Jugendzentrum Freising:Familienersatz und Kulturszene

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Das Jugendzentrum "Vis-à-vis" feiert sein 30-jähriges Bestehen. Vieles hat sich seit den Anfangsjahren geändert - allen voran die Jugendlichen selbst.

Kerstin Vogel

Eines ist seit 30 Jahren gleich: Kinder und Jugendliche müssen erwachsen werden - und sie tun das zum Teil unter dem Dach der Stadtjugendpflege, was durchaus wörtlich zu verstehen ist: im städtischen Jugendzentrum "Vis-à -vis" an der Kölblstraße. Die Musik, die von den jungen Leuten bevorzugt wird, ändert sich über die Jahre; auch das Aussehen, die Mode, da sind sich die Betreuer einig.

Schauspiel im Jugendzentrum: Die Premiere des Stückes "Die Nacht der Geister" von der Theatergruppe Inteam vergangenes Jahr. (Foto: Marco Einfeldt)

Viele kleine Grüppchen gebe es heute, die auf den ersten Blick schwer voneinander zu unterscheiden seien. "Die sind alle schwarz angezogen, da muss man aufpassen, dass man die nicht falsch zuordnet", hat Stefan Memmler, Leiter des Treffs, gelernt. Nur die Sache mit der Pubertät, die sei so schwierig wie zu den Anfängen des Hauses.

Seit Oktober 1980 gibt es das Jugendzentrum nun schon, der 30. Geburtstag soll am Samstag, 27. November, ausführlich gefeiert werden: "30 Jahre ... und immer noch in Bewegung" ist die Veranstaltung überschrieben. Aus bewegten Zeiten heraus ist die Einrichtung auch entstanden.

Vorläufer war der Jugendclub der 70er Jahre, ein selbst organisierter und "deshalb politisch höchst umstrittener Treff" der jungen Freisinger, wie sich Stadtjugendpfleger Hartmut Fischer erinnert. 1976 zog der Stadtrat Konsequenzen und stellte mit Hans Neumaier, dem späteren Vize-Landrat der SPD, "jemanden ein, der sich darum kümmert", so Fischer. Als Vermittler zwischen den jungen Leuten und den skeptischen Kommunalpolitikern hätte er wohl fungieren sollen, doch "das hat nicht funktioniert, weil keine Seite das wirklich wollte".

Gleichzeitig ging es mit dem Jugendclub jedoch ohnehin dem Ende zu und Neumaier wurde beauftragt, die Einrichtung eines städtischen Jugendzentrums vorzubereiten. Auch ein Ferienprogramm wurde auf die Beine gestellt, doch die politischen Querelen dauerten an, bis sich schließlich ein Förderverein der Sache annahm und Überzeugungsarbeit leistete. Der ehemalige Isoliertrakt des Krankenhauses an der Kölblstraße wurde renoviert und in ein Jugendzentrum umgebaut, mehr als eine Million Mark investierte die Stadt am Ende in diese Form der Jugendarbeit.

Waren es anfangs vor allem Realschüler und Gymnasiasten, die den neuen Treff für sich entdeckten, mischten sich schnell auch die Schüler der umliegenden Hauptschulen unter das Publikum. Fischer, der 1980 zur Eröffnung des Zentrums eingestellt worden war, erinnert sich aus dieser Zeit schmunzelnd an unzählige Portionen Pommes Frites, die er für die neue Klientel mittags zubereitet hat: "Meine Hosen waren abends so fettig, die konnte ich in die Ecke stellen."

Heute trifft man sich im Jugendzentrum zum gemeinsamen Kochen - da sind Pommes nicht mehr so gefragt. Ein bisschen jünger ist das Publikum im Durchschnitt, und auch internationaler, das schon. Stefan Memmler, der seit 15 Jahren in der offenen Jugendarbeit in Freising tätig ist, hat zuletzt außerdem festgestellt, dass die Jugendlichen zunehmend Probleme mit der Ausbildung haben.

Speziell junge Leute mit Migrationshintergrund, aber auch aus sozial schwachen Familien seien betroffen. Ihnen helfe man, Bewerbungen zu schreiben und versuche, im Gespräch zu bleiben. "Die fallen da in ein Loch", bestätigt Fischer: "Sie gehen nicht mehr zur Schule, haben noch keine Arbeit, kein Geld, aber viel Zeit, also kommen sie zu uns ins Café." Für manche sei man da natürlich schon ein bisschen Familienersatz und übernehme Funktionen, "die von der Familie einfach nicht mehr erfüllt werden".

Doch das Haus ist auch aus anderen Gründen wichtig, weil es nämlich ein Haus mit vielen Räumen ist und sich die vielen verschiedenen Grüppchen der heutigen Jugendszene tatsächlich unter einem Dach treffen können. "Die wollen unter sich sein, ihre Musik hören, ihren Tanzstil tanzen", sagt Memmler. Auch junge Literaten und Philosophen treffen sich hier sowie eine Theatergruppe und etwa zehn Bands, die die Proberäume nutzen. In den vergangenen acht bis zehn Jahren hat sich eine enorme Jugendkulturszene entwickelt, darauf ist man im Jugendzentrum stolz.

Überhaupt lassen die Betreuer auf die oft gescholtene Jugend von heute nichts kommen. Klar gebe es immer mal welche, die Schwierigkeiten machen würden, Probleme mit Alkohol haben oder "es unbedingt wissen wollen", räumt Memmler ein. Im großen und ganzen werde die Autorität der Mitarbeiter jedoch akzeptiert und von einer generell aggressiveren Jugend könne keine Rede sein. Erwachsen müssen die jungen Leute halt werden, damals wie heute.

© SZ vom 25.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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