Geschichten vom Tod:Vom Brettl rutschen

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Heimatforscher Ernst Keller hat sich mit alten Bräuchen rund um das Sterben befasst und ist auf Skurriles gestoßen, auch auf Mehrwegsärge.

Von Alexandra Vettori, Neufahrn

Früher war man dem Tod näher. Es gab mehr Brauchtum rund um das Thema und vor allem keine Institution, die Angehörigen und Nachbarn die Verrichtungen rund um den Tod abgenommen hätte. Der Fürholzer Heimatforscher Ernst Keller hat die alten Bräuche recherchiert, im Kirchenarchiv der Erzdiözese München und Freising, in alten Kirchenbüchern und Pfarreiaufzeichnungen, und er ist auf einiges gestoßen, das heute mehr als kurios wirkt.

Das Seltsamste ist ein Sarg aus dem derzeit geschlossenen Diözesanmuseum in Freising. 1973 war er in Lauterbach, das zu Fahrenzhausen gehört, auf dem Dachboden der Kirche gefunden worden. Woher er stammt, weiß bis heute niemand. Dabei handelt es sich um einen ganz besonderen Sarg: Er hat eine seitliche Klappe, durch die die Leiche bei der Beerdigung in das Grab rutscht. "Und der Sarg war dadurch mehrfach verwendbar", erklärt Ernst Keller.

Allerdings gibt es in Lauterbach, das heute zur Pfarrei Jarzt gehört, seit dem Jahr 1524 keinen eigenen Friedhof mehr. "Möglicherweise stammt der Sarg aus Kranzberg. Von dort ist bekannt, dass gegen Ende des 30-jährigen Kriegs die Pest wütete und 177 Menschen dahin raffte, darunter viele spanische Soldaten", weiß Keller. Es könnte aber auch sein, dass der Sarg aus dem 18. Jahrhundert stammt, der Zeit der Aufklärung, als solche Särge mit Klappe als Sparmaßnahme bei der Beerdigung von Armen erst empfohlen und dann sogar verpflichtend waren.

Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts galt für den Großteil der Bevölkerung selbst ein einfacher Fichtensarg als unangemessen, abgesehen davon, dass sich das ohnehin kaum jemand leisten konnte. Das niedere Volk wurde nach dem Tod in ein Leinentuch gewickelt und auf einem sogenannten Totenbrett zu Grabe getragen, von dem aus man die Leiche in die Tiefe gleiten ließ. "Daher kommt der heute noch gebräuchliche Ausdruck 'vom Brettl rutschen' für das Sterben", so Keller.

Bis zur Mitte des achten Jahrhunderts war es auch üblich, die Toten auf dem eigenen Anwesen auf kleinen Familienfriedhöfen zu bestatten. Erst mit der Bistumsorganisation des Bonifatius wurden christliche Friedhöfe bei der Ortskirche obligatorisch. Erste Amtshandlung nach dem Eintritt des Todes war das Läuten der Sterbeglocke. Sie sollte einerseits die traurige Botschaft verkünden, zweitens zum fürbittenden Gebet aufrufen und drittens Dämonen verscheuchen. Das war wichtig, weil nach dem Volksglauben der Tod im Zickzack durch die Nachbarschaft fegte, bis die Zahl drei voll war.

Das besondere Verhältnis zu den Nachbarn zeigte sich auch dadurch, dass diese oft bei der Leichenwaschung halfen. Sie hüllten den Toten ins Totenhemd und bahrten ihn in seinem Haus auf. Unter das letzte Betttuch bekamt der Tote oft auch eine Handvoll Getreidekörner, auf dass das ewige Leben bei ihm sei. Den "Leichenwaschhadern" (Hadern ist ein Lumpen, Anm. d. Red.) musste man nach der Waschung verbrennen, mancherorts wurde er in den Sarg gelegt. Die Waschschüssel kam auf den Misthaufen oder man warf Schüssel und Hadern über das Hausdach. So, glaubte man, würde nicht so schnell jemand anderes sterben. Auch das Leichenwaschwasser musste außerhalb des Hauses weggeschüttet werden, damit die Dämonen weggeschwemmt wurden. Starb ein Kranker daheim, wurde der Strohsack, auf dem er zuletzt lag, auf dem Feld verbrannt. Stieg der Rauch in die Höhe, war der Tote in die "seligen Urständ" eingegangen, kroch der Rauch zum Sterbehaus, holte sich die verschiedene Seele bald wieder jemanden daraus.

Die heute gebräuchlichen Sterbebilder gibt es erst seit ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts. In Bayern wurden etwa zwischen 1840 bis 1860 aber Heilige abgebildet. Von 1875 an tauchen laut Ernst Keller die ersten kleinen Lichtbilder von Toten auf, die man auf den Trauerzettel klebte. Erst mit den Gefallenenbilder des Ersten Weltkriegs bürgerten sich Fotografien ein.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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