Große Auftritte absolviert Stefan Hiesinger im Wahlkampf keine. Vielmehr gestaltet er diesen so, wie man es in einer Partei, deren Anhänger oftmals pauschal als Computer-Nerds bezeichnet werden, erwarten könnte. Der Landtags- und Bezirkstagskandidat der Piraten wirbt lieber von zu Hause aus am Bildschirm sitzend für sich. Per Rundmail an Freunde und Bekannte, mit der Bitte um Weiterleitung. Dies mag aber auch einem gewissen Realismus geschuldet sein, was die eigenen Wahlchancen angeht.
Nach dem Riesen-Hype in den Jahren 2011 und 2012, als den Piraten der Einzug in mehrere Landesparlamente gelang, schrumpfte die Partei ebenso rasant. Hiesinger hofft, dass sich dies bald wieder ändert. Der 45-Jährige beschreibt die Piraten als offene, moderne, basisdemokratische Partei. Sie sei bei den neuen Medien "auf der Höhe der Zeit", wolle aber auch im sozialen Bereich Änderungen anstoßen. Schon vor Jahren hätten die Piraten einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr gefordert. "Damals sind wir ausgelacht worden", sagt Hiesinger. Inzwischen seien solche Vorschläge salonfähig. Auch für ein bedingungsloses Grundeinkommen setzen sich die Piraten ein. Wenn mehr und mehr Arbeitsplätze wegfallen, wenn die moderne Informationstechnik viele Aufgaben erledige und das Geld verdiene, müsse den Leuten auf diese Weise ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht werden, sagt Hiesinger. Sonst würden sie auf die Straße gehen.
Dass auch sein Beruf komplett ersetzt werden könnte, kann er sich so bald nicht vorstellen. Hiesinger ist Steuerberater, sein Büro befindet sich in seiner Wohnung in Allershausen. Hündin Afra überwacht seine Tätigkeit gern von einem zweiten Stuhl aus. Zwar übernehme die IT auch in seiner Branche viele Arbeitsschritte, schildert Hiesinger. Bei komplexen Sachverhalten bleibe ein Steuerberater aber vorerst unverzichtbar.
Mitglied der Piraten ist der gebürtige Münchner, der in Eching aufgewachsen ist, etwa seit 2010. Politisch interessiert sei er schon immer gewesen, sagt Hiesinger. Über den Wahl-O-Mat sei er damals darauf gestoßen, dass seine Anschauungen in vielen Punkten mit der Piratenpartei übereinstimmten. Daraufhin habe er sich intensiver mit deren Zielen beschäftigt. Dass Entscheidungen basisdemokratisch abgefragt werden, gefällt Hiesinger, auch wenn die Piraten dies manchmal übertrieben haben, wie er sagt. Dass sie in den vergangenen Jahren bei den Wählern stark an Rückhalt verloren haben, führt er darauf zurück, dass die Partei zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen sei. Der überraschende Erfolg davor sei wohl zu schnell gekommen, analysiert er selbstkritisch.
Die aktuelle Entwicklung in der Politik insgesamt findet er "katastrophal". Er meint damit weniger den oftmals ruppigen Ton - den habe es auch bei Strauß und Wehner gegeben. Was ihn stört, sind die "Verflechtungen von Politik und Industrie" und die vielen Lobbyisten, die in Berlin "rumgeistern".
Die 45-Jährige hofft, dass die Piraten als Alternative wieder mehr in den Fokus rücken, wenn die Leute "einen AfD-Schock" haben. Seine Partei bringe gute Ideen ein. Je kleiner, desto schwieriger sei es jedoch, Gehör zu finden. Gewisse Erwartungen setzt Hiesinger in die Europawahlen im kommenden Jahr. Schließlich seien die Piraten, die in Skandinavien groß geworden sind, eine europäische Partei. Einer ihrer Kernpunkte: Die Persönlichkeitsrechte jedes einzelnen dürfen nicht weiter eingeschränkt werden. Hiesingers Wünsche für die Zukunft klingen ebenso pragmatisch wie idealistisch: Am besten wäre es zu schauen, was in anderen Ländern gut laufe und das dann überall zu übernehmen. Auch in Deutschland sollte künftig deutlich mehr auf Bundesebene geregelt werden, fordert er, etwa was die Bildung angeht, um einheitliche Standards zu setzen.