Kommentar:Der Mensch soll funktionieren

Das Menschenbild, das in der Corona-Krise gezeichnet wird, ist fatal.

von Nadja Tausche

Was ist schlimmer: sich mit dem Coronavirus zu infizieren oder in eine Depression zu stürzen? Diese Frage wird jeder für sich anders beantworten. Es ist gleichzeitig eine Frage, bei der die Antwort des Einzelnen nur bedingt weiterhilft: Denn in dieser Pandemie geht es um Solidarität, es geht darum, neben sich selbst auch seine Mitmenschen zu schützen. Trotzdem muss man die Frage stellen - und das wird in der politischen Diskussion viel zu wenig getan.

Das Menschenbild, das in der Corona-Krise gezeichnet wird, ist fatal. Der Einzelne soll funktionieren, soll arbeiten, die Wirtschaft vorantreiben, soll sich im Online-Unterricht anstrengen oder in der Vorlesung mitdenken. Das, was viele Menschen zum Blühen bringt, fällt zugleich weg: für den einen die Sicherheit, als fester Teil eines Freundeskreises akzeptiert zu werden, für die andere das Gefühl der Freiheit beim Tanzen mit Hunderten Mitmenschen. So wichtig der Verzicht auf soziale Kontakte für die Eindämmung des Virus ist - er hat Folgen, für den einen mehr als für die andere. In der politischen Entscheidungsfindung sollte öffentlich abgewogen werden zwischen diesen psychischen Folgen des Lockdowns und dem Risiko von Corona-Infektionen. Vielleicht stünden am Ende die gleichen Entscheidungen, wie sie bisher getroffen wurden - aber zumindest würden die Probleme von Vielen nicht in der Tabu-Ecke verschwinden.

Bleibt denen zu danken, die sich für die psychische Gesundheit ihrer Mitmenschen einsetzen. Auch und vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die vielleicht noch nicht wissen, wie das geht: auf sich selbst aufzupassen.

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