Nachruf:Trauer um den "roten Jokl"

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Der ehemalige Bürgermeister Joachim Enßlin ist im Alter von 78 Jahren gestorben. In seiner Amtszeit hat sich Eching zu einer modernen Gemeinde entwickelt. (Foto: Marco Einfeldt)

Im Alter von 78 Jahren ist nach kurzer, schwerer Krankheit Echings ehemaliger Bürgermeister und Ehrenbürger Joachim Enßlin gestorben. Der "rote Jokl" amtierte von 1972 bis 1992 als Bürgermeister und gestaltete und verkörperte die prägendste Phase in Echings jüngerer Geschichte: den Wandel vom reinen Bauerndorf zur "Mustergemeinde". Nach seinem Rückzug aus dem Rathaus war er Manager bei der Messe München und dann im "Ruhestand" unter anderem Berater des Präsidenten von Madagaskar.

Die Wahl des 29-jährigen Juristen mit rotem Parteibuch 1972 zum Bürgermeister war eine Sensation. Der Münchner Enßlin war 1968 mit Ehefrau Gudrun und Tochter nach Eching gezogen, der günstigeren Mieten wegen. Mit seiner 20-jährigen Amtszeit ist der große Umbruch Echings im Gefolge der S-Bahn-Erschließung verknüpft. Die Neuerungen, Projekte und Errungenschaften dieser Zeit - vom Freizeitgelände zur Musikschule, vom Bürgerhaus mit Kulturprogramm bis nach Schachterlhausen, wo er selbst lebte - prägen Eching noch heute.

Eine Prämierung in einem bundesweiten Wettbewerb für Dorfentwicklung machte Eching zur "Mustergemeinde", eine Etikettierung, die Enßlin mit breiter Brust verkörperte. Echinger Lösungsansätze zu kommunalen Fragen setzten sich unter Enßlin überregional durch, etwa das damalige Baulandmodell oder das Konzept der Altenbetreuung, verkörpert im ASZ. Der damalige Echinger Entwurf eines Gemeindeentwicklungskonzeptes gilt in der Fachszene noch heute als gelungenstes Beispiel zur Anwendung dieses Steuerungsinstrumentes. Noch vor Jahresfrist hatte sich Rentner Enßlin vehement für eine Aktualisierung dieses Konzeptpapiers stark gemacht.

Echinger Initiativen in der Ägide Enßlin wie die Nordallianz oder der Heideflächenverein sind heute Basis der Nachbarschaft im Münchner Norden. Der maßgeblich mit Echinger Rechtsexpertise geführte Abwehrkampf gegen den seinerzeit geplanten Übungsplatz der Bundeswehr war die Grundlage dafür. Ein in dieser Phase aus Eching angestoßenes Positivgutachten für den Münchner Norden leitete die Wende für den einstigen "Münchner Hinterhof" ein. Seine bis heute ungebrochene Popularität bezog Enßlin aber aus seiner ureigenen Mischung aus intellektuellem "Eierkopf" mit Hornbrille und dekoriertem Rechtsverständnis - vor seiner Wahl in Eching war er Jurist in Bayerns Oberster Baubehörde - und volkstümlicher Leutseligkeit. Mit dem damaligen Pfarrer Reichelmair lieferte er sich Gstanzl-Duelle, der Freisinger SZ schrieb er Filserbriefe und bei der Eingemeindung von Günzenhausen gab er den Hochzeiterer bei der Inszenierung einer Bauernhochzeit.

Nach vier unangefochten gewonnenen Bürgermeisterwahlen trat er 1992 in seiner vierten Amtsperiode zurück, um Manager bei der Messe München zu werden. Nach seiner Pensionierung empfahl ihn der damalige Wirtschaftsminister Otto Wiesheu, langjähriger Kontrahent von Enßlin im Freisinger Kreistag, dem Präsidenten von Madagaskar als Berater, was Enßlin annahm. Bis zu einer Revolution auf der afrikanischen Insel war er mehrmals dort und vermittelte internationale Projekte. In Eching engagierte sich Enßlin noch viele Jahre als Vorsitzender des Vereins "Älter werden in Eching", Betreiber des ASZ, ebenso eine Herzensangelegenheit wie sein mehrjähriger Vorsitz im örtlichen "Arbeitskreis Entwicklungshilfe", für den er wiederum Betätigungsfelder in Madagaskar fand. Der passionierte Tennisspieler war auch maßgeblich Strippenzieher bei der überraschenden Präsentation von Sebastian Thaler aus dem Tennisclub als Nach-, Nach-, Nachfolger im Rathaus. Enßlin hinterlässt Ehefrau Gudrun, zwei Töchter und Enkelkinder.

© SZ vom 19.04.2021 / kbh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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