Mobilität in Freising:"Die Radfahrer müssen präsenter werden"

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Karl Auerswald, Mitinitiator des Freisinger Radbegehrens, meint, es sei an der Zeit, dass Fahrrädern genug Platz im Straßenverkehr eingeräumt wird.

Interview von Friederike Streib, Freising

"Aus beruflicher Perspektive sehe ich die Brisanz des Klimawandels deutlich", sagt Karl Auerswald. Er ist Professor an der TUM Weihenstephan und forscht am Lehrstuhl für Grünlandlehre. Themen wie Klimaschutz und Verkehr sind ihm sowohl beruflich als auch privat wichtig. Als ein Mitinitiator des Radbegehrens setzt er sich für ein fahrradfreundlicheres Freising ein. Rund 1000 Unterschriften konnten in den vergangenen drei Wochen schon gesammelt werden.

SZ: Sie engagieren sich für das Freisinger Radbegehren und waren beim Bürgerbegehren zur Westtangente dabei. Ist dies für Sie ein erfolgreiches Mittel der politischen Beteiligung?

Karl Auerswald: Auf alle Fälle! Man hat oft das Gefühl, man macht ein Kreuz bei der Wahl, aber was passiert dann damit? Bei einem Begehren kann man was tun und hat das Gefühl, man kann sich mehr einsetzen. Das ist gelebte Demokratie.

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:Den Blick immer nach vorne

Karl Auerswald ist Professor und kämpft für das Radbegehren.

Von Friederike Streib

Was gab den Anstoß dafür, ein Radbegehren in Freising zu starten?

Die Westtangente ist kurz vor der Fertigstellung. Damals ist von den Befürwortern versprochen worden, wir tun auch was für die anderen Verkehrsteilnehmer. Das ist aber nicht passiert. Der Fahrradverkehr macht in Freising immerhin 40 Prozent aus.

Welche konkreten Probleme gibt es in Freising für Radfahrer?

Ich glaube, es ist fast überall das Gleiche. Die vorgeschriebenen Sicherheitsabstände werden nicht eingehalten.

Was sind Ihre Forderungen?

Es soll 2,30 Meter breite Radwege an Straßen geben. Dort, wo es nicht geht, gibt es zwei ziemlich billige und probate Mittel: Tempo 30 oder Fahrradstraße. Und Abstellanlagen. Ein Beispiel: Das Fahrrad meiner Tochter braucht mindestens den zehnfachen Unterhaltsaufwand im Vergleich zu meinem Fahrrad, weil es vor der Schule ungeschützt steht. Es gibt keinen überdachten Abstellplatz, nicht mal vor Schulen.

Sind sie zuversichtlich, dass Sie die benötigten 3000 Unterschriften zusammen bekommen?

In anderen Städten gingen die Unterschriftenzahlen weit über das Ziel hinaus und ich kann mir nicht vorstellen, dass das in Freising wesentlich anders sein wird. Zudem werden wir noch präsenter werden beim Unterschriftensammeln.

Fast alle Parteien sprechen in ihren Wahlprogrammen vom Ausbau der Radwege. Warum braucht es da noch ein Radbegehren?

Das ist eine gute Frage. Warum braucht es das überhaupt noch? Ich bin Mitglied beim Runden-Radl-Tisch in Freising. Es gibt jede Menge Konzepte, aber am Ende fehlt es an der Umsetzung. Was das Radbegehren leisten kann, ist ein starkes Votum, das der Verwaltung, dem Stadtrat mitgegeben werden kann. Alle zehn Jahre wird ein neues Radverkehrskonzept gemacht, aber nicht umgesetzt, dann beauftragt man ein neues Planungsbüro und so geht es weiter. Wir haben schon wahnsinnig viel Geld in solche Konzepte reingesteckt.

Warum hat sich so wenig getan?

Das Auto ist natürlich ein ganz starkes Votum. Es steht da in der Straße und sagt die ganze Zeit: "Ich brauche Platz". Radfahrer waren nicht präsent genug für Politiker und das muss sich jetzt ändern.

Was erhoffen Sie sich durch bessere und mehr Radwege?

Viel! Da wären einmal natürlich der Klimaschutz und die Sicherheit. An Kopenhagen, das ähnlich wie Freising total zu war mit Autoverkehr und dann eine andere Politik verfolgt hat, sieht man, dass auch die Gesundheitskosten deutlich sinken.

Was bedeutet Radfahren für Sie persönlich?

Ich fahre im Sommer rund 100 Kilometer in der Woche, weil ich auch meine Dienstreisen mit dem Fahrrad mache. Und am Freitag zum Metzger, da fahr ich so 60 Kilometer . . . Er ist erstens sehr gut und außerdem tut mir das gut. Wenn ich mit meinen Kindern fahre, kann ich Druck abbauen, entschleunigen. Es zählt aber auch das Miteinander mit der Familie.

Nun hat Radfahren viel mit Nachhaltigkeit zu tun. Sie sind Professor für Grünlandlehre. In wie weit spielt das Thema in Ihrer Forschung eine Rolle?

Erosion ist seit meiner Doktorarbeit eines meiner großen Themen. Unsere Böden sind 10 000 Jahre alt, da kommen sie auf eine Bildung von einen Zehntel Millimeter Boden pro Jahr, abgetragen werden ein bis zwei Millimeter - das ist also nicht nachhaltig. Ich setze mich mit dem Klimawandel ziemlich stark auseinander und sehe die Brisanz bei meiner Arbeit.

Welche Veränderungen sehen Sie bei ihrer Forschung?

Eine der bestimmenden Bilder in der Klimawandeldiskussion ist ja: "Hey, es wird ganz dramatisch werden." In Wahrheit ist es aber so, dass wir ein ganz schlechtes Gedächtnis haben und dieser Wandel so allmählich geht, dass wir ihn gar nicht mitbekommen. Das kann ich sehr gut an der Bodenerosion erläutern, ich beobachte das seit 40 Jahren. Die Erosion durch Regen hat sich verdoppelt in meiner Lebenszeit. Was bedeutet, dass heute jedes Jahr doppelt so viel abgetragen wird. Und das ist eine Folge des Klimawandels. Das ist dramatisch, aber wir kriegen es nicht mit, weil es jedes Jahr nur ein bisschen mehr ist. Und deswegen unterschätzen wir das gewaltig.

Wie sehen Sie dem Klimawandel entgegen?

Ich weiß auch nicht. Ich bin von meiner Grundstimmung ein ziemlich optimistischer Mensch. Aber da bin ich wirklich pessimistisch, das macht mir wirklich Sorge. Wir trauen uns so wenig. Wir könnten so viel, aber wir trauen uns so wenig.

Worin setzen Sie dann ihre Hoffnung?

Wir müssen alle ran. Wir machen ein Radbegehren. Man kann sagen: Mei, Freising ist ein kleiner Fleck auf der Welt, was soll das. Aber ein anderer verbessert die Leistungsfähigkeit einer Solarzelle. Ich kann am Fleischkonsum ansetzen und versuchen, andere zu überzeugen. Wir müssen alle etwas tun und einen Anfang machen.

© SZ vom 02.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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