Existenz bedroht:Kein Rettungsschirm für Logopäden

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Per Videokonferenz bleibt Logopädin Pauline Bayerl in Kontakt mit ihren Patienten, die Praxis ist derzeit geschlossen. (Foto: Marco Einfeldt)

Pauline Bayerl muss ihre Praxis in Freising schließen, einen Notbetrieb hält sie mit Videokonferenzen aufrecht. Geld vom Staat bekommt sie allerdings nicht

Von Peter Becker, Freising

Moderne Technik kann hilfreich sein, aber sie hat ihre Tücken. Mit der Logopädin Pauline Bayerl aus Freising war für Donnerstagmittag eine Videoschalte vereinbart. Die Einladung kam per E-Mail und dem passenden Kennwort. Dann flugs rein ins virtuelle Wartezimmer - und nichts passiert. "Das sind die Tücken des Internets", sagt Pauline Bayerl und lacht. Wenn es mit dem Arbeitscomputer nicht klappt, dann funktioniert es vielleicht mit dem iPhone. Die nächste Einladung folgt, es dauert eine Weile, dann lacht einem aus dem Display Pauline Bayerl entgegen.

Seit diesem Montag praktiziert die Freisinger Logopädin diese Videokonferenzen. Am Wochenende zuvor gab es ein paar Testläufe, ob das alles so funktioniert, wie sie es sich vorgestellt hat. Mit Einschränkungen ist die virtuelle Sprechstunde für alle Altersklassen praktikabel. Das Altersspektrum der Patienten von Bayerl reicht von zwei bis 90 Jahren. Die ganz Kleinen sind natürlich mit der Technik überfordert. Da stehe die Elternberatung im Vordergrund, sagt Pauline Bayerl. Bei den Älteren fehle es oft an der technischen Voraussetzung. Andererseits hat die Logopädin eine 70-jährige Schlaganfallpatientin, die sehr technikaffin ist. "Und die Teenies finden die Videokonferenzen cool. Sie haben schon Skype-Erfahrung", schildert Bayerl ihre Beobachtungen.

Seit die bayerische Staatsregierung die Ausgangsbeschränkungen erlassen hat, ist der Kundenverkehr in der Praxis der Logopädin zusammengebrochen. "Das war ziemlich dramatisch", sagt sie. Schon im Vorfeld der Corona-Krise hatte sie alle Personen, die zur Risikogruppe gehören, abbestellt. Es folgte die Schließung der Schulen, wonach 59 Prozent der Klientel wegfielen. Und der richtige Einbruch kam, als Ministerpräsident Markus Söder die Ausgangsbeschränkungen verkündete. "Der hat uns ein Riesenei gelegt", kritisiert Pauline Bayerl. In der Pressekonferenz hat Söder alle Praxen für geschlossen erklärt. "In der schriftlichen Ausführung der Verfügung steht aber, dass wir zur Behandlung der Notfälle offen haben müssen", sagt Bayerl.

Nur medizinisch notwendige Praxen sollten noch geöffnet bleiben. Nach dem Verständnis von Pauline Bayerl fallen darunter auch Logopäden. Denn Notfälle treten ihrer Ansicht nach ein, wenn jemand unter einer Gesichtslähmung leidet oder wenn bei einer Schilddrüsenoperation der Kehlkopfnerv verletzt worden ist. Und jemand, der stottert, habe ebenso einen hohen Leidensdruck. Pauline Bayerl bietet in ihrer Praxis ein breites Behandlungsspektrum an. Das beginnt bei Kindern und Jugendlichen. Eltern können sie konsultieren, wenn ihr Kind etwa unter ausbleibender oder verzögerter Sprachentwicklung leidet. Erwachsene kommen bei Stimm- und Atemstörungen, Schluckbeschwerden oder Gesichtslähmung. Kinder und Ältere können Möglichkeiten erlernen, ihr Stottern oder Poltern in den Griff zu bekommen. Ähnliches gilt für Menschen, die unter Hörbeschwerden leiden. Dazu kommen die Therapie bei Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten, die Bewältigung von Sprechängsten und ein Stimmtraining für Menschen in Berufen mit intensiven Sprechanforderungen.

Eine Sitzung bei Pauline Bayerl dauert 45 Minuten. So lange dauert auch die Videokonferenz. Für die sei aber der Arbeitsaufwand viel größer, stellt die Logopädin fest. Was ihr natürlich fehlt, ist der Blickkontakt zum Klienten. Der ist bei der Videokonferenz bei Weitem nicht so intensiv wie unter normalen Umständen. In der Praxis kann die Logopädin genauer hinschauen, Fehler korrigieren. Es gibt ein ständiges Hin und Her zwischen ihr und ihrem Gegenüber. "Das fehlt jetzt", stellt die Logopädin fest. An was es derzeit auch mangelt, ist die Kontinuität, mit der in den Therapien gearbeitet wird. Ein spielerisches Element darf natürlich auch in den Videokonferenzen bei Kindern nicht fehlen. Dazu agiert sie mit einer Tiger- und einer Pinguinfigur. Die lässt sie Sätze sagen wie "Das Internet ist schlecht. Jetzt hab ich Dich aber überhaupt nicht verstanden" oder "Tiger haben schlechte Ohren". Kinder bekommen von ihr Gummibärchen-Gutscheine per E-Mail zugeschickt, als Belohnung für ihre gute Mitarbeit. Die dürfen sie dann einlösen, wenn der Betrieb irgendwann einmal wieder normal läuft.

In ihrer Existenz fühlt sich Pauline Bayerl "total bedroht". Da ist zum einen der Umstand, dass die Praxis schließen musste. Zum anderen, erklärt die Logopädin, falle ihr Berufszweig ebenso wie etwa der eines Ergotherapeuten nicht unter den Rettungsschirm, den die Bundesregierung über medizinische Betriebe, Krankenhäuser, Ärzte und Psychotherapeuten aufspannt. "Heilmittelerbringer", wie es die Logopäden sind, gehören da nicht dazu. In diesem Zusammenhang hat Pauline Bayerl bereits einen Brief an den Freisinger CSU-Bundestagsabgeordneten Erich Irlstorfer geschrieben, der ja im Gesundheitsausschuss des Bundestags sitzt. Darin bittet sie darum, die Heilmittelerbringer ebenfalls unter den Rettungsschirm zu nehmen, wenn es ein Nachtragsgesetz geben sollte.

© SZ vom 06.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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