Freisinger Schicksale:Rundgang zum Gedenken

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Guido Hoyer (rechts), bei einer Demonstration im Jahr 2019, ist in seinem Kampf gegen Antisemitismus seit Jahren beharrlich. (Foto: Marco Einfeldt)

Der Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten geht in der Altstadt die früheren Wohn- und Arbeitsstätten jüdischer Mitbürger ab, um an die von Nazis gesteuerten Novemberpogrome zu erinnern

Von Thilo Schröder, Freising

Nach der Gedenkfeier am 9. November am Kriegerdenkmal in Freising zur Erinnerung an die von Nazis gesteuerten Novemberpogrome hat am Sonntag der zweite Teil der Veranstaltung stattgefunden: ein Rundgang durch die Freisinger Altstadt entlang einstiger jüdischer Wohn- und Arbeitsstätten. Aufgerufen hatte der Kreisverband Freising-Moosburg der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA).

Geschätzt 30 bis 40 Menschen versammelten sich am Nachmittag neben der Mariensäule, um den Worten von Guido Hoyer (Linke) zu lauschen. Der Politikwissenschaftler und Stadtrat befasst sich schon seit Längerem mit den Schicksalen jüdischer Mitbürger in Freising. Im März will er dazu ein Buch veröffentlichen: eine Gesamtdarstellung der Geschehnisse im Landkreis Freising.

Wie bereits in der Vorwoche war auch am Sonntag zur selben Zeit eine mutmaßlich rechtsgerichtete Kundgebung am Kriegerdenkmal angemeldet, laut Landratsamt unter dem provokanten Titel "Nationales Heldengedenken". Provokant, weil Sonntag zugleich Volkstrauertag war; an diesem Tag wird Kriegstoten und Opfern von Gewaltherrschaft gedacht. Genau wie in der Vorwoche sagten die Veranstalter aber im Vorfeld ab, wie die Polizei am Ort bestätigte.

Der Rundgang begann in der Unteren Hauptstraße, Ecke Brennergasse. Auf dem gepflasterten Bürgersteig sind zwei Stolpersteine aus Messing eingelassen, erst vor Kurzem wurden sie gesäubert. In dem Eckhaus lebte einst die Familie Lewin. Marcus Lewin (geboren 1870, gestorben 1942 in München) sei "sehr wohlhabend" gewesen, so Hoyer, und deshalb verdächtigt worden, er würde sich Frauen kaufen; die Gestapo habe dahingehend aber nie Untersuchungen eingeleitet.

Lewin kam 1938 in ein Internierungslager in Berg am Laim. Im Juli 1942, kurz vor dem Abtransport in ein Vernichtungslager, beging er Selbstmord. Seine Frau und eine Tochter starben ebenfalls in Lagern. Einer zweiten Tochter, Hildegard Lewin, geboren 1910, gelang 1939 die Flucht nach England. Sie sei eine von nur zwei überlebenden Juden in Freising, sagte Hoyer.

Der zweite Überlebende war Martin Holzer. Dessen Familie sei in das Freisinger Stadtleben "bestens integriert" gewesen, und von vielen Seiten dafür gelobt worden, so Hoyer mit Verweis auf damalige Aufzeichnungen. Siegfried Holzer, Bruder von Martin Holzer, habe sich 1914 als Freiwilliger für den Wehrdienst im Ersten Weltkrieg gemeldet, wollte Offizier werden; das Bezirksamt habe ihm aber die Beförderung verwehrt.

Die zweite Station des Rundgangs führte an den Roider-Jackl-Brunnen. Daneben, wo heute das Geschäft Blumenhandwerk untergebracht ist, lebte zu Zeiten des Dritten Reiches die jüdische Familie Neuburger. Schon vor der Machtergreifung der NSDAP seien die Neuburgers diffamiert worden, sagte Hoyer. Wenn sie zum Kaffeetrinken im Bayerischen Hof gastierten, hätten Menschen skandiert: "Wir wollen keine Judenrepublik! Schmeißt sie raus, die Hakennasen!" Der Bayerische Hof diente den Nationalsozialisten in Freising später als deren Hauptquartier, der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, soll hier sein Debüt als Redner gehabt haben.

Es habe während der Weimarer Republik aber auch Protest gegen den zunehmenden Antisemitismus gegeben, sagte Hoyer. Etwa seitens der freien Gewerkschaften, die eine eigene Zeitung in Freising betrieben. In einer Faschingsnummer hätten sie sich über die Rassenlehre und deren einseitige Anwendung amüsiert. Zugleich verwies Hoyer auf die weit zurückreichenden Wurzeln des Judenhasses. Bereits 1895 habe sich ein Antisemitischer Volksbund in Freising gegründet, dem prompt 30 Menschen beitraten. Hetze und Boykotte habe es ebenfalls schon lange vor dem Dritten Reich gegeben.

© SZ vom 18.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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