Neufahrn:Der Zeit ein bisschen voraus

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Die Vogelsänger-Studios setzen Möbel für Kataloge fotografisch in Szene und bauen dafür immer neue Zimmer in eine Halle

Von birgit Grundner, Neufahrn

Weihnachten ist längst vorbei. "Jetzt ist Frühling", erklärt Nicci Müller, die gewissermaßen von Beweisen für diese Behauptung umgeben ist. Zwei Männer verlegen Steinpflaster für eine mediterrane Terrasse, ein paar Meter weiter stehen Liegen und Gartenmöbel, im Hintergrund werden später Hügel der Toskana zu sehen sein. Doch das ist alles nur Illusion.

Denn die Vogelsänger-Studios in Neufahrn sind der Zeit immer ein bisschen voraus und müssen von Geschäfts wegen "gegen die Saison arbeiten", wie es heißt. Das Team um Steve Carstensen ist auf Werbefotografie spezialisiert und macht in den Großraumateliers an der Lilienthalstraße Möbelfotos vor allem für Kataloge. Die Gartensaison hat da längst begonnen.

Seit sieben Jahren betreibt das Unternehmen, das seinen Stammsitz in der Nähe von Bielefeld hat, in Neufahrn ein Studio mit momentan zwei Fotografen, zwei Stylisten, vier Handwerkern und einem Auszubildenden. Der Standort hatte sich angeboten: Viele der Kunden kommen aus Österreich, und sie liefern ihre Möbelstücke mit Lastwagen an. Wie die Ware in Szene gesetzt wird, welche Zielgruppe angesprochen werden soll, ob eher ein jugendliches oder ein konservatives Ambiente geschaffen wird, welches Gefühl das Foto transportieren soll - all das wird im Vorgespräch mit den Auftraggebern abgeklärt.

Nach den Vorgaben werden dann die "Sets" geplant, die Schreiner und Maler aufbauen: richtige Zimmer, die in der großen Halle wie perfekte Ausschnitte aus einem kompletten Haus aussehen. Türen, Fensterrahmen, Bodenbeläge, Säulen und Stufen dafür gibt es im Lager, das an einen großen Heimwerkermarkt erinnert. Die Ausstattung der Räume ist Aufgabe der "Schmücker", wie Stylistin Simone Meyer mit einem Augenzwinkern sagt. Die Requisiten werden aus Dutzenden von Regalen zusammengeholt, die nach Inhalt und Farbe sortiert sind: Bücher, Pflanzen, Vasen, Kerzenständer, Schalen, Teppiche, Geschirr, Lampen, Spielsachen und alles, was man sonst braucht, um aus einem gestellten Set eine Alltagsszene werden zu lassen.

Steve Carstens zeigt auf seinem Notebook auf das fertige Werbefoto einer Garderobe: Die Haustür steht offen, eine Aktentasche liegt wie zufällig hingeworfen auf dem Teppich - als wäre gerade jemand nach Hause gekommen und schnell über die Treppe, die im Hintergrund erkennbar ist, in den ersten Stock gerannt. Zur perfekten Illusion eines Werbefotos gehört auch die richtige Beleuchtung. Soll es später zum Beispiel so aussehen, als würde die Sonne durch das Fenster scheinen, müssen auch die Schatten im Zimmer dazu passen, wie Carstensen betont.

Der Hintergrund der Fotos kommt dagegen komplett aus dem Computer: Die Skyline von New York wird auf Wunsch ebenso digital eingebaut wie ein karibischer Strand oder eben eine Sommerlandschaft der Toskana. Wenn alle Bilder gemacht und die Fotos vom Kunden abgenommen sind, ist das Set bald wieder Geschichte, sagt Simone Meyer: "Ist alles gut, reißen wir alles wieder weg." Platz machen für die nächsten Kunden. Und manchmal kommen auch Interessenten, die den großen "Vogelsänger"-Schriftzug auf der Hausfassade falsch interpretiert haben, wie Carstensen lachend erzählt: "Wir hatten schon Leute hier, die Gesangsunterricht haben wollten, die mussten wir leider wieder wegschicken."

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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