Erfahrungen einer Schiedsrichterin:Frauen foulen hinterlistiger

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Solange es Spaß macht, will Julia Kistler weiter pfeifen. Die 22-Jährige vom FC Moosburg hat keine Probleme damit, sich durchzusetzen. (Foto: Sebastian Widmann)

Julia Kistler ist Schiedsrichterin für den FC Moosburg. Die 22-Jährige pfeift jedes Wochenende höherklassige Herren- und Damen-Spiele in ganz Bayern und kann mittlerweile einschätzen, wann Spieler auf dem Platz lügen.

Von Christoph Dorner, Freising

Julia Kistler offenbart beim Gespräch im Freisinger Parkcafé einige Eigenschaften, die ihr auf dem Fußballplatz helfen, auch bei engen Spielen den Überblick zu behalten. Die hoch aufgeschossene 22-Jährige ist in ihrem Auftreten freundlich und konzentriert, während sie antwortet. Mit der Freisinger SZ sprach die Schiedsrichterin des FC Moosburg über schwierige Entscheidungen auf dem Platz, Unterschiede zwischen Frauen- und Männer-Fußball und darüber, dass sie es in Ordnung findet, auf dem Platz "Schiri" genannt zu werden.

SZ: Frau Kistler, dem Kapitän einer Herrenmannschaft in einem hitzigen Derby die Rote Karte unter die Nase halten - ist Ihnen das unangenehm?

Julia Kistler: Wenn die Rote Karte aus meiner Sicht zu 110 Prozent richtig ist, dann ist mir das nicht unangenehm, sie zu geben. Ich habe mit der Zeit gelernt, mit solchen Situationen umzugehen. Es gab ein paar Schiedsrichter, die mir dabei sehr geholfen haben, indem sie mich als Linienrichterin mitgenommen haben.

Wir reagieren Sie während des Spiels in einer hitzigen Situation?

Hitzige Gemüter beeindrucken mich nicht. Sollte es einmal so weit kommen, versuche ich, dass ich das Spiel wieder unter Kontrolle bekomme, indem ich etwas kleinlicher pfeife, um so mehr Ruhe in das Spiel zu bringen.

Bald endet im Amateur-Bereich die Saison. Hatten Sie kritische Spiele zu überstehen?

Ich hatte einige kritische Situationen in Jugendspielen, da geht es noch etwas hitziger zu als in Herrenspielen. Dort fällt es, aus meiner Sicht, den Spielern auch noch schwerer, mit einer Frau als Schiedsrichter umzugehen. Das habe ich aber auch gemeistert. Im Grunde hat mir jede Partie Spaß gemacht.

Schiedsrichterin Julia Kistler (Foto: Sebastian Widmann)

Sie pfeifen Damen- und Herren-Spiele. Was sind die Unterschiede?

Die Jugendspiele sind in meinen Augen etwas dynamischer als die Spiele bei den Herren. Da haben die Spieler mehr Erfahrung und Regelkenntnisse. Zwischen Damen und Herren gibt es ebenfalls Unterschiede. Höherklassige Damen spielen aus technischer Sicht einen sehr feinen Fußball, der aber deutlich langsamer und dadurch auch weniger hektisch ist. Dadurch habe ich auch für meine Entscheidungen einen Tick mehr Zeit.

Gibt es denn Fouls, die nur Fußballerinnen machen?

Bei den Frauen sind Fouls versteckter, sie sind auf dem Platz oft hinterlistiger als Männer, bei denen viele Fouls mit Ansage passieren.

Was brauchen Sie auf dem Platz neben dem Wissen über das Regelwerk?

Man braucht vor allem Feingefühl. Nicht jedes Spiel kann haarklein nach den Regeln gepfiffen werden, denn das würde den Spielfluss oft unnötig stören.

Hilft es, als Schiedsrichter zu sagen: Da habe ich einen Fehler gemacht?

Jeder Mensch macht Fehler. Wie ich damit auf dem Platz umgehe, ist wieder eine andere Sache. Wenn ich auf Eckball entscheide, beide Mannschaften aber sagen, dass es Abstoß geben müsse, dann beharre ich nicht auf meinem Urteil.

Ein Schiedsrichter wird ständig beobachtet: von Mannschaften, Trainern, Zuschauern und Schiedsrichterbeobachtern, die seine Leistung bewerten. Setzt Sie das manchmal unter Druck?

Die Spieler und die Zuschauer eher weniger. Ist ein Schiedsrichterbeobachter da, ist man schon nervöser. Meine Assistenten an der Linie helfen mir während des Spiels ja auch oder geben mir Tipps in der Kabine. Nur durch Kritik lerne ich, was ich besser machen kann.

Wie sind Sie eigentlich Schiedsrichterin geworden?

Ich habe selbst Fußball bei unserem Dorfverein gespielt. Irgendwann hat unser Abteilungsleiter zu mir gesagt: Mach doch einfach den Schiri-Schein. Den habe ich dann mit 18 Jahren auch gemacht. Danach habe ich zwei Jahre Fußball gespielt und gleichzeitig gepfiffen, ehe ich mich ganz für das Pfeifen entschieden habe.

Sie pfeifen höherklassige Mannschaften, die oft mindestens drei Mal in der Woche trainieren. Wie ist das bei Ihnen?

Ich mache ebenfalls viel Sport unter der Woche, gehe Laufen, mache Fitness-Training und Zumba. Am Wochenende pfeife ich dann meistens zwei Spiele.

Klingt so, als wäre die Rolle des Schiedsrichters mehr als bloß ein Hobby.

Es ist eine Leidenschaft. Weil ich höherklassig pfeife, bin ich an Wochenenden auch ziemlich viel unterwegs. Da muss man auch manchmal Nein sagen, damit das Privatleben nicht auf der Strecke bleibt.

Was sagt denn Ihr Umfeld über die Schiedsrichterin Julia Kistler?

Mein Freund ist begeistert. Er steht voll hinter mir, auch wenn er sich die Spiele nicht anschauen kann, weil er es nicht erträgt, wenn ich auf dem Platz kritisiert werde. Meine Eltern sind stolz auf mich. Manche Mädels aus meinem Freundeskreis haben anfangs gelacht, weil ich so etwas Ungewöhnliches mache.

Sie sind jung und pfeifen bereits höherklassig. Ist Ihr Ziel der Profibereich?

Ja, aber nur solange mir das Pfeifen insgesamt Spaß macht. Wenn der Druck zu groß wird, denke ich vielleicht anders darüber.

Verfolgen Sie auch die Profi-Schiedsrichter im Fernsehen?

Bei Fußballspielen erwische ich mich oft dabei, dass ich meistens nur auf die Entscheidungen des Schiedsrichters schaue.

Verteidigen Sie die Schiedsrichter dann auch, wenn mal wieder alle schimpfen?

Ja. Meistens ist es ja so, dass die Entscheidungen des Schiedsrichters richtig sind. Zuschauer sehen das oft erst nach der Zeitlupe.

Woher wissen Sie ohne Zeitlupe, dass der Stürmer einen halben Meter im Abseits gestanden hat?

Das macht die Erfahrung. Wenn man eine längere Zeit Linienrichter gewesen ist, traut man es sich auch zu, Abseitsentscheidungen zu treffen, bei denen es um Zentimeter geht.

Und das Geschrei von 300 Zuschauern kann Sie da wirklich nicht beeinflussen?

Wenn ich einen schlechten Tag habe, werde ich schon nervös und frage mich: Hatten die Leute draußen vielleicht doch Recht? Dann analysiere ich das in der Kabine mit meinen Assistenten.

Worauf achten Sie vor einem wichtigen Spiel?

Zunächst einmal auf ein sauberes Aussehen und ein höfliches Auftreten. Ich komme nicht in Jogginghose und Turnschuhen an. Wenn ich auf dem Platz dann freundlich auf beide Mannschaften zugehe, ist das für das Spiel in den meisten Fällen schon die halbe Miete.

Es gibt Schiedsrichter, die sagen, das Pfeifen helfe ihnen auch, im Arbeitsleben besser zu bestehen. Wie ist das bei Ihnen?

Man bekommt auf jeden Fall eine bessere Menschenkenntnis. Ich kann mittlerweile einschätzen, wenn Fußballer lügen oder die Wahrheit sagen. Ich tue mich auch einfacher, für bestimmte Situationen den richtigen Umgangston zu finden. Und selbstbewusster bin ich auch geworden.

In Deutschland gibt es zu wenig Schiedsrichter. Machen Sie doch mal Werbung!

Es ist ein tolles Hobby. Ich kann mir gar nicht vorstellen, darauf verzichten zu müssen. Wer einmal damit angefangen hat, hört auch nicht so schnell wieder auf. Außerdem können Mädchen als Schiedsrichter lernen, sich durchzusetzen. Das Geschlecht spielt auf dem Platz am Ende gar keine Rolle mehr.

Sie sind also nicht Frau Schiedsrichterin?

Nur selten. Die Spieler sagen Schiri zu mir. Damit kann ich leben.

© SZ vom 26.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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