten Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind die Bürger in Freising verunsichert, anonyme Denunziationen sind an der Tagesordnung, viele müssen ihre Wohnungen räumen

Von Peter Becker, Freising

Im Mai dieses Jahres hat sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal gejährt. Die ersten Nachkriegsjahre schildert der 21. Sammelband des Historischen Vereins, der im Jahr 1950 erschienen ist. Verfasst hat ihn Anton Wandinger im Auftrag des Vereins. Die Nachfrage nach diesem längst vergriffenen Sammelblatt war aufgrund des Jubiläums so groß, dass sich der Historische Verein zu einem Nachdruck entschieden hat. In einer kleinen Serie veröffentlicht die Freisinger SZ einen Überblick über die Inhalte des Sammelblatts.

"Die jahrelang verbreitete Angst vor dem Rachewerk der ehemaligen ausländischen Kriegsgefangenen, der Ostarbeiter und der befreiten KZ-Häftlinge lag lähmend über diesen Tagen", beschreibt Wandinger die Stimmung der Freisinger in den ersten Tagen nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. Gerüchte und Meldungen, vor allem aus dem Landkreis, über Raubüberfälle, Plünderungen und Morde trugen zur Verunsicherung der Bevölkerung bei. Bezeichnend sei es in diesen Tagen gewesen, dass sich gewisse "Elemente" durch falsche Angaben, Frechheit und Heuchelei einflussreiche Posten erschwindelt hätten. Sie hätten eine Zeitlang "ungeheuren Einfluss" ausgeübt, um dann zu verschwinden oder verhaftet zu werden.

Im Rathaus hatte sich einstweilen eine provisorische Verwaltung gebildet. Dort hatte sich spätestens zum 2. Mai ein Großteil der Beamten wieder eingefunden. Sie blieben bis zum 11. Oktober im Dienst, bis die Militärregierung bestimmte, dass ehemalige Mitglieder der NSDAP nur mehr als gewöhnliche Arbeiter beschäftigt werden durften. Zum neuen Bürgermeister wurde bereits am 2. Mai Emil Berg ernannt.

Die neue Verwaltung hatte viel zu tun. Scharen von verängstigten und ratlosen Bürgern drängten sich mit unterschiedlichsten Anliegen ins Rathaus. Die einen wollten eine Verlängerung der Ausgangssperre über 20 Uhr hinaus. Andere mussten innerhalb kurzer Zeit ihre Wohnung räumen und anderswo untergebracht werden. Betroffen waren vor allem Bewohner der Ganzenmüllerstraße, des Lankesbergs und der Villenviertel. Begehrt waren laut Wandinger vor allem "Off-Linits"-Plakate der Militärregierung, die vor Plünderungen und Einquartierungen schützen sollten. Gleichzeitig kamen immer mehr ehemalige KZ-Häftlinge in die Stadt. "Allein in den Monaten Mai bis Juli wurden wenigstens 2000 ehemalige Häftlinge eingekleidet und versorgt", schreibt Wandinger.

"Die Polizei hatte einen schweren Stand", stellt der Autor fest. Die provisorischen deutschen Polizisten sollten Ausschreitungen, Plünderungen und Morde verhindern, waren aber schlecht ausgerüstet. "Dies war umso schwieriger, als die Ausländer keineswegs gewillt waren, sich den deutschen Anordnungen und Polizeiorganen zu fügen." Mit den Ausländern meint Wandinger wohl die Flüchtlinge, die sich in der Stadt befanden.

Für große Beunruhigung unter der Bevölkerung habe die Arretierung ehemaliger Parteigenossen gesorgt. "Die Verhaftungen erfolgten auf Grund einer Liste, die in der Kreisleitung im Alten Rathaus aufgefunden war", schildert Wandinger. Und er fügt hinzu: "Ein besonders unerfreuliches, aber typisches Kennzeichen jener Zeit waren die Denunziationen." Wer mit jemandem eine Rechnung zu begleichen hatte, der habe den anderen in anonymen Briefen als "Nazi" bezeichnet.

"CIC", diese drei Buchstaben sorgten vor allem unter den ehemaligen Funktionären der NSDAP für Angst und Schrecken. Das Kürzel steht für "Counter Intelligence Corps", ein Spezialbüro zur politischen Überprüfung der Bürger. Manche Personen landeten in den Zellen des Freisinger Gefängnisses an der Fischergasse. Andere wurden in entsprechende Lager in Dachau, Moosburg oder Bad Aibling weitergeleitet.

Straßen, die nach Nationalsozialisten benannt waren, wurden am 18. August umgewidmet: die Adolf-Hitler-Straße nach dem amerikanischen Befehlshaber in der Stadt in Captain-Snow-Straße; die Hindenburg- in Untere Hauptstraße, die Adolf-Wagner-Straße in Gartenstraße, die Bauriedl- in Meisenstraße, die Casellastraße in Plantagenweg, die Dietrich-Eckart- in Heinestraße, die Herbert-Norkus- in Fabrikstraße, die Horst-Wessel- in Bahnhofstraße, die Kurt-Kuhn-Straße in Erlenweg, die Laforcestraße in Buchenweg, die Schlageter- in Goethestraße, die Sigmund-Halter- in Sighartstraße, die Steinhardt- in Weststraße, die von-der-Pforten-Straße in Tannenweg, die Hirschmann- in Kesselschmiedstraße, die Neuhauserstraße in Rabenweg, die Straße zwischen Kultur- und Krumbachstraße in Finkenweg.

Den Nachdruck des Sammelblatts gibt es in den Freisinger Buchhandlungen und bei der Verwaltung des Stadtmuseums, Major-Braun-Weg 12, Zimmer 101 am Dienstag und Donnerstag von 10 bis 12 Uhr zum Selbstkostenpreis von zehn Euro

© SZ vom 23.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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