Freising:Hohle Parolen am virtuellen Stammtisch

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Das Landratsamt geht mit nüchternen Fakten gegen Gerüchte im Zusammenhang mit Flüchtlingen vor. Nicht alle überzeugt das

Von Christian Gschwendtner, Freising

Gerüchte und Falschmeldungen über Flüchtlinge haben Hochkonjunktur im Landkreis Freising. Selten wurden sie aber mit so viel Chuzpe verbreitet wie im Fall eines anonymen Briefeschreibers, der sich kurzerhand als Landrat Hauner ausgab. Getarnt mit den Insignien des Landratsamtes, ließ er eine Hauseigentümerin wissen, dass pünktlich zum 1. Advent drei Flüchtlinge aus dem Senegal bei ihr einquartiert würden. Gewissermaßen von oben verordnet. Der vorgeschobene Grund: Mindestens ein Zimmer im Haus der Frau sei ungenutzt. Doch damit nicht genug. Der dreiste Landrat-Doppelgänger legte seiner Adressatin auch noch nahe, einen Volkshochschulkurs für afrikanische Küche zu belegen. Schließlich würden sich die Mitbewohner in spe in der Heimat von Schlangenfilets und Heuschrecken ernähren.

Kurz darauf rückte das Landratsamt Freising die Dinge wieder gerade: Eine Zwangsaneignung von privatem Wohnraum sei mitnichten vorgesehen. Dafür liegt der Fall nun bei der Staatsanwaltschaft. Die prüft, ob der Bestand einer Straftat erfüllt ist. Laut Freisings Vize-Polizeichef Michael Ertl sei die Fälschung jedenfalls für den unbedarften Leser nicht sofort als solche zu erkennen gewesen.

Weil die wenigsten Unwahrheiten über die Flüchtlinge im Landkreis als Spaß gemeint sind, geht das Landratsamt nun gezielt gegen die "Gerüchteküche" vor. In einer schriftlichen Stellungnahme räumt Pressesprecherin Eva Dörpinghaus mit landläufigen Vorurteilen auf. Es sei schlichtweg falsch, dass ein Smartphone zur Erstausstattung eines Flüchtlings gehöre, schreibt sie. Ebenso wenig würden die Neuankömmlinge ein Begrüßungsgeld erhalten oder ein "funkelnagelneues Fahrrad" ihrer Wahl vom Landratsamt gestellt bekommen. Hilfsbereite Menschen schenkten Flüchtlingen gebrauchte Fahrräder, so Dörpinghaus.

Im Landratsamt versucht man deshalb, nüchternes Zahlenwerk dagegen zu halten. Penibel listet Dörpinghaus die Grundausstattung auf, die einem ledigen volljährigen Asylbewerber von Gesetzes wegen zusteht. Neben einer Geldleistung von 329,10 Euro für Essen, Trinken und Bekleidung sind das die kleinen Dinge des täglichen Bedarfs: eine Matratze, ein Kopfkissen, eine Bettdecke, Bettwäsche, ein Laken, ein Handtuch, ein Badetuch, ein Teller, ein Dessertteller, ein Trinkgefäß, ein Messer, eine Gabel, ein Esslöffel, ein Kaffeelöffel sowie ein kleines Topf- und Pfannenset.

In den sozialen Netzwerken traut man diesen Erklärungen des Landratsamtes dagegen nur bedingt über den Weg. Eine Nutzerin schreibt auf Facebook: "Bla, bla, bla, wer's glaubt wird selig". Ein anderer holt ohne größere Scheu zum Gegenschlag aus: "Aber genügend Geld für Smartphones und die dazu gehörigen Verträge haben sie". Seinen neuen Golf GTI mit dem Freisinger Kennzeichen stellt er weiter im Internet zur Schau. Soviel Ambivalenz muss sein. Eine dritte Nutzerin fragt besorgt auf der Facebook-Seite des Freisinger Landratsamtes, ob es denn stimme, dass Einzelhändler bei von Flüchtlingen verübten Diebstählen unter 50 Euro nicht die Polizei rufen dürften. Das Landratsamt zitiert daraufhin Freisings Polizeichef Ernst Neuner. Der habe unmissverständlich erklärt, die Polizei sei dazu verpflichtet, jeder angezeigten Straftat nachzugehen. Den Vorwurf, Asylbewerber bekämen eine Sonderbehandlung, weist das Landratsamt entschieden zurück. Drei Facebook-Nutzer zweifeln trotzdem weiter öffentlich am Wahrheitsgehalt dieses Bekenntnisses. An anderer Stelle ist die Rede vom "Schlaraffenland". Gemeint ist vermutlich der Landkreis Freising im Speziellen und Deutschland im Allgemeinen.

Die Gegenseite findet es derweil verrückt, "dass einige sogar neidig auf Asylbewerber sind". Die Rede ist von einer "Neiddebatte" und "hohlen Parolen am Stammtisch". Und so stehen die Zeichen auch im virtuellen Raum auf Konfronta- tion.

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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