Freising: Ärger am Gymnasium:Frust der Generation Q 11

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Zu viele Klausurtermine, zu wenig Freizeit: Der erste G8-Jahrgang an den Freisinger Gymnasien klagt über hohe Arbeitsbelastung. Die Schüler sehen sich als "Versuchskaninchen".

Sabina Dannoura

Mit dem auf acht Jahre verkürzten Weg zum Abitur verbinden Freisinger Gymnasiasten "Stress" und "zu hohe Belastungen". "Ich persönlich habe das Gefühl, Versuchskaninchen für die G8-Oberstufe zu sein", sagt Nathalie Edel, die Jahrgangsstufen-Sprecherin der Q11 am Camerloher-Gymnasium.

Die Schulbesten des Freisinger Dom-Gymnasiums aus dem Jahr 2010: Elisabeth Diepholder (links), Veronika Feicht (rechts), Felix Huber (links) und Philipp Metzner. Viele Schüler klagen über hohe Arbeitsbelastung durch die Einführung des achtjährigen Gymnasiums. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Kollegstufe ist durch eine Qualifikationsphase in der 11. und 12. Klasse abgelöst worden, in der die jungen Leute ein erhebliches Lernpensum zu leisten haben: im Schnitt 35 bis 36 Wochenstunden Unterricht, zusätzlich Hausaufgaben und Vorbereitung auf Prüfungen. Lehrer räumen "deutliche Anlaufschwierigkeiten" bei der Umsetzung der Reform ein, versichern aber: Mittlerweile habe sich die Aufregung gelegt.

Die vom damaligen Ministerpräsident Edmund Stoiber überstürzte Einführung des achtjährigen Gymnasiums läuft bis zum heutigen Tag als "work in progress". Wenn Klagen über den Stundenplan nicht abreißen oder sich Test-Abiturprüfungen als zu schwierig erweisen, versucht das Kultusministerium nachzujustieren. Auch die Lehrkräfte müssen sich auf das neue System erst einstellen "Es herrschte eine große Unsicherheit", bilanziert Nathalie Edel das erste Jahr der Q 11.

Anfangs hätten vor allem die Schulaufgaben-Termine einen großen Stress ausgelöst: "Über Wochen hinweg hatten wir zwei Klausuren pro Woche, das war der Wahnsinn", schildert die 17-Jährige. "Wir haben beim ersten Jahrgang sicher Fehler gemacht. Wenn etwas Neues eingeführt wird, knirscht es", meint dazu Peter Spanrad, Vize-Direktor am Camerloher-Gymnasium.

Als Hauptproblem habe sich das "subjektive und objektive Gefühl" der Überlastung der Schüler dargestellt. Am Camerloher hat man darauf regiert in Form einer Umfrage noch vor Weihnachten 2009 und die Ergebnisse gemeinsam erörtert. "Wir als Lehrer haben daraus Schlüsse gezogen", versichert Spanrad. So seien nach einem langen Schultag keine schriftlichen Hausaufgaben mehr in einem Fach gegeben worden, wenn dies am nächsten Tag wieder auf dem Stundenplan gestanden sei. Nathalie lobt außerdem die bessere Organisation der Klausur-Termine. "Im 2. Halbjahr hat sich das Chaos gelegt, auch weil wir alle mehr Routine bekommen haben", resümiert die Gymnasiastin.

Ähnliche Erfahrungen hat Semra Kizilkaya, Q 11-Sprecherin am Josef-Hofmiller-Gymnasium gemacht. "Wir wurden in dieses neue System reingeschmissen, ohne dass wir es durchblickt hätten", beklagt sie sich. Als "größtes Ärgernis" bezeichnet Semra die 40-Stunden-Woche plus Vorbereitungszeit. Dass außerdem in jedem Fach Klausuren geschrieben würden, vier pro Semester sogar in einem Fach wie Englisch Konversation, und so ziemlich jede Note fürs Abitur zähle, "hat uns hysterisch gemacht". Die Jahrgangsstufen-Sprecherin kritisiert außerdem, dass in Nebenfächern an Tagen mit Klausuren ausgefragt wurde: "Da fehlt das Verständnis der Lehrer."

Johann Kiefer, Kollegstufenbetreuer am JoHo, sieht in der Jugend der Schüler einen Knackpunkt: "Man merkt sehr deutlich, dass sie ein Jahr jünger, damit unsicherer, unreifer und weniger selbstbewusst sind." Einige hätten sehr schnell den Mut verloren - fünf der 79 Gymnasiasten am JoHo warfen im Lauf des Jahres das Handtuch. Kiefer ist jedoch der Meinung, dass sich die "deutlichen Anlaufschwierigkeiten" gelegt hätten. "Klar, die Q 11 ist für alle neu, auch für Lehrer. Im nächsten Jahr wird das sicher besser laufen."

Von einem "Lernprozess für Schüler und Lehrkräfte" spricht auch Manfred Röder, Direktor des Dom-Gymnasiums. Ihm seien von einigen Schülern persönlich Klagen über die Q 11 vorgetragen worden, vor allem über die Stundenzahl. "Da hatten manche Schüler ihr Programm zu stark hochgefahren", glaubt er. Im Lauf des Jahres habe sich aber ein "modus vivendi" gefunden. Es habe zwar keine Anordnung an die Kollegen gegeben, die schriftlichen Hausaufgaben zu reduzieren, "aber es wurde mehr Rücksicht auf die Schüler genommen", betont Röder.

Semra würde, wenn sie wählen könnte, das neunjährige Gymnasium bevorzugen, weil sie dann mehr Freizeit hätte. "Ganz viele meiner Mitschüler mussten ein Hobby aufgeben, ich zum Beispiel Tanzen", erzählt sie. Den ganzen Tag Schule, abends ein Berg von Arbeit - da bleibe für Freizeitaktivitäten kaum Zeit, bestätigt Nathalie. Zwischen Q 11 und K 12 gibt es außerdem "Eifersüchteleien", wie die beiden Jahrgangsstufen-Sprecherinnen berichten. Die Kollegiaten neideten es der Q 11, dass mündliche und schriftliche Noten gleich gewertet würden, anders herum rege sich die Q 11 darüber auf, dass die K 12 mehr Freizeit habe, früher Abi schreibe "und uns die Studienplätze wegnimmt".

Johann Kiefer kennt noch einen weiteren "Frust" für die Q 11-Generation: Ihr werde von den Gymnasiasten, die neun Jahre auf die Abschlussprüfungen vorbereitet wurden, vorgehalten, kein richtiges Abitur zu schreiben. So weit geht Kiefer zwar nicht, er teilt aber die Einschätzung, dass die Ansprüche stark zurückgeschraubt wurden. "Die werden ein relativ harmloses, einfaches Abi kriegen, man wir den ersten G 8-Jahrgang durchwinken", glaubt der Kollegstufenbetreuer am JoHo. Peter Spanrad vom Camerloher schätzt die Prüfungen in Deutsch und Mathe auf Grundkurs-Niveau ein: "Die Aufgaben sind machbar."

© SZ vom 09.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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