Freising:Pferde brauchen Freunde

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Am Wissenschaftszentrum Weihenstephan ist ein Bewertungssystem entwickelt worden, mit dem tiergerechte Ställe zertifiziert werden können. Einbezogen wird dabei auch die Frage, ob sich die Tiere wohlfühlen

Von Katharina Aurich, Freising

Die Haltungsbedingungen für landwirtschaftliche Nutztiere werden zunehmend kritisiert und Verbraucher für dieses Thema sensibilisiert. Es gibt jedoch nicht nur in den Schweine- oder Rinderställen einiges zu verbessern, sondern auch in der Haltung des Freizeitpartners Pferd.

Dazu hat die Tierärztin Miriam Baumgartner in einem gemeinsamen Projekt mit Margit Zeitler-Feicht am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München das sogenannte Weihenstephaner Bewertungssystem entwickelt, um tiergerechte Pferdeställe zu zertifizieren. Für ihre Arbeit erhielt die Wissenschaftlerin kürzlich die mit 3000 Euro dotierte "Tierwohl-Medaille 2015" der Firma Boehringer Ingelheim.

Rund 80 Prozent aller Pferde in Deutschland werden in Einzelboxen gehalten. Die Folge: Die hoch sozialen Herdentiere vereinsamen und können ihr natürliches Verhaltensrepertoire nicht ausleben, wie die Tierärztin schildert. Zu diesem Verhalten gehöre beispielsweise auch, sich mindestens zwölf Stunden täglich mit der Futtersuche und Futteraufnahme zu beschäftigen und mehrstündige Fresspausen einzulegen. Dies sei nicht möglich, wenn - wie in vielen Ställen üblich - nur zweimal am Tag das Heu in die Raufe geworfen werde. Im Alter von durchschnittlich neun Jahren könnten Pferde in Deutschland bereits nicht mehr geritten werden, sie kämen dann zum Schlachthof oder erhielten ein Gnadenbrot. Eigentlich könnten sie jedoch je nach Rasse 25 bis 30 Jahre alt werden.

Baumgartner hat nun ein Bewertungssystem entwickelt, das nicht nur die messbaren Fakten eines Stalls einbezieht, sondern auch darüber Auskunft gibt, ob sich Pferde wohl fühlen, leiden oder Schmerzen haben. Ziel des Projekts ist ein einheitlicher Maßstab für die Beurteilung von Pferdehaltungen und die Vergabe eines Qualitätssiegels für besonders tiergerechte Ställe. Als messbare Kriterien gehen zum Beispiel Sichtkontakt und Berührungen mit Artgenossen in die Bewertung ein, die Größe und Beschaffenheit der Liegefläche und die Frage, ob die Tiere möglicherweise verletzt sind. Auch immer wiederkehrende Verhaltensauffälligkeiten oder Aggressionen lassen sich genau festhalten.

Viel schwieriger ist es jedoch zu beweisen, dass sich ein Pferd wohl fühlt. Dafür beobachteten Baumgartner und ihre Mitarbeiter Pferde in unterschiedlichen Ställen. Wenn die Tiere die Nähe zu einem Artgenossen suchen, Zeit nebeneinander verbringen, zeigen sie, dass sie einen Freund haben und sich wohlfühlen, lautet ein Fazit. Das Spielverhalten erwachsener Tiere erwies sich dagegen als kein guter Indikator, da Pferde auch zum Stressabbau spielen. Das "Weihenstephaner Bewertungssystem" berücksichtigt zudem Umweltwirkungen wie beispielsweise die Nitrat-Belastung des Grundwassers durch unzureichend gepflegte Pferdeausläufe.

Nach Abschluss weiterer Forschungsarbeiten ist ein Schulungszentrum für Betriebsleiter und Berater geplant. Letztere sollen nicht nur zertifizieren, sondern auch mit Hilfe des Bewertungssystems Schwachstellen in Ställen analysieren und Pensionspferdehaltern Maßnahmen zur Optimierung an die Hand geben. Wird ein Betrieb zertifiziert, soll die Gültigkeit der Plakette durch unangekündigte Folgeinspektionen fortwährend garantiert werden, schildert Baumgartner.

© SZ vom 06.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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