1250 Jahre alt:Das Geheimnis von Perahah

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Aus dem 762 erstmals erwähnten Ort wurde Hohenbercha oder Appercha - niemand weiß das so genau. Der Geburtstag aber wird gemeinsam gefeiert.

Petra Schnirch

Es ist eines der vielen Rätsel der Geschichte, das wohl niemand mehr lösen wird: Ist mit Perahah nun Hohenbercha oder aber das zwei Kilometer entfernte Appercha gemeint? Erstmals taucht der Ortsname 762 in einer Schenkungsurkunde an die Kirche auf. Weil die exakte Zuordnung nicht mehr möglich ist, feiern beide Ortschaften in diesem Jahr einfach gemeinsam ihr 1250-jähriges Bestehen, Ortschroniken aber gibt es zwei.

Vor Alfons Berger liegt das druckfrische Exemplar für Hohenbercha, mit blauem Einband und stattlichen 287 Seiten vor. Seit vielen Jahren erforscht der Hobbyhistoriker und Zweite Bürgermeister die Historie Kranzbergs und seiner Ortsteile. Akribisch hat er für Hohenbercha eine Chronologie der Anwesen zusammengestellt. Auch einige Schätze hat er im Archiv ausgegraben, etwa die Schülerchronik von 1950 bis 1968. Eine kurze Zusammenfassung dessen, was die Kinder damals so sehr beeindruckte, dass sie es aufgeschrieben haben, findet sich in der Chronik wieder.

Schon damals nannte ein Schüler Hohenbercha schwärmerisch das "Dorf der hunderttausend Rosen, das Dorf der schönsten Blumen, das Dorf der besten Obstsorten". Zumindest Ersteres mag etwas übertrieben sein. Doch auch für seine vier Kinder sei Hohenbercha "der schönste Platz auf der ganzen Welt" - auch ein Urlaub in Italien könne da nicht mithalten, sagt Gastwirt Andreas Hörger und schmunzelt. Der 220 Einwohner zählende Ort hat noch viel von dem, was ein Dorf lebenswert macht: einen Kramerladen, ein Wirtshaus mit Biergarten und fünf Vollerwerbslandwirte - Hohenbercha ist also auch tagsüber, anders als viele Neubaugebiete, nicht gänzlich ausgestorben.

In der Ortschaft kennt man sich, in den vergangenen Jahrzehnten seien nicht mehr als zehn Familien zugezogen, sagt Hörger und zitiert Studien, wonach Dörfer mit etwa 200 Einwohnern die ideale Größe hätten. "Man hält zusammen und kann trotzdem sein eigenes Leben führen", sagt der Gastwirt, der die Tafernwirtschaft 1998 mit seiner Frau Martina von seinem Vater übernahm. Der Schützenverein hat im Keller seinen Schießstand und es gibt auch noch zwei Stammtische. "Das ist sehr, sehr wichtig für die Ortschaft", meint Hörger. Da werde alles ausgeredet, das verhindere so manchen Streit. Als Symbol für den Zusammenhalt kann auch der Bau des neuen Feuerwehrgerätehauses angeführt werden. 3500 Arbeitsstunden investierten die Feuerwehrleute in das Gebäude - und Kommandant Hermann Hammerl meinte bei der Einweihung Ende Juli, dass die Schinderei auch Spaß gemacht habe.

"Orte, die ihren Wirt verhungern lassen, sind nichts wert", das habe seine Oma immer gesagt, erinnert sich Andreas Hörger. Auch in Hohenbercha gab es früher noch ein zweites Gasthaus. Die Hörgers aber seien über Generationen hinweg ganz besondere Wirtsleut, sagt Alfons Berger. Großvater Anderl Hörger war ein leidenschaftlicher Sänger - zusammen mit dem Gstanzlsänger Stoff (Josef Neumeyr) und Englbert Forster an der Zither ein unschlagbares Trio. "Früher haben die Leute im Wirtshaus jeden Tag gesungen", sagt Andreas Hörger. "Das hat das Dorf lebendig gemacht", meint auch Berger.

Profitiert hat die Tafernwirtschaft Hörger auch von der idyllischen Lage im Ampertal - und davon, dass sie von München aus gut zu erreichen ist. So entwickelte sich die Wirtschaft zu einer beliebten Ausflugsgaststätte. "Früher standen auf dem Parkplatz lauter Käfer", erzählt Hörger.

Oft beim Wirt war auch Korbinian Aigner, der als Apfelpfarrer weit über die Region hinaus als Pomologe bekannt ist und dessen Apfel-Aquarelle heuer auf der Documenta in Kassel zu sehen waren, er hat aus Hohenbercha ein blühendes Dorf gemacht. Nach dem Krieg baute er den Landesverband für Obst- und Gartenbau wieder auf und war kurze Zeit sogar Landesvorsitzender, am liebsten aber arbeitete er im großen Obstgarten des Pfarrhauses.

Der beliebte Pfarrer, der oft unter einer großen Buche saß und malte, wie Andreas Hörger aus Erzählungen weiß, war 1937 nach Hohenbercha gekommen. Strafversetzt, denn Aigner zeigte den Nationalsozialisten wiederholt die Stirn. So weigerte er sich am 29. März 1936, den "Friedensappell" des Führers zu befolgen und die Kirchenglocken zu läuten. Auch in Hohenbercha verhehlte er seine Haltung gegenüber den Nazis nicht und wurde von einer linientreuen Lehrerin denunziert. Nach sieben Monaten im Gefängnis kam er ins KZ Sachsenhausen und am 3. Oktober 1941 schließlich nach Dachau. Selbst unter diesen Umständen züchtete er aus Apfelkernen Bäumchen. Die Sorte "KZ 3", 1985 in Korbiniansapfel umbenannt", wächst auch heute noch in vielen Gärten der Umgebung.

1945 kam Aigner nach Hohenbercha zurück und blieb hier bis zu seinem Tod 1966 Pfarrer. Sein Erbe lebt weiter: 1995, 50 Jahre nach der Befreiung Aigners aus dem KZ, pflanzte der Schützenverein unter Schützenmeister Anderl Hörger entlang der Straße eine Allee aus Apfel- und Birnbäumen. Auch direkt vor dem 2006 erbauten Biohotel der Hörgers befinden sich, wie überall in der Ortschaft, Obstbäume.

Ein Wermutstropfen ist für Chronist Berger, dass sowohl das alte Pfarrhaus als auch das Schulhaus verkauft wurden. Das würde heutzutage wohl nicht mehr passieren, sagt er. Das Pfarrhaus ist ein eindrucksvolles Gebäude mit Walmdach aus dem Jahr 1791. Die Kirche verkaufte es 1972, um kurz darauf ein neues Haus zu bauen, weil doch wieder ein Pfarrer nach Hohenbercha kam. Immerhin: Die neuen Besitzer restaurierten das Bauwerk aufwendig. Berger spricht von einem "Mustergebäude", das prägend für das Dorf sei - und will sich gar nicht ausmalen, was die Gemeinde damit hätte machen können. Die Zeiten haben sich gewandelt,n auch eine Chronik könne beitragen, das Bewusstsein für die Geschichte eines Ortes und seiner Gebäude zu wecken, glaubt Berger.

Die Informationen zusammenzutragen, sei ein Puzzlespiel gewesen, schildert Berger. Dass er selbst in Kranzberg wohnt und nicht in Hohenbercha, sieht er nicht als Nachteil. Als Außenstehender sei man nicht "betriebsblind", meint er, allerdings habe er, gerade was die Chronologie der Anwesen betrifft, immer wieder nachfragen müssen. Seit der Gebietsreform 1971 gehört die ehemals selbständige Gemeinde Hohenbercha zu Kranzberg - der blieb dadurch das Schicksal erspart, nach Allershausen eingemeindet zu werden. Appercha dagegen ist ein Ortsteil von Fahrenzhausen. Zwei Gemeindearchive erfordern zwei Chronisten, gefeiert aber wird das Jubiläum gemeinsam.

© SZ vom 01.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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