Aus dem Stadtarchiv:Säurefrei verpackte Geschichte

Lesezeit: 3 min

Der Freisinger Stadtarchivar Matthias Lebegern behandelt die historischen Unterlagen mit größter Sorgfalt. (Foto: Marco Einfeldt)

Das Stadtarchiv ist eine Art Gedächtnis von Freising. Private Nachlässe gehören ebenso zum Inventar wie amtliche Dokumente und Protokolle von Sitzungen. Untergebracht ist das Archiv im Keller der einstigen Vimy-Kaserne.

Von Peter Becker, Freising

Stadtarchiv, das Wort löst Vorstellungen aus. Im Kopf entstehen Bilder von endlos langen Reihen staubiger Aktenordner mit vergilbtem Papier. Das Archiv ist aber auch eine Art Gedächtnis der Stadt. Verwaltungsakte, Stadtratsentscheidungen, Vereinsdokumente und persönliche Nachlässe sind dort im Magazin verwahrt und werden zu Nachforschungszwecken freigegeben. Die Freisinger SZ wirft in einer Serie einen Blick hinter die Kulissen des Freisinger Stadtarchivs.

Matthias Lebegern zwickt eine rostige Büroklammer aus einer Lage Papier, die Tagesordnung einer Kreistagssitzung aus dem Jahr 1982 steht darauf. Der Freisinger Stadtarchivar beschäftigt sich gerade mit dem schriftlichen Nachlass von Peter Westermeier. Dieser saß von den Sechziger- bis in die Achtzigerjahre hinein für die SPD im Stadtrat und im Kreistag. Besonders intensiv hat er sich mit der Verkehrspolitik und dem Wohnungsbau beschäftigt. Westermeier hat unter anderem für sein persönliches Archiv Zeitungsausschnitte gesammelt. Und eben jene Unterlagen zu den Sitzungen im Kreistag und seinen Gremien, denen er angehörte. Auf deren Rand schrieb er Notizen.

Aus dem Nachlass von Westermeier "lässt sich ein heutiges Bild der Stadtratspolitik von den Sechziger- bis in die Siebzigerjahre zeichnen", erklärt Lebegern und entfernt mit einer Bürste etwaigen Staub von der Tagesordnung der Kreistagssitzung. Die Aufgabe des Stadtarchivars besteht darin, die gesammelten Werke von Westermeier auf ihren Zustand hin zu überprüfen. Metall muss entfernt werden. "Das löst chemische Prozesse aus", erklärt Lebegern. Das gleiche gilt für Klarsichthüllen. Das Papier der Dokumente verklebt im Laufe der Zeit mit deren Plastik. Mit etwas Pech befindet sich dann auf der Klarsichthülle der Text, der eigentlich auf dem Papier stehen sollte. In einem speziell für die Archivverwaltung entworfenem Computerprogramm ordnet Lebegern die Informationen dann dem Bestand zu, den er für Peter Westermeier angelegt hat.

Alles ist genau geregelt: Raumtemperatur 15 Grad, maximal 60 Prozent Lufttemperatur

Ist ein Dokument erfasst, legt es Lebegern in eine säurefreie Mappe, die den Zerfallsprozess des Papiers verlangsamt. Sie ist beschriftet und wandert in einen ebenfalls säurefreien Karton mit einer Signatur. Alles, was er dem SPD-Politiker zuordnet, steht später in einem so genannten Findbuch. Für jeden, der sich für Peter Westermeier oder die Arbeit des Kreistags im Jahre 1982 interessiert, sind die Dokumente, die später nach ihrer vollständigen Bearbeitung im Magazin im Keller des Stadtarchivs aufbewahrt werden, deshalb rasch auffindbar. So wächst nach und nach der Wissensschatz des Stadtarchivs. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Dokumente der Stadtverwaltung, die historisch oder rechtlich von Bedeutung sind, aufzubewahren. Dem können sich persönliche Nachlässe wie der Westermeiers sowie Archive von Firmen und Vereinen und weitere Sammlungsstücke dazugesellen. "Es unterscheidet sich von einem Museum", verdeutlicht Lebegern. Denn das präsentiert neben einiger schriftlicher Dokumente überwiegend historische Gegenstände.

Eine Stadt ist verpflichtet, ein Archiv zu führen. Der ursprüngliche Sinn besteht darin, Beschlüsse des Stadtrats und die Umsetzung durch die Verwaltung nachvollziehen zu können. Freising hat sein Magazin im Keller der ehemaligen Vimy-Kaserne untergebracht. Dort herrscht eine konstante Temperatur von 15 Grad. Die Luftfeuchtigkeit sollte 60 Prozent nicht überschreiten. "Sonst bildet sich Schimmel", erklärt Lebegern. Eine vergitterte Tür versperrt den Zugang. Durch sie gelangt der Besucher in einen langen Gang, dessen linke Seite Regale mit Aktenordnern säumen. Hier scheint es, gibt es noch über Jahrzehnte genug für Stadtarchivare zu tun. Rechts vom Hauptgang zweigen Zugänge zu Räumen ab, in denen sich bereits bearbeitete Dokumente befinden.

Dokumente werden erst nach 30 Jahren öffentlich gemacht

Die Arbeit geht den Stadtarchivaren ja nicht aus. Stadtrat und Verwaltung produzieren Jahr für Jahr neue Akten. "Das was in den vergangenen zehn Jahren beschlossen wurde, lagert noch in der Registratur im Amt", erklärt Lebegern. "Es könnte noch für Vergleichsfälle gebraucht werden." Was im Magazin landet, ist einer archivischen Bewertungsentscheidung unterworfen. Diese unternehmen Archivare und Ämter gemeinsam. Was historisch relevant ist, geht mit entsprechender zeitlicher Verzögerung ins Archiv. Lebegern nennt als Beispiel die Entscheidungen zur Sanierung des Asamgebäudes oder die Belange der Städtepartnerschaften. Was nicht relevant ist, wird kassiert, das heißt weggeworfen. Etwa Strafzettel. "Die interessieren niemanden mehr", sagt Lebegern. Höchstens ein paar Beispielexemplare werden aufgehoben, um bei einer Reform des Bußgeldes Vergleichsmöglichkeiten zu haben.

Nicht alles, was das Forscherherz begehrt, steht sofort zur Verfügung. Denn Dokumente werden erst nach einer Frist von 30 Jahren öffentlich gemacht. Wer also in den Akten des ehemaligen Volksfestreferenten Erich Bröckl, die im langen Hauptgang einige Meter einnehmen, blicken möchte, wird dies nur bis zum Jahr 1989 tun können. Doch keine Regel ohne Ausnahme. Bei wichtigen Angelegenheiten, etwa einer Masterarbeit, kann ein Antrag auf Schutzzeitentbindung gestellt werden. "Das zieht ein Verfahren mit Gutachten nach sich", erklärt Lebegern. Da entscheidet am Ende der Oberbürgermeister."Ansonsten kann der Bürger mit jeder Frage zu uns kommen, wenn er in den historischen Unterlagen nachlesen will", betont Lebegern.

© SZ vom 05.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: