Damit der Mensch nicht friert:Jimmy geht's an die Wolle

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Heinz Kuhne-Pfaff hat sich auf das Scheren von Alpakas spezialisiert. Am Wochenende rasierte er den Alpakas von Rosa Westermair auf dem Doblhof bei Reichertshausen den Winterpelz vom Leib

Von Katharina Aurich, Au

Jimmy stöhnt und grunzt unaufhörlich, an allen vier Fesseln ist der Alpakawallach auf einem Metalltisch befestigt, beruhigend spricht ein Helfer auf ihn ein und hält seinen mit einem Tuch umhüllten kleinen Kopf. Gleichmäßig fährt Heinz Kuhne-Pfaff mit dem Scherkopf über den Rücken und Bauch des Tieres und löst die dicke, begehrte Wolle von seinem Körper. Bereits seit 6 Uhr in der Früh ist er am vergangenen Samstag auf dem Hof von Rosa Westermair in Reichertshausen bei Au im Einsatz und befreit mit seinen Helfern 14 Tiere von ihrem dicken Winterpelz.

Rosa Westermair sah vor 17 Jahren zum ersten Mal ein Alpaka und habe sich sofort in diese Tiere verliebt, erinnert sie sich. Die langjährige, ehemalige Kreisbäuerin begann die Tiere mit den charakteristischen, lustigen Frisuren, die zu den Neuweltkamelen gehören und etwas kleiner als ihre Verwandten, die Lamas sind, zu züchten. Aus dem Winterpelz ihrer Alpakas lässt Westermair Wolle spinnen, aber auch Bettdecken herstellen, die im Sommer kühl bleiben und im Winter wärmen. Damit die Fasern möglichst lang bleiben und der Körper streifenfrei geschoren wird, braucht man Erfahrung und eine sichere Hand, denn die Länge der Fasern entscheidet beim Spinnen über die Qualität der begehrten Wolle.

Nur der Kopfschmuck bleibt den Alpakas erhalten. Der Rest der Wolle wird den Tieren ratzeputz vom Körper geschoren. Das jüngste Mitglied der Alpaka-Herde bei Reichertshausen hat erst am Donnerstag das Licht der Welt erblickt. (Foto: Marco Einfeldt)

Dafür ist Kuhne-Pfaff Experte, denn er züchtet seit 28 Jahren in der Nähe von Augsburg Alpakas. Anfangs habe er seine Tiere von einem Schafscherer schneiden lassen, erinnert er sich. Aber Schafe seien beim Scheren fast bewegungslos und fielen in eine Art Schockstarre, Alpakas dagegen zappelten, womit die Schafscherer nicht gut zu Recht gekommen seien. Deshalb habe er begonnen, sich zu informieren und schließlich seine Tiere selbst zu scheren. Er entwickelte dabei seine eigene Technik. Diese Fertigkeit ist offenbar gefragt, denn inzwischen hat Kuhne-Pfaff etwa 500 Tiere pro Saison unter seinem Schermessern und ist in ganz Bayern unterwegs. Vier bis sechs Kilogramm Rohwolle liefert ein Tier, nach einer halben Stunde ist aus einem flauschigen Alpaka ein nackter, dünner Vierbeiner geworden, der mit seinen großen Augen ängstlich die Umgebung mustert.

Aber sobald Wallach Jimmy wieder in den Stall zu seinen Genossen gebracht wird, ist für das ausgeprägte Herdentier die Welt wieder in Ordnung. Alpakas könnten nicht schwitzen, deshalb seien sie sicher froh, in der Wärme unseres Sommers vom dichten Fell befreit zu sein, sagt Westermair. In ihrer Heimat, den Anden, leben die etwa 70 Kilogramm schweren Tiere, deren am Widerrist gemessene Höhe maximal ein Meter beträgt, auf mehreren Tausend Meter Höhe. Dort werden sie nicht geschoren, aber ihr Fell gekämmt, um die Fasern zu gewinnen, erzählt die Bäuerin, die mit ihrem Mann nach Ecuador gereist war, um die Heimat ihrer Lieblinge kennenzulernen.

Viel Fingerspitzengefühl braucht es beim Scheren eines Alpakas, um die Wolle nicht zu verderben. Heinz Kuhne-Pfaff ist Experte. (Foto: Marco Einfeldt)

Auf ihrem Hof haben die freundlichen Tiere noch eine weitere Aufgabe: Außer als Faserlieferanten werden sie als Begleiter beim Wandern genutzt. Dies sei aber ein längerer Weg gewesen, erinnert sich Westermair. Ungefähr ein Jahr habe es gedauert, ihre ersten beiden Alpakas Max und Moritz, die sie damals gegen eine Muttersau samt Ferkel getauscht hatte, an Halfter und Leine zu gewöhnen. Denn sie plante, die Tiere für soziale Zwecke, als neues Standbein für ihren Hof zu nutzen.

Die Alpakas integrierten sich sofort in den Alltag auf dem Bauernhof, auf dem heute außer der 14-köpfigen Herde zwei Katzen leben. Die Alpakas seien anspruchslos, grasten auf den Wiesen und hielten vor allem das Gras unter den Haselnussbäumen in der zum Hof gehörenden Plantage kurz. Im Winter blieben sie im Stall und würden mit Heu gefüttert, berichtet Westermair.

Der Alpaka-Bestand ist rasch gewachsen. Fast ein ganzes Jahre tragen die Stuten, in der Herde in Reichertshausen lebt immer nur ein Deckhengst, der alle drei Jahre ausgetauscht wird, um Inzucht zu vermeiden.

Wie alle Kameliden spucken Alpakas, wenn sie sich ärgern, bei Rangkämpfen, Stress in der Herde haben oder sie sich bedroht fühlen. Dazu würgen sie aus ihrem Magen eine stinkende Flüssigkeit ins Maul und schleudern sie bis zu fünf Meter weit. So schützten sich trächtige Stuten gegen die Versuche des Hengstes, sie zu immer wieder zu bespringen, berichtet Westermair. Ihr großer Traum ist es, professionell und nicht nur bei privaten Anlässen mit ihren Alpakas mit Kindern oder Senioren zu arbeiten, gemeinsame Wanderungen zu unternehmen, denn die Tiere hätten eine beruhigende Wirkung auf Menschen, wie sie selbst immer wieder erlebe. Zum Beispiel für autistische Kinder sei der Umgang mit Alpakas ähnlich wie bei der Delfintherapie heilsam, beglückend und berühre alle Sinne, betont Westermair. Aber die bürokratischen Hürden zur Anerkennung als "Alpakatherapeutin" seien hoch.

© SZ vom 13.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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