Freising:Gnadenlos

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Wer als Bahnkunde versehentlich die Tarifbestimmungen missachtet, gerät unter Generalverdacht

Von Katharina Aurich, Freising

Es ist ein schöner Sonntagnachmittag, der Regionalexpress von Nürnberg nach München ist angenehm leer. Der junge George (Name von der Redaktion geändert) fährt zurück nach Hause, nach Moosburg. Was der 18-Jährige nicht weiß, dieser Zug hält dort nicht. Manche Züge auf der Strecke stoppen in Moosburg, andere nicht. Dies entgeht Fahrgästen öfters, wenn sie in den Zug auf dieser Strecke steigen. Kurz vor Moosburg betritt ein Kontrolleur den Wagen, George zeigt sein Ticket und sofort beginnt der Schaffner auf den jungen Mann einzureden, dass er augenblicklich 6,40 Euro nachzuzahlen habe. George, der kaum Deutsch, nur Englisch spricht, versteht zunächst nicht, was der Schaffner, der einen zweiten Kollegen gerufen hat, von ihm möchte. Inzwischen, nachdem der Zug an Moosburg vorbeigefahren ist, ist ihm aber klar, dass er nun bis Freising fahren muss. Er beteuert den Schaffnern, dass er kein Geld habe und zeigt immer wieder seinen leeren Geldbeutel. Die beiden Bahn-Mitarbeiter, die sich nun gemeinsam vor dem schmalen jungen Mann aufgebaut haben, drängen ihn trotzdem, 6,40 Euro nachzuzahlen. Dann gehen sie dazu über, von ihm die Herausgabe seines Ausweises zu fordern, um ihn als Schwarzfahrer zu notieren, damit ihm die Strafe in Höhe von 40 Euro zugestellt werden kann. Der junge Mann ist nun sichtlich verzweifelt und wendet sich an eine Mitreisende, die zwischen den Parteien dolmetscht. Die Bahn-Mitarbeiter sind nicht dazu zu bewegen, den Fahrgast bis Freising, also rund 15 Kilometer, fahren zu lassen.

Schließlich begleicht eine Mitreisende die Kosten für das Nachlöseticket, bringt den jungen Mann in Freising zum richtigen Bahnsteig und kauft ihm ein Ticket zurück nach Moosburg. Ein Sprecher der Bahn, der nicht namentlich genannt werden möchte, sagte dazu: "Wir können auf die Umsetzung der Tarifbestimmungen durch unsere Mitarbeiter nicht verzichten. Die Tarifbestimmungen gelten ausdrücklich für alle gleich. Sollte das nötige Fingerspitzengefühl im Umgang mit dem Fahrgast gefehlt haben, tut uns das leid". Es fehlte nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern einfach Mitmenschlichkeit an diesem scheinbar idyllischen Sonntagnachmittag.

© SZ vom 17.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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