SZ-Gespräch:"Sterben ist etwas ganz Individuelles"

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Früher hat Marianne Folger (links) selbst schwerkranke Menschen begleitet. Als Vorsitzende des Hospizvereins, hier im Gespräch mit Mitarbeiterin Barbara Mallmann, übernimmt sie nun mehr organisatorische Aufgaben. (Foto: Marco Einfeldt)

Marianne Folger ist Vorsitzende des Hospizvereins und hat viele Jahre lang selber Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet. Emotionale Distanz ist für sie dabei ein Ding der Unmöglichkeit

Interview von Laura Dahmer, Freising

Frisch herausgeputzt im Dirndl steht Marianne Folger im Türrahmen. Sie lächelt, ihre Augen leuchten freundlich. Ihr Auftreten steht im Kontrast zu dem, womit sie sich tagtäglich konfrontiert: dem Tod. Oder vielmehr dem schwierigen, oft langsamen Weg dorthin. 17 Jahre lang hat Marianne Folger als Hospizbegleiterin kranke Menschen in ihren letzten Tagen betreut. Inzwischen ist sie Vorsitzende der Hospizgruppe Freising und übernimmt vor allem organisatorische Aufgaben.

SZ: Wie kommt man dazu, Menschen beim Sterben begleiten zu wollen?

Marianne Folger: Das hat sich aus meiner Familie entwickelt. Ich habe mitbekommen, wie meine Großmutter im Seniorenheim gestorben ist. Meine andere Oma hat sich partout gegen Seniorenheim und Krankenhaus gewehrt. Wir haben sie zu Hause gepflegt, sie ist eingeschlafen, als ein Teil der Familie im Nebenzimmer Kaffee getrunken hat. Da habe ich realisiert, wie sinnvoll es ist, sich darum zu kümmern, dass die letzte Phase des Lebens vernünftig läuft - in meinen Großeltern hatte ich ein gutes und ein schlechtes Beispiel. Ich habe Hospizarbeit seitdem mit Interesse verfolgt, aber nie selbst gemacht. Dann wurde meine Mutter krank, und ich wusste, dass sie stirbt, nur nicht, wann. Da habe ich mich zur Sterbebegleiterin ausbilden lassen. Meine Mutter hatte etwas wie ALS - Amyotrophe Lateralsklerose, eine degenerative Nervenkrankheit - nur in Langform. Bei ihr hat es zehn Jahre gedauert.

Was kann man für Menschen tun, die wissen, dass sie in absehbarer Zeit sterben?

Das kommt ganz auf die Person an. Ich erinnere mich an eine Anfrage, einen älteren Herrn, der sagte: Er hätte gerne eine Hospizbegleitung, aber bitte niemanden in Birkenstock und vergammelten Jeans ( lacht). Gut, dann hat er jemanden ganz Feschen bekommen. Dieser Herr hatte das Bedürfnis zu erzählen - und zu erzählen und zu erzählen. Nachdem er seine Kriegserlebnisse aufgearbeitet hatte, konnte er loslassen und sterben. Ein anderer Patient war totaler Faschingsfan. Wir haben uns zusammen im Fernsehen einen Faschingszug angeschaut, es gab Krapfen und Sekt. Er durfte das weder essen noch trinken, aber es war da und er war glücklich. Am Ende ist Sterben etwas ganz Individuelles. Als Hospizbegleiter ist es ihre Aufgabe, aus Körpersprache und Ähnlichem abzuleiten, wie es jemandem geht und was er braucht. Das Wichtigste für die Menschen ist, in Würde zu sterben. Und das geht nur, wenn ich auf den Sterbenden eingehen kann.

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:Der Tod als ständiger Begleiter

Marianne Folger hat 17 Jahre lang schwerkranke Menschen betreut.

Tod und Sterben wirft auch viele Rechtsfragen auf, Sie sind Juristin. Verbindet sich Ihr Beruf mit der Hospizbegleitung?

Wir dürfen von Gesetzes wegen keine Rechtsberatung leisten, aber wir dürfen konkrete Fragen beantworten, die sich auf unsere Arbeit beziehen. Ich sage den Leuten vor allem: Tut bitte was, bevor es zu spät ist. Eine Patientenverfügung ist wichtig, noch wichtiger sind eigentlich Vorsorgevollmachten. Wenn sie bewusstlos sind oder verwirrt, brauchen sie jemanden, der für sie handeln und entscheiden kann. Ob sie 18 oder 80 sind, ist völlig gleich. Da sollte man sich früh und gut überlegen, ob und wem man eine solche Vollmacht erteilen möchte. Ich finde es so seltsam: Lebensversicherungen haben viele, Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht nur wenige. Einmal gemacht ist es abgelegt. Und dann da, wenn ich es brauche.

Das hängt vermutlich damit zusammen, dass das Thema Sterben ein unangenehmes ist, über das man nicht gerne redet.

Natürlich, keiner will gerne sterben. Aber wenn ich eine Lebensversicherung abschließe, kann ich die anderen Schritte doch auch machen. Gerade, weil es genauso Vorsorge für die Familie ist. Es kann vorkommen, dass sie lange von Geräten am Leben gehalten werden, und keiner darf sie abschalten. Ich kenne Familien, die ihr Haus verkaufen mussten, um die Pflegekosten zu zahlen. Darüber muss man vorher reden und darf es nicht totschweigen.

Dennoch ist und bleibt der Tod etwas Unangenehmes, dem man als Hospizbegleiter ständig ausgesetzt ist. Wie schafft man es, sich emotional davon zu distanzieren?

Gar nicht. Sie sind immer von einem Sterbefall berührt. Das ist nicht wie im Büro, wo sie die Akte zu machen und heimgehen. Je länger sie für einen Patienten da sind, desto schwieriger wird es. Es wird ein Teil ihres Lebens. Deshalb kümmert sich eine Koordinatorin der Hospizgruppe um sie, einmal im Monat gibt es Supervisionen, um die Erlebnisse zu verarbeiten. Denn man muss aufpassen, dass man sich nicht zu sehr vereinnahmen lässt. Ich bin in den Ferien immer in unser Wochenendhäuschen gefahren. Dann hat eine andere Hospizbegleiterin übernommen. Natürlich war der Patient davon nicht begeistert, ich selbst auch oft nicht. Aber es hat mir geholfen, mich wieder zu erden. Wir Hospizbegleiter haben alle etwas, das uns am Ende des Tages aufrichtet - die einen fahren in die Natur, die anderen verbringen Zeit mit ihren Enkeln, musizieren. Es ist sehr wichtig, eine Grenze ziehen zu können.

Sind Sie an diese Grenze selbst schon einmal gestoßen?

Meine letzte Begleitung war sehr belastend, weil es um eine Person ging, mit der ich befreundet war. Dann wird es richtig schwierig. Aber es war schön, das zu erfüllen, was sie sich gewünscht hat: Dass sie bis zum Ende zu Hause sein kann. Das wünscht sich fast jeder. Als Hospizbegleiter versuchen wir, das zu ermöglichen.

© SZ vom 05.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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