Freisinger Coach:Alles eine Frage der Ordnung

Lesezeit: 5 min

Markéta Lübben räumt auf: Das Bild zeigt die Ordnungsfanatikerin bei der Arbeit. (Foto: privat)

Markéta Lübben hilft Menschen dabei, endlich das eigene Zuhause effektiv aufzuräumen. Dabei begibt sie sich gemeinsam mit ihren Klienten auf einen über die bloße häusliche Ordnung hinausgehenden Pfad.

Von Tobias Merk, Freising

Markéta Lübben lebt ordentlich - sehr ordentlich sogar. Doch das war nicht immer so. Aufgewachsen ist sie mit ihren beiden Schwestern in einem kleinen Zimmer, das sie sich zu dritt teilten, so war ihre Kindheit arg von Enge geprägt. "Da quillte unser Schrank gerne mal über", blickt die in Prag großgewordene Mutter zweier erwachsener Kinder auf ihre ersten Ordnungserfahrungen zurück. Auch als ihr in späteren Lebensphasen ein großzügigerer Wohnraum zur Verfügung stand, konnte sie nicht sofort einen vollkommenen Überblick über das eigene Hab und Gut erlangen. Bei ihr "hatten sich gewisse Ordnungsmuster eingebrannt", wodurch die vormals beengten Verhältnisse fortwirkten, auch wenn nun mehr Raum zur Entfaltung für sie verfügbar war. "Ich musste eine längere Wegstrecke zu meinem eigenen Ordnungsprinzip gehen", reflektiert die mittlerweile in Freising beheimatete und hier auch als Künstlerin bekannte 52-Jährige.

Bestehende Zusammenhänge zwischen "innerer und äußerer Ordnung" seien ihr schon beim Zusammenleben mit ihrer Familie in Tschechien bewusst geworden. Doch nachdem sie die Liebe nach nach Bayern geführt und sie eine eigene Familie gegründet hatte, habe sie ihr "konzeptionelles Denken zunehmend verbessern" können. In ihrem eigenen Reich verfolgte sie dabei die Prämisse, "besitze nur Dinge, die dich auch glücklich machen". Mit dieser Denkweise habe sie sich "nach und nach von all dem angesammelten Ballast" befreien können.

Ganz schön aufgeräumt: Ein Beispiel von der Arbeit einer Ordnungsfanatikerin. (Foto: privat)

Inspiration für diese Lebensphilosophie fand sie vor allem bei der Lektüre der Ordnungsprinzipien der britischen Autorin Karen Kingston. Nach dieser gelte es beim Aufräumen sich zuvorderst zu fragen: "Verwende ich diesen Gegenstand überhaupt noch?" Was nicht gebraucht wird, könne weg. "Wo ist der Sinn, sich mit unnötigem Kram vollzuladen?", ist Lübben von dieser Denkweise überzeugt. Um kräftig auszumisten, seien vor allem Umzugskartons praktisch, in die man alles legen soll, was nicht im "regelmäßigen Gebrauch" ist. Dies ermögliche eine "freie Sicht auf das Wesentliche". Wenn diese Prinzipien beherzigt werden, sei man bereits auf einem "sehr guten Weg". Doch eine weitere Grundregel gelte es in modernen Zeiten zusätzlich zu beherzigen: "Behandle Digitales, Geistiges, Körperliches und Materielles gleich". Nachdem sie sich von diesen Glaubenssätzen Kingstons inspirieren ließ, spürte sie ein bisher unbekanntes Ausmaß an "innerem Gleichgewicht".

Bekannte und Freunde erlebten eine geordnete und ausgeglichene Markéta Lübben, wodurch sich die Anfragen, ob sie nicht auch mal einen Blick auf deren häusliche Ordnung werfen könne, häuften. Diese nahm sie gerne wahr und fand zunehmend Gefallen an Aufräum- und Ordnungsstrategien. "Ich habe damals meine Berufung gefunden", sagt sie rückblickend. So kam sie allmählich in Kontakt zu den Pionieren der "Ordnungsarbeit" in Deutschland und wurde mit ihrem in Freising ansässigen Einzelunternehmen "Ordnungsfaden" zunehmend selbst eine Weichenstellerin der Professionalisierung dieser jungen Dienstleistungsbranche.

Die Nachfrage nach "Ordnungscoachings" würde überall spürbar wachsen

Über die Online-Plattform "ordnungswelt.com" ist sie mit ihrem Unternehmen dabei in einer deutschlandweiten Organisation vernetzt, wobei sie für den Bereich München und Umgebung zuständig ist. Die Nachfrage für "Ordnungscoachings" würde allerorts spürbar wachsen und so sei aus ihrer anfänglichen Freizeitbeschäftigung sukzessive eine hauptberufliche geworden. Die Freisinger Ordnungsexpertin ist davon überzeugt, dass "viele Menschen gar nicht genau wissen, wie viele Gegenstände sie eigentlich besitzen".

Das kann die Münchnerin Stefanie Richter, die sich seit etwa einem Jahr mit Markéta Lübben auf "einem gemeinsamen Ordnungsweg" befindet, bestätigen. "Es war erschreckend festzustellen, was sich alles doppelt und dreifach angesammelt hatte". Nach einem Umzug vor wenigen Jahren war bei den Richters noch "alles in Ordnung", aber nachdem zwei Hausstände, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann von den jeweils verstorbenen Eltern übernommen hatte, hinzukamen wurde es zuhause schrittweise unübersichtlich.

Lübbens Konzept: Man soll sich von jeglichem negativen Ballast lösen

Da kam die Bekanntschaft mit Markéta Lübben, die sie von ihren Kunst-Vernissagen bereits kannte, wie gerufen. Auf der "theoretischen Ebene" sei sie zuvor bereits veränderungsbereit gewesen, aber an der "praktischen Umsetzung" habe es gehapert. "Mir hat einfach jemand gefehlt, der mir bei dieser Herausforderung zur Seite steht", sagt die 57- Jährige. Es seien nicht einfach nur bloße Gegenstände, die sich mit der Zeit ansammeln, sondern es "hängen ja auch immer Erinnerungen dran", so Stefanie Richter weiter. Hier setzt das Konzept Lübbens an, gelte es sich doch von jeglichem "negativen Ballast zu lösen".

Bereits nach drei absolvierten Terminen fühlte die Münchner Unternehmerin Stefanie Richter eine "richtige Erleichterung". "Marketa nimmt dich an der Hand. Sie ist sehr bemüht und immer erreichbar, wenn es beim Ausmisten und Aufräumen mal zu Schwierigkeiten kommt". Nun gelte es noch die drei Kinder und den Ehemann stärker für das neue, auf Reduktion bedachte, "System im Haus" zu begeistern. Aber auch da ist ihr Aufräumexpertin Lübben ein Vorbild, habe diese schließlich doch auch gemeinsam mit Heranwachsenden einen "minimalistischeren Lebensstil" kreieren können.

Es gehe auch um eine auf Einfachheit und Begrenzung zielende Lebensweise

Minimalismus ist eine auf Einfachheit und Begrenzung zielende Denk- und Lebensweise, die in den vergangenen Jahren eine wachsende Anhängerschaft in westlichen Gesellschaften fand - auch mit Blick auf Ordnungssysteme. Die Japanerin Marie Kondo mauserte sich mit reduzierenden Ansätzen gar zur Weltbestseller-Autorin. Auch Markéta Lübben und Stefanie Richter ließen sich von Kondos Maxime, "macht es mich glücklich, wenn ich diesen Gegenstand in die Hand nehme", auf ihrem Weg zu einer einfacheren Lebensweise inspirieren.

Doch das große Ausmisten erzeugt auch Folgeentwicklungen. Die zwölf Kartons an Alt-Textilien, die alleine Markéta Lübben auf ihrem Weg zu ihrem Ordnungssystem abgegeben hatte, treffen einen weiteren Zeitgeist. Altkleidersammelstellen, die beispielsweise vom BRK (Bayerisches Rotes Kreuz) betrieben werden, beobachten seit Jahren "riesige Warenmengen", wie der Freisinger BRK-Geschäftsführer Albert Söhl auf Anfrage erläutert. Während der Pandemie sei es sogar aufgrund der fehlenden Vertriebsmöglichkeiten in die gewohnte Weltregionen zu viel geworden, wobei die zahlreichen Container in der Stadt nahezu aus allen Nähten platzten.

Die Folgen von Fast Fashion: Allein in Freising fallen jährlich über 500 Tonnen Textilmüll an

Auch wenn Abnehmer in Entwicklungsländern nach wie vor auf "die Spenden angewiesen" seien, nimmt der BRK-Leiter neben immer schlechterer Qualität der textilindustriellen Erzeugnisse auch ein starkes "Wegwerfverhalten" der Bürger wahr. Alleine in Freising fallen jährlich über 500 Tonnen Textilmüll an. Das Zeitalter der sogenannten "Fast Fashion", dem Trend in der Textilindustrie, immer schneller zu produzieren, worunter oftmals die Qualität und Langlebigkeit der Produkte leidet, macht sich bemerkbar. Auch Markéta Lübben kritisiert diese Entwicklung und möchte mit ihrem Unternehmen einen kleinen Beitrag dazu leisten, ein Umdenken hin zu "Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung" zu erreichen. Ihr zufolge solle man "weniger konsumieren, dafür aber hochwertiger".

Doch vielen fehlt auch der Überblick über die Wertigkeit der eigenen Habseligkeiten. Diesen versucht Markéta Lübben gemeinsam mit ihren Klienten zu generieren. Da der Stundensatz für ein professionelles Aufräumen beim "Ordnungsfaden" allerdings 79 Euro beträgt, muss für diese Reflexion von "Wertigkeit" erstmal kräftig investiert werden. Zumindest ist man sich dem Zusammenhang von Unordnung und den finanziellen Situationen von Ordnungssuchenden bei den "Ordnungscoaches" der "ordnungswelt" dahingehend bewusst, dass man jetzt zum Jahresende ein wohltätiges "Pro-Bono-Projekt" gestartet hat, wobei deutschlandweit 200 Arbeitsstunden gespendet werden. Beim Blick auf Finanzen hat Markéta Lübben ohnehin eine interessante Experteneinschätzung: "Wenn man sich erstmal geordnet hat, kann man auch viel besser erkennen, wo Einsparungen möglich sind". Eine der wichtigsten Fragen im Leben sei schließlich: "Was brauche ich wirklich?"

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: