Protest gegen NPD-Aufmarsch:Kein Zeitpunkt wie jeder andere

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Freising protestiert - aber nicht nur gegen den Aufmarsch der NPD: Viele Bürger verstehen nicht, warum die "Mahnwache" genehmigt wurde. Nun wird über ein Verbot von Aufmärschen an geschichtsträchtigen Jahrestagen diskutiert.

Kerstin Vogel

"Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen", steht auf dem Transparent. Mit Schildern wird ein Verbot der NPD gefordert, vielstimmig tönt es "Nazis raus" oder "Wir sind Freising und ihr nicht": Mehr als hundert Bürger haben wie berichtet am Dienstag auf dem Marienplatz keinen Zweifel gelassen, dass ihnen die "Mahnwache" des NPD-Kreisverbandes an diesem Jahrestag der Reichspogromnacht gar nicht gefällt - auch wenn die unerwünschte Partei die Veranstaltung als "anlässlich des Mauerfalls vor 21 Jahren" deklariert hatte. Der Ärger der Freisinger richtet sich dabei nicht nur gegen die NPD: Dass dieser - wenn auch kleine - Aufmarsch der schwarz gekleideten Aktivisten mit ihren Fahnen überhaupt genehmigt worden ist, können die wenigsten verstehen.

"Freising ist bunt statt braun": Mehr als 100 Demonstranten haben am Dienstag gegen eine Mahnwache der NPD protestiert. Von deren zehn Teilnehmern stammt nach Einschätzung der Polizei nur die Hälfte aus Freising. (Foto: Marco Einfeldt)

Für den Grünen-Landtagsabgeordneten Christian Magerl ist die Sache klar: Nach dem bayerischen Versammlungsgesetz könnten derartige Veranstaltungen an bestimmten geschichtsträchtigen Daten sehr wohl verboten werden, empört er sich und kündigt ein "Nachspiel im Landtag" an. Auch Guido Hoyer, Kreisvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, ist schwer verärgert. Er kritisiert die Genehmigung der Mahnwache nicht nur wegen des Datums, er empfindet auch den Ort der Veranstaltung vor dem Rathaus als höchst unpassend. Schließlich habe hier auch der ehemalige Bürgermeister Max Lehner von 1948 bis 1970 seinen Amtssitz gehabt - und der sei als Anwalt jüdischer Familien im November 1938 von den Nazis durch die Stadt getrieben worden.

Datum und Ort einer Veranstaltung spielen bei der Genehmigung in der Tat eine Rolle, wie ein Blick ins bayerische Versammlungsgesetz zeigt: So kann das Landratsamt als zuständige Behörde laut Artikel 15, 2, 1.a "... eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn ... die Versammlung an einem Tag oder Ort stattfinden soll, dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, und durch sie eine Beeinträchtigung der Würde der Opfer zu besorgen ist".

In den Augen von Hoyer, Magerl und anderen Demonstranten hätte dieser Passus ausgereicht, die Mahnwache eben am Jahrestag der Reichspogromnacht vor dem Rathaus zu untersagen; Eva Dörpinghaus, Sprecherin des Landratsamtes, argumentiert anders: Die NPD sei keine verbotene Partei, bedauert sie. Im Umkehrschluss müsse sie von der Verwaltung behandelt werden wie eine "erlaubte", ganz normale Partei - und dann könne man nicht die Ankündigung, es solle des Mauerfalls gedacht werden, "a priori als Lüge bezeichnen". Das Gesetz lasse da wenig Spielraum. Der Forderung von Hoyer, künftig in derartigen Fällen die Fraktionsvorsitzenden von Stadtrat und Kreistag zu informieren, erteilt sie eine Absage: "Sonst müsste man das auch bei allen anderen politischen Veranstaltungen tun." Im übrigen sei die Stadt am 3.November an einem "Kooperationsgespräch" mit Landratsamt und Polizei beteiligt gewesen, so Dörpinghaus, und: "Die Bürger können unbesorgt sein, im Landratsamt sitzen keine Menschen, die auch nur im entferntesten im Verdacht der Sympathisiererei mit der NPD stehen." Dass diese Partei in Freising grundsätzlich nicht auf Sympathie trifft, haben am Dienstag auch die Mitglieder des im Rathaus tagenden Kulturausschusses unterstrichen: Sie schlossen sich einmütig der Gegendemonstration an und bekannten damit ebenso Farbe wie Stadtpfarrer Michael Schlosser, der zu Beginn der Mahnwache gut 15 Minuten lang die Glocken von St.Georg läutete. "Ein genialer Trick", wie 2. Bürgermeister Rudolf Schwaiger findet. Er vertritt derzeit OB Dieter Thalhammer und hat erst am Montagvormittag von der Genehmigung der Mahnwache erfahren, wie er sagt. Am Montagabend habe er den Hauptausschuss informiert. Bei dem "Kooperationsgespräch", das haben Schwaiger'sche Recherchen am Mittwoch ergeben, habe der Mitarbeiter des städtischen Ordnungsamtes im Übrigen sehr wohl auf das sensible Datum hingewiesen. Darauf sei der Veranstalter kontaktiert worden und habe versichert, dass man sich ausschließlich auf den Mauerfall beziehe.

Die Frage, ob nicht die Stadt Möglichkeiten gehabt hätte, die umstrittene Veranstaltung auf "ihrem" Marienplatz zu verhindern, hält Schwaiger auch für schwierig. Weil die NPD eben nicht verboten sei, gebe es kaum rechtliche Handhabe. Zwar hätte es die Stadt mit einer einstweiligen Verfügung versuchen können, räumt er ein. Dann hätte ein Gericht entscheiden müssen, "doch das Risiko, dass wir durchfallen, ist nicht gering und so etwas kostet Geld". Beschäftigen wird die umstrittene Genehmigung demnächst die Staatsregierung: Magerl hat seine Ankündigung wahr gemacht und eine entsprechende Anfrage gestellt.

© SZ vom 11.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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