Kritik am Freihandelsabkommen TTIP:"Gewinner sind die Global Player"

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Rainer Forster ist Sprecher bei "Unfairhandelbar", dem Freisinger Ableger der europäischen Bürgerinitiative Stopp TTIP. (Foto: Marco Einfeldt)

Rainer Forster, Diözesansekretär für die Region Nord des Bistums München-Freising, ist Sprecher der Initiative "Unfairhandelbar". Er fordert tragfähige soziale und ökologische Alternativen zu dem umstrittenen Handelsabkommen.

Von Alexandra Vettori, Freising

Die Mehrheit der Deutschen erwartet nichts Gutes von dem Freihandelsabkommen TTIP, das die Europäische Union noch heuer mit den Vereinigten Staaten abschließen möchte. 43 Prozent erwarten sogar Schlechtes, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab. Einer, der ebenfalls wenig von dem Abkommen in der jetzt diskutierten Form hält, ist Rainer Forster, Diözesansekretär für die Region Nord des Bistums München-Freising. Er ist Sprecher bei "Unfairhandelbar", dem Freisinger Ableger der europäischen Bürgerinitiative Stopp TTIP.

SZ: Warum engagieren Sie sich gegen TTIP?

Forster: Die Katholische Arbeitnehmer Bewegung (KAB) setzt sich seit mehr als 165 Jahren für soziale Gerechtigkeit und gute Arbeit ein. Uns geht es um eine Wirtschaft, die den Menschen dient und den Planeten schützt. Als Diözesansekretär gehört es zu meinen Aufgaben, diese Themen in kirchlichen Gruppen und der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die Vernetzung mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren und Parteien gehört ebenfalls zu meiner Arbeit. Unser Freisinger TTIP-Bündnis ist nicht hierarchisch organisiert, nur der Impuls ging von der KAB aus und dann bekommt man schnell den Hut aufgesetzt.

Ein Handelsabkommen zwischen EU und den USA - da kommen Ohnmachtsgefühle auf. Lohnt sich Widerstand?

Derzeit üben die Lobbygruppen der Industrie und Finanzwirtschaft Druck auf Regierungen aus. Politiker haben Hemmungen, ihre Machtlosigkeit einzugestehen. Sie sagen dann lieber, ihre Politik sei ohne Alternative. Unsere Aufgabe als Zivilgesellschaft ist es, tragfähige soziale und ökologische Alternativen zu entwickeln. Leider müssen wir zu oft, wie jetzt mit TTIP und CETA, erst eine falsche Entwicklung stoppen. Dass das gelingen kann, hat schon der Protest gegen das Multilaterale Investitionsschutzabkommen (MAI) vor 15 Jahren gezeigt. Hier war der Protest in Frankreich ausschlaggebend. Mit dem ACTA-Abkommen wollten große Konzerne 2011 ihre Marktposition gegen die aufkommende Sharing-Economy verteidigen. Gerade die Jugend ging im Internet auf die Barrikaden und erreichte ein Ende der Gespräche. Auch die Pläne zur Wasserprivatisierung wurden dank Bürgerinitiativen gestoppt.

Umfragen zeigen, dass sich die EU-Bürger schlecht informiert fühlen.

In Deutschland und Österreich haben die Medien bereits intensiv berichtet. Ich bin positiv überrascht, dass sich so viele Menschen plötzlich für Wirtschaftspolitik interessieren. Gerade im Landkreis haben wir viele umweltpolitisch sensibilisierte Bürger, die sich engagieren. Aber es gibt natürlich immer noch Menschen, die von den geplanten Abkommen nichts gehört haben.

Wie ist der Stand der Verhandlungen?

Bisher gab es acht Verhandlungsrunden, ab 20. April geht es in Runde neun. Es wird deutlich, dass es zwischen EU und USA erhebliche Differenzen gibt. Ursprünglich war der Abschluss 2014 vorgesehen, jetzt geht man von Ende 2015 aus. Beobachter glauben nicht, dass Barack Obama noch Präsident ist, sollte TTIP tatsächlich noch kommen.

Welche Bereiche des täglichen Lebens sind am meisten betroffen?

Vertreter von Wirtschaftslobby und Regierung verbreiten Ängste mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, wenn der Freihandel nicht forciert und Zölle nicht gesenkt werden und wenn Investitionen und freier Kapitalverkehr reguliert bleiben sollen. Mit dieser Freihandelslogik werden weiter Gewinne privatisiert und Kosten und Risiken sozialisiert. Wir werden die fehlenden Staatseinnahmen durch wegfallende Zölle und die als Handelshemmnisse bezeichneten Steuern mit einer höheren Abgabenquote bezahlen, unter dem finanziellen Druck die öffentliche Daseinsvorsorge einschränken oder gewinnorientierten Konzernen überlassen.

Viel Protest kommt aus der Landwirtschaft. Warum?

Die Agrarindustrie auf beiden Seiten des Atlantiks will mit TTIP und CETA industrielle Standards durchsetzen. In Amerika darf Klon- und Hormonfleisch verkauft werden, wie auch Milch von Kühen, die mit genetisch erzeugten Wachstumshormonen behandelt wurden. Geflügelfleisch wird in den USA mit Chlor behandelt, für gentechnisch veränderte Pflanzen gibt es weder ein durchgängiges, stringentes Zulassungsverfahren noch eine Kennzeichnungspflicht. Den Freisinger Bauern und Verbrauchern bringen diese Abkommen keine Vorteile.

Auch viele Kommunen protestieren.

Oft wird behauptet, gewinnorientierte Firmen würden effektiver wirtschaften. Essenzielle Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, wie Bildung, Gesundheit, Wasser, Energie und Verkehr, dürfen nicht privatisiert werden. Sie müssen allen zugänglich sein und hohen Standards genügen. Den nötigen Gestaltungsspielraum auf kommunaler Ebene drohen die TTIP-Verhandlungen zu beschneiden, mehr Druck in Richtung Privatisierung ist zu erwarten. Das Engagement gegen TTIP im Kreistag und in vielen kommunalen Gremien im Landkreis ist für uns sehr ermutigend.

Man redet meist nur von Vorteilen für amerikanischen Konzerne. Wie sehen die Interessen der deutschen und europäischen Konzerne aus?

Zu den Gewinnern auf beiden Seiten des Atlantiks würden die Global Player zählen. Der Mittelstand und Kleinunternehmen sehen TTIP ebenfalls kritisch. Plötzlich gibt es Gemeinsamkeiten der Gewerkschaft mit dem Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft. Der Bund der Selbständigen befragte seine Mitglieder, 68 Prozent erwarten keine positiven Effekte von TTIP und 23 Prozent fürchten negative Auswirkungen.

Könnte es sein, dass "STOP TTIP" noch als Bürgerinitiative in der EU anerkannt wird und sich der Erfolg von Righttowater wiederholt?

Der EU-Gerichtshof prüft vermutlich noch bis September die Klage. Unabhängig davon setzen wir unsere Kampagne fort. Auch ohne TTIP und CETA müssen wir unsere Vorstellungen von gut Wirtschaften weiter verbreiten. Mit dem Alternativen Handelsmandat (ATM), an dem 50 weltweit vernetzte Gruppen aus der Zivilgesellschaft mitgewirkt haben, gibt es eine echte Perspektive auf die wichtigen Fragen unserer Zeit: Wie können wir in den ökologischen Grenzen des Planeten wirtschaften und dabei gute, fair bezahlte Arbeit sichern? Wie können wir Ernährungssouveränität für alle erreichen?

Wer macht beim Unfairhandelbar Freising mit und was ist die nächste Aktion?

Erste Veranstaltungen der KAB gab es schon 2014. Bündnispartner von TTIP und "Fairhandelbar" sind: Gewerkschaften, Bund Naturschutz, Landesbund für Vogelschutz, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Katholische Landjugendbewegung, Bund der Milchviehhalter, Naturfreunde, Tagwerk und Freisinger Land. Aktiv beteiligt sich Bertram Böhm, der auch im Landesvorstand von "Mehr Demokratie" sitzt. Dazu Privatpersonen, Wählergruppen und die Kreisverbände von Grünen, Linke, SPD und ÖDP. Am Donnerstag, 16. April, um 19 Uhr, stellen wir unser Bündnis im Asam-Foyer vor und rufen zur Teilnahme an der Demo am Samstag, 18. April, in München auf. Auch den 30. April sollte man sich freihalten, dann gibt es auf dem Freisinger Domberg eine Podiumsdiskussion.

© SZ vom 13.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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