LGBTQ-Szene:Die Freiheit, so zu sein, wie man ist

Lesezeit: 4 min

Regelmäßig trifft sich der Queer-Stammtisch im Furtner. (Foto: Johannes Simon)

Wie ist das Leben für die queere Community in Freising? Gespräche über den CSD, die Herausforderungen durch eine steigende Queerfeindlichkeit und die wachsenden Sorgen wegen des Erstarkens der AfD.

Von Lena Meyer, Freising

Der Freisinger Gay-Stammtisch, der bereits seit über zwei Jahrzehnten besteht, ist ein Ort, an dem sich Menschen aller Altersgruppen alle zwei Wochen im Gasthaus "Zum Heurigen" treffen, um sich auszutauschen und Gemeinschaft zu erleben. In entspannter Atmosphäre wird hier über alles Mögliche geplaudert - über den Eurovision Song Contest, über Autos. Verstecken oder verstellen muss sich dabei niemand.

"Man kann einfach so sein, wie man ist", sagt etwa Ralf. In ähnlicher Weise bietet auch der Queer-Stammtisch im Gasthaus "Furtner" seit 2021 eine Plattform für Menschen, die gemeinsam die Vielfalt und Individualität in Bezug auf Geschlecht und Sexualität feiern möchten. Dieser Stammtisch wurde von Max ins Leben gerufen, dessen Nachname aus Gründen der Anonymität nicht genannt werden soll.

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Sowohl der Gay-Stammtisch als auch der Queer-Stammtisch sind in Freising bedeutsame Treffpunkte für Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. Während der Treffen finden sie nicht nur Unterstützung, sondern auch die Möglichkeit, sich in einer akzeptierenden Umgebung zu vernetzen und Gemeinschaft zu erfahren.

Fragt man Max, was queer denn überhaupt bedeutet, legt er erst einmal den Kopf ein wenig schief und überlegt für einen kurzen Moment. " Queer beschreibt ein sehr breites Spektrum", sagt er nachdenklich, bevor er an seinem Bier nippt. Oftmals wird das Wort als Oberbegriff für nicht-heteronormative Identitäten verwendet, darunter schwul, lesbisch, bisexuell, transgender und vieles mehr - " queer ist eigentlich alles, was nicht straight ist", bilanziert Max.

Darunter fällt dementsprechend auch eine breite Palette an Ausdrucksformen, die nicht in die traditionellen gesellschaftlichen Geschlechter- und Sexualnormen passen wollen. Queerness ist somit eine Art, die Vielfalt und Individualität in Bezug auf Geschlecht und Sexualität anzuerkennen. Ebenso zu sein, wie man ist. " Queer sein bedeutet für mich, genauso zu sein, wie ich bin", sagt jemand ein paar Sitze weiter und erntet zustimmendes Nicken ringsherum.

Der Queer-Stammtisch im Furtner. (Foto: Johannes Simon/Johannes Simon)

Etwa 20 Menschen sitzen an diesem Abend im Gasthaus "Furtner "beisammen, plaudern angeregt und lachen viel. "Zum ersten Stammtischtreffen sind gerade einmal zehn Leute erschienen", erinnert sich Max. Das war vor zwei Jahren gewesen. Mittlerweile sei die Gruppe jedoch deutlich größer geworden - "wir sind round about 60", schätzt er, eine "gute Mischung aus Jung und Alt", die auch gemeinsam zum Christopher Street Day (CSD) aufbreche und sich gegenseitig unterstütze.

"Manche akzeptieren einen und manche eben nicht."

Gerade die Offenheit, die er hier erfahre, gefalle ihm sehr gut, sagt etwa der 20-Jährige Eren: "Man kann mit jedem reden, jeder versteht einen, jeder akzeptiert einen." Das sei nicht immer selbstverständlich. Erst vor ein paar Tagen sei er in Freising angepöbelt worden, so Eren. Das komme vor, in einigen Gegenden eben häufiger als in anderen. "Manche akzeptieren einen und manche eben nicht." Und: "Das haben einige einfach nicht anders gelernt", fügt Eren nach kurzem Zögern und mit einem kleinen, bedauernden Schulterzucken hinzu. Dabei fühlten sich die meisten in Freising sehr sicher, die Reaktionen waren oft positiv, so Andreas, der bei einem Treffen des Gay-Stammtisches anwesend ist. Ab und zu müsse man jedoch schlagfertig sein, erklärt er.

Übergriffe, Beleidigungen und Diskriminierungen gegenüber queeren Menschen haben im vergangenen Jahr deutlich zugenommen, wie Zahlen des Bundesinnenministeriums belegen: So wurden 2022 1005 Fälle gezählt, davon 227 Gewaltdelikte und 341 Beleidigungen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg von 15 Prozent. Hinzu kommen Desinformationen und Hetze von rechtsextremer Seite im Netz. "Die Queerfeindlichkeit nimmt im Land zu", bekräftigt Max.

Gerade die AfD fiel in letzter Zeit immer wieder durch ihre ablehnende Haltung zur Homosexualität und Queerness auf. Die Partei selbst hat sich offiziell gegen die sogenannte "Gender-Ideologie" und die "Frühsexualisierung" in Schulen ausgesprochen. Mit Plakaten rief sie diesen Sommer etwa zu einer Demonstration gegen eine Lesung von Drag-Queens für Kinder in München auf. "Hände weg von unseren Kindern" war auf besagten Plakaten zu lesen und bestätigte dadurch das queerfeindliche Narrativ, dass queere Menschen sexuell übergriffig gegenüber Kindern sein könnten.

"Man überlegt sich mittlerweile zweimal, wo man Händchen hält."

Das Erstarken dieser Partei sehen viele aus der queeren Szene daher als äußerst problematisch. "Es bereitet mir riesige Sorgen", gesteht Max. "Man überlegt sich mittlerweile zweimal, wo man Händchen hält", gibt Boris eine Woche zuvor auf einem Treffen des Gay-Stammtisches an. Es sei "upsetting", bestätigt Cas auf dem Queer-Stammtisch im "Furtner". Die aktuellen Entwicklungen bestürzten und enttäuschten ihn gleichermaßen, wie der junge Mann mitteilt. "2015 und 2016 haben wir noch gedacht, alles wird besser und dass die Gesellschaft uns akzeptiert", sagt er auf Englisch, gestikuliert dabei lebhaft.

Cas selber stammt aus Polen und lebt seit zwei Jahren in Freising. In seinem Heimatland sind die Rechte von homosexuellen und queeren Menschen durch rechtskonservative Kräfte mittlerweile stark beschnitten worden, eine diskriminierende Rhetorik steht oftmals an der Tagesordnung, ebenso Übergriffe und Anfeindungen. Dieser Hass bestürze ihn, mache ihm Angst und sei für ihn nicht nachvollziehbar, weswegen Cas ihn während des Gesprächs als "random" betitelt - als willkürlich, ja als zufällig. Denn genauso treffe er verschiedene Minderheiten oftmals: zufällig und ohne einen bestimmten nachvollziehbaren Grund, erklärt der Student. "Der Anstieg rechtsextremer Tendenzen ist für alle Menschen, aber insbesondere für die queere community, eine große Gefahr, da sie nicht in das Weltbild der Ewiggestrigen passen", sagt die Kulturreferentin der Stadt Susanne Günther dazu.

Der Gay-Stammtisch im Lokal "Der Heurige". (Foto: Johannes Simon)

Daher seien gerade solche Treffen besonders wichtig, findet Cas. "Es ist wichtig zu sehen, dass man nicht allein ist", sagt er. Genauso bedeutsam sei für ihn eine entsprechende Repräsentation, beispielsweise in den Medien oder auch auf dem CSD. "Es ist wichtig, die Fahne zu zeigen", bestätigt Stephan auf dem Gay-Stammtisch. Dennoch stellt er sich die Frage, inwiefern die Veranstaltung des Christopher Street Days noch sinnvoll sei. Dadurch stünden gerade die "Leuchtraketen" besonders im Fokus. "Die allergrößte Mehrheit entspricht aber nicht dem Bild von Lack und Leder und Peitsche."

Mit diesem Bild könne er selber sich nicht identifizieren. "Es ist doch echt durch, 2023 noch mit Sex schockieren zu wollen", so Stephan. Der CSD, wie er momentan sei, sei seiner Ansicht nach nicht förderlich, um mehr Akzeptanz für die queere community zu stiften. Im Gegenteil: "Zu viel Fetisch und zu viel politisch", sagt er. Diese Sichtbarkeit für alle sei allerdings von immenser Bedeutung, findet Max. "Der CSD war von Anfang an politisch. Es geht um unsere Sichtbarkeit", sagt er. "Wir haben lange genug für die Freiheit gekämpft, so zu sein, wie wir sind."

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