Freisinger Köpfe:Es kommt nicht der alkoholkranke Clochard

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Bärbel Würdinger bietet bei Prop nicht nur Beratung für Suchtkranke an, sondern zum Beispiel auch eine Substitutionsbegleitung oder Präventionsmaßnahmen. (Foto: Marco Einfeldt)

Zu Bärbel Würdinger kommen 14- bis 65-Jährige mit Suchtproblemen. Die Sozialpädagogin leitet die Beratungsstelle Prop in Freising: Entscheidend für den Therapieerfolg sei, dass ihre Klienten es freiwillig tun.

Von Gudrun Regelein

Freising - "Der totale Rausch", das ist das Buch, das Bärbel Würdinger derzeit liest und von dem sie "absolut fasziniert" ist. Darin geht es um den Drogen- und Suchtmittelkonsum in der Zeit der 20er-Jahre bis zum Ende des Dritten Reichs. "Wussten Sie, dass damals Kokain auf Rezept verschrieben wurde und ein Erfolgsschlager war?", fragt sie. Die 53-Jährige leitet seit 2008 Prop, die psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstelle Freising. Bei der Arbeit mit Suchtkranken begegne sie vielen sensiblen, feinfühligen Menschen mit großen Ressourcen, erzählt sie. "Das Klischee vom alkoholkranken Clochard, dem wir helfen, stimmt nicht", sagt Würdinger im Gespräch mit der SZ Freising.

SZ: Frau Würdinger, mal ganz ehrlich: Wie viel haben Sie bei Ihrer letzten Feier getrunken?

Bärbel Würdinger: Das kann ich Ihnen ganz genau sagen, das war ein Achtelliter Rotwein. Das ist der einzige Alkohol, den ich trinke - und die Menge langt mir. Die Feier war übrigens am 26. Januar 2015.

Haben Sie sich bewusst dafür entschieden, nur sehr mäßig Alkohol zu trinken?

Nein, das war eher eine gewachsene Entscheidung. Ich bin zwar nicht dogmatisch, aber ich trinke nicht gerne viel Alkohol. Entscheidend ist für mich die Frage: Was schmeckt mir und was tut mir gut. Was ich sehr schätze, ist ein guter Tee.

Der reflektierte Umgang mit Rauschmitteln fällt vielen Menschen schwer. Wer kommt zu Ihnen in die Beratungsstelle?

Die Spannbreite ist sehr groß: Das sind 14- bis 65-Jährige, die von einer Drogensubstanz abhängig sind oder pathologische Glücksspieler sind. Hauptproblem seit Jahren aber ist nach wie vor das Thema Alkohol. Unser klassischer Klient ist männlich, 45 Jahre alt, steht im Berufsprozess und hat ein Alkoholproblem.

Kommen alle freiwillig?

Bei den meisten unserer Klienten ist es so, dass ihr Umfeld ihnen sagt, dass dringend etwas geschehen müsse. Es gibt also einen gewissen sozialen Druck: vom Arbeitgeber, dem Ehepartner, Freunden oder Familie. Dennoch ist es wichtig, dass es eine freiwillige Entscheidung ist, zu kommen.

Das bedeutet, dass der Wille oder der Wunsch da sein muss, etwas zu verändern?

Ja, die Freiwilligkeit ist in unserer Arbeit oberstes Prinzip. Es braucht oft eine monatelange Motivationsarbeit, bis jemand dann so weit ist zu sagen, ich tue etwas, ich möchte mich von meiner Sucht lösen oder meinen Konsum verändern. Das ist ein Entscheidungsprozess, der sich in den intensiven Beratungsgesprächen entwickelt. Bis wir soweit sind, bedeutet es für uns Schwerstarbeit.

Leisten Sie eine psychologische Betreuung?

Ich würde es als psychosoziale Betreuung bezeichnen. Zu Beginn geht es vor allem darum, einen Klienten in seiner Ambivalenz zu begleiten. Familie, Arbeit, Geld, Gesundheit: all das spielt eine Rolle.

Sie haben davon gesprochen, dass das Thema Alkohol nach wie vor ein dominantes ist. Auch bei Jugendlichen?

Eher weniger. Jugendliche konsumieren derzeit - neben Cannabis - vor allem die neuen psychosozialen Substanzen, wie Kräutermischungen oder Badesalze mit Stimulanzien.

Ist das gefährlicher als ein exzessiver Alkoholkonsum?

Das kann man nicht an der Substanz festmachen, sondern am Risikoverhalten. Wenn man zu viel Alkohol trinkt, kann man sterben - aber auch der Konsum von Kräutersubstanzen kann lebensbedrohlich werden. Wichtig ist eine Analyse des Risikoverhaltens.

Sie meinen, den Grund herauszufinden?

Eher nicht, es geht gar nicht so sehr um das Warum. Sondern darum zu erfahren, welche Bedingungen das Risikoverhalten fördern. Das können beispielsweise die Freunde sein. Daran gilt es dann zu arbeiten. Wichtig ist es, dass der Jugendliche verantwortungsvoll mit der Problematik umgeht, dass er beispielsweise sagt, "ich nehme keine Substanzen, die ich nicht kenne". Für Eltern ist es oft schwierig zu verstehen, dass wir nicht mit dem erhobenen Zeigefinger da stehen und von dem Jugendlichen wollen, dass er sofort aufhören soll. Wenn er das will, wird er natürlich auch unterstützt. Abstinenz ist ein Ziel, Schadensbegrenzung und Reduzierung sind andere.

Wie wird Ihre Arbeit finanziert?

Wir bieten ja nicht nur eine Beratung, sondern beispielsweise auch eine Substitutionsbegleitung an, beschäftigen uns intensiv mit dem Problem Sucht im Alter, haben eine Präventionsstelle und eine Außenstelle in Moosburg. Grundsätzlich ist es aber so, dass der Bezirk die Regelfinanzierung einer Maßnahme übernimmt und diese dann kostenfrei ist. Dann gibt es noch die fallbezogene Finanzierung, bei der geprüft wird, ob geholfen wird - oder auch nicht. Dass ist beispielsweise bei der ambulante Suchttherapie der Fall. Da kann es passieren, dass auch Kinder oder Eltern des Klienten Auskunft geben müssen. Manche Betroffene wollen das aber nicht und verweigern deshalb die Maßnahme. Sie können sich ja vorstellen, was das für einen chronisch suchtkranken Menschen, dem wir durch das intensiv betreute Einzelwohnen eine Teilhabe am Leben ermöglichen wollen, bedeutet.

Die Zahl ihrer Klienten ist von 600 auf 1000 pro Jahr gestiegen. Arbeit gibt es genug, sagt Bärbel Würdinger. (Foto: Marco Einfeldt)

Wächst die Zahl Ihrer Klienten?

Ja, unsere Fallzahlen steigen kontinuierlich an. Früher, vor acht Jahren, hatten wir etwa 600 Klienten im Jahr, inzwischen sind es etwa 1000 Menschen, die uns kontaktieren.

Gibt es eine Disposition zur Sucht?

Es gibt sicher Menschen, die eher in Gefahr sind, abhängig zu werden. Wir sprechen davon, ob jemand vulnerabel ist, ob er sensibel ist. Entscheidend aber ist die Wirksamkeitserwartung: Was erwarte ich mir davon, wenn ich jetzt das Glas Rotwein trinke? Guten Geschmack und Genuss oder will ich mich nach einem stressigen Tag damit entspannen und runterholen? Wenn ich eine Substanz brauche, um mich zu regulieren, dann ist das ein Zeichen für eine Abhängigkeit.

Ist es sinnvoll, dass manche Rauschmittel, Cannabis beispielsweise, immer noch verboten sind?

Das ist schwierig zu beantworten. Ich erlebe Cannabis-Konsumenten, bei denen ein Reglement gut ist - denn die Verfügbarkeit eines Mittels erhöht den Konsum. Andererseits empfinde ich wiederum die Kriminalisierung als problematisch. Ehrlich gesagt sehe ich das ambivalent.

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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