Kirchbergers Woche:Die Bürokratie lebt noch

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Zumindest das Behördendeutsch hat sich erhalten und wird gepflegt wie eh und je

Kommentar von Johann Kirchberger

Momentan wird ja immer wieder behauptet, wir in Deutschland brächten nichts mehr auf die Reihe. Erst hatten wir nicht genügend Masken, bis einige Parlamentarier helfend einsprangen, dann wurde zu wenig Impfstoff bestellt, jetzt fehlen die Schnelltests, die es zwar gelegentlich beim Discounter gibt, aber nicht an den Schulen. Der verordnete Lockdown ist so löchrig, dass er nicht wirkt, die Novemberhilfen waren teilweise im März noch nicht ausgezahlt, die Corona-App wurde zu einem Debakel, weil der Datenschutz wichtiger als alles andere genommen wurde. Die einst so hochgelobt deutsche Verwaltung, heißt es, habe auf der ganzen Linie versagt, wir können es nicht mehr.

Ein schrecklicher Gedanke, aber ganz so schlimm ist es dann auch wieder nicht. Unsere Bürokratie, sie lebt schon noch. Zumindest das Behördendeutsch hat sich erhalten und wird in den Beamtenstuben noch gepflegt wie eh und je. Ein Brief der Familienkasse lässt daran keine Zweifel aufkommen. Darin heißt es unter anderem: "Dieser Bescheid kann mit dem Einspruch angefochten werden. Ein Einspruch ist jedoch ausgeschlossen, soweit dieser Bescheid einen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt, gegen den ein zulässiger Einspruch oder nach einem zulässigen Einspruch eine zulässige Klage, Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde anhängig ist." Aha, jetzt ist alles klar. Vor allem, wenn man die weiteren Hinweise beachtet: "Die Frist für die Einlegung eines Einspruchs beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem der Bescheid bekannt gegeben worden ist. Bei Zusendung durch einfachen Brief oder Zustellung mittels Einschreiben durch Übergabe gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post bzw. bei Übermittlung im Ausland einen Monat nach Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, dass der Bescheid zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist".

Auch bei der Stadt Freising wird noch gutes Behördendeutsch gepflegt. So heißt es etwa in der kürzlich geänderten Abstandsflächensatzung: "Abweichend von Art. 6 Abs. 5 S. 1 BayBO beträgt die Abstandsfläche im Stadtgebiet außerhalb von Gewerbe-, Kern- und Industriegebieten, festgesetzten urbanen Gebieten 0,8 H, mindestens jedoch 3 m. Vor bis zu zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge genügen in diesen Fällen 0,5 H, mindestens jedoch 3 m, wenn das Gebäude an mindestens zwei Außenwänden S. 1 beachtet." Wer ein Haus bauen will, kennt sich jetzt aus.

Auch beim Thema Datenschutz hilft die Stadt ihren Bürgern: "Wenn Sie in die Datenverarbeitung eingewilligt haben oder ein Vertrag zur Datenverarbeitung besteht und die Datenverarbeitung mithilfe automatisierter Verfahren durchgeführt wird, steht Ihnen gegebenenfalls ein Recht auf Datenübertragbarkeit zu". Keine weiteren Fragen, euer Ehren.

Auch auf der Homepage des Landkreises sind viel wichtige Hinweise versteckt: "Bei einer Reise in Drittländer muss beachtet werden, dass für die Länder, die nicht in den Anhängen zur EU-Verordnung 577/2013 aufgeführt werden, besondere Anforderungen für die Wiedereinreise in die EU gelten. Neben Chip/Tätowierung ... ist auch ein Bluttest in einem zugelassenen EU-Labor erforderlich (Blutentnahme frühestens 30 Tage nach Impfung). Vom Zeitpunkt der Blutentnahme bis zur Einreise nach Deutschland ist eine Wartezeit von mindestens 3 Monaten einzuhalten". So, das ist jetzt aber keine Regelung für aktuelle Mallorca-Reisende, sondern ein genereller Hinweis für das Reisen mit Tieren.

© SZ vom 10.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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