Freisinger Ortsgeschichte:"Das gibt es nicht mehr"

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Um das Marcushaus gab es im Stadtrat viele Diskussionen - die Befürworter einer Renovierung setzten sich schließlich durch. (Foto: Marco Einfeldt)

Stadtarchivar und Stadtheimatpfleger listen Bausünden der vergangenen Jahrzehnte auf. Darunter ist auch der Bodensteiner-Abriss.

Von Petra Schnirch, Freising

Für die Altstadt waren die Siebziger keine schlechten Jahre. Die großen Bausünden geschahen davor - und danach. 1969/70 sei es schlimm gewesen, sagt Stadtarchivar Florian Notter, damals entstanden beispielsweise die Kaufhalle und der Sperrer-Block am Marienplatz. Der sei zwar qualitativ nicht schlecht, hätte an dieser exponierten Stelle aber nicht so hoch sein müssen.

Schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren kämpften engagierte Freisinger für den Erhalt des historischen Stadtbilds. Nicht alles, aber einige aus heutiger Sicht wahnwitzige Pläne konnten sie dank ihrer Hartnäckigkeit verhindern. Das ehemalige Philippsschloss auf dem Domberg beispielsweise sollte zunächst komplett verschwinden, um einem modernen Bauwerk - und das hieß damals: Beton - für das Dom-Gymnasium Platz zu machen. Und es gab sogar Vorschläge, das Diözesanmuseum durch einen Neubau zu ersetzen. Gegen diese Vorhaben machten vor allem Sigmund Benker und Hubert Glaser mobil, mit Erfolg. Teile des Philippsschlosses wurden in das Schulgebäude integriert. Für Notter war das ein Wendepunkt.

Gestaltungsfibel darf kein Bilderbuch für Kinder werden

Auch gegen die Idee eines Durchstichs von der Unteren Hauptstraße zur Hochtrasse wehrten sich die Bürger. Typisch für Freising sei doch gerade, dass die Hauptstraße dort nicht direkt aus der Altstadt hinausführt, sagt Stadtheimatpfleger Norbert Zanker. Signalwirkung hatte für Notter auch das Jahr der Denkmalpflege 1975, "für Freising war das sehr fruchtbar". Schöne Beispiele seien die Bürgerhäuser an der Hauptstraße und an der Ziegelgasse, viele seien in den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren renoviert worden.

Das Neubauprojekt Ziegelhöfe ist städtebaulich gar nicht gelungen, wie Norbert Zanker findet. Nur lobende Worte hat er dagegen für das renovierte Haus an der Ziegelgasse 5 (rechts). (Foto: Marco Einfeldt)

Wer nun glaubt, damit hätte sich das Bewusstsein, dass mit der alten Bausubstanz in einer Stadt wie Freising sehr sorgsam umgegangen werden sollte, endgültig durchgesetzt, der irrt. Ein weiterer Wendepunkt, allerdings zum Schlechteren, darin sind sich Notter und Zanker einig, waren die späten Neunzigerjahre - vor allem wegen des wachsenden Siedlungsdrucks. "Die schlimmste Fehlentscheidung" des Stadtrats war für den Stadtarchivar der Neubau auf dem Bodensteiner-Areal, der eine "idyllische Stadteingangssituation komplett zerstört hat". Das, was dort entstanden ist, ist für ihn "typische Bauträger-Architektur" . Immerhin habe die Entscheidung zu heftigen Diskussionen in der Stadt geführt - und dazu, dass ein Gestaltungsbeirat installiert wurde. Der Bodensteiner aber ist unwiederbringlich verloren. Glücklicher endete die Auseinandersetzung um die Rettung des Marcushauses, "das hat wahnsinnig viel Mühe gekostet", erinnert sich Zanker, "die Hälfte der Stadträte wollte es wegreißen".

Der neu geschaffene Gestaltungsbeirat sei ein wichtiges Instrument, sagt Notter. Zum Schutz des Altstadt-Ensembles aber bräuchte es eine Gestaltungssatzung. In den Städten Landshut und Wasserburg gebe es seit Jahrzehnten Leitlinien. Wasserburg hat inzwischen sogar eine Gestaltungssatzung. In Freising ist derzeit eine Gestaltungsfibel in Arbeit, ob auch sie verbindlich für die Besitzer wird, wenn sie ihre Häuser sanieren, oder nur "ein schönes Bilderbuch für Kinder", wie Zanker sagt, darüber hat der Stadtrat zu entscheiden.

Privatleute seien die Stütze der Denkmalpflege, betont Notter. Vor allem nach dem Bodensteiner-Abriss sei aber ein negativer Effekt eingetreten - nach dem Motto "wenn die Großen bauen dürfen, wollen wir das auch". Insgesamt kommt Notter aber zu dem Fazit: "Freising muss stolz sein auf seine Bürgerschaft." In anderen Städten sei das Geschichtsbewusstsein deutlich weniger ausgeprägt. Es hake eher bei den Rahmenbedingungen, so beispielsweise fehle eine Bauberatung.

Nicht nur in der historischen Altstadt wurden aus heutiger Sicht grobe Fehler gemacht. Auch das planlose Wachstum in Lerchenfeld kritisieren Zanker und Notter. Es gibt in Freising aber auch gelungene Beispiele für die Stadtentwicklung: Der Stadtarchivar verweist auf den Steinpark oder die aktuellen Planungen für die Angerstraße. Darüber habe man sich jahrelang Gedanken gemacht, durch die Wohngebiete ziehen sich Grünzüge und Wege - ganz anders als noch auf dem überfrachteten ehemaligen Steinecker-Gelände. "In Freising hat man aber relativ schnell gelernt", attestiert Notter. Inzwischen gebe es deutlich mehr Wettbewerbe für Stadtquartiere. Auch an einem ganz neuen Beispiel lässt Stadtheimatpfleger Zanker allerdings kein gutes Haar: Die Ziegelhöfe, die wuchtigen Neubauten an der Ziegelgasse hinter der Hauptstraße, hält er städtebaulich für gänzlich misslungen, dies zeige sich vor allem von oben, vom Sankt-Georgs-Turm aus. Positives Gegenbeispiel ist für ihn der Wörth.

Was den Stadtheimatpfleger bei der Stadtentwicklung umtreibt, ist ein generelles Problem: "Immer versucht man für Autos zu bauen, nie für die Menschen", kritisiert er. Überall entstünden Parkplätze statt Gärten. In der Altstadt hält er den Verantwortlichen sogar "schizophrenes Denken" vor. Einerseits wolle man dort Wohnraum schaffen, andererseits ziehe man Autos in die Innenstadt, die man hier nicht haben wolle. Die Lösung wäre für Zanker eine Stadtteilgarage am Rand des historischen Zentrums. Stattdessen würden Gebäude wie der Laubenbräu "ausgequetscht". Die Tiefgarage sei nur über den Graben anzufahren, was wiederum mehr Autos in den engen Gassen zur Folge habe. Ein Dorn im Auge sind ihm auch die Stellplätze hinter dem Woolworth, auch sie "ziehen weiteren Park-Such-Verkehr an". Ähnlich ist die Situation am Domberg.

"Freising ist immer noch eine wunderbare Stadt."

Wichtig ist Zanker, dass die "Innenstadt lebt". Beim Gang durch die Hauptstraße weist er nach rechts und links: Da war ein Lebensmittelgeschäft, dort eine Samenhandlung, der Messer-Kopp, noch ein Lebensmittelgeschäft, ein Friseur, ein Milchladen. "Das gibt es alles nicht mehr." Dass sich stattdessen ein Zahnarzt und ein Sonnenstudio im Erdgeschoss zweier Geschäftshäuser niedergelassen haben, darüber kann er nur den Kopf schütteln. Die kleine Chocolaterie Muschler dagegen habe in diesen Bereich der Hauptstraße neues Leben gebracht, lobt Zanker.

Zwei Ideenwettbewerbe fanden in jüngster Zeit für die Umgestaltung des Dombergs statt. Dass das Oktogon am Diözesanmuseum nach dem geplanten Umbau verschwinden soll, bedauern sowohl Notter als auch Zanker. Während der Domberg von der Altstadt aus so gut wie unsichtbar ist, spitzelt an einigen wenigen Stellen zumindest das um 1870 erbaute Oktogon hervor. Vor allem setzt sich Zanker aber für den Seidl-Turm ein, der beim Neubau des Kardinal-Döpfner-Hauses wegfallen soll. Die Türme am Domberg prägten das Stadtbild, sie seien von der Schotterebene her von weitem zu sehen. "Den Seidl-Turm abzureißen, halte ich für ein Verbrechen", sagt er. Auch der Siegerentwurf für das Bettenhaus mit den sakral wirkenden dreieckigen Fenstern gefällt ihm nicht. Ganz anders der Stadtarchivar: Notter hat dagegen nichts einzuwenden. Am Domberg sei alle paar Jahrzehnte neu gebaut worden, "das ist sehr spannend".

Und er ist froh, wenn der Erweiterungsbau aus den Sechzigerjahren verschwindet. Dass damals die Martinskapelle dafür geopfert wurde, ist für ihn "die größte Bausünde des 20. Jahrhunderts". Und es freut ihn, dass ein Teil der früheren Fürstenzimmer im Altbau des Döpfner-Hauses künftig wieder zugänglich sein wird. Trotz aller Kritik: Freising ist für Notter immer noch eine wunderbare Stadt, "sicherlich eine der schönsten in Bayern".

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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