Blick in die Archive:Kuchen und Freibier gegen die Cholera

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Verdrecktes Trinkwasser aus der Moosach hat im 19. Jahrhundert die Verbreitung von Seuchen in Freising begünstigt, schwere Infektionskrankheiten haben immer wieder Tote gefordert. Die propagierten Rezepte dagegen waren nicht sehr hilfreich

Von Peter Becker, Freising

Die Corona-Pandemie hat den Landkreis Freising fest in ihrem Griff. Von Tag zu Tag steigt die Zahl der Infizierten. Manche sterben an der Krankheit. Die moderne Medizin hilft, die Auswirkungen der Pandemie in Grenzen zu halten. In früheren Zeiten war das nicht so. Die hygienischen Verhältnisse erlaubten es Krankheitserregern, sich ungehindert zu verbreiten. Die medizinische Versorgung war schlecht. Lange Zeit wussten selbst Ärzte nicht, was genau die Krankheiten ihrer Patienten verursacht hatte. Erst im späten 19. Jahrhundert entdeckten Louis Pasteur und Robert Koch, dass bestimmte Mikroorganismen Infektionskrankheiten auslösen und wie sie zu bekämpfen seien. Die SZ-Serie beschreibt, welche Krankheiten immer wieder im Landkreis grassierten. Der vierte und letzte Teil ist der Cholera und Spanischen Grippe gewidmet.

Die Festschrift, welche die Freisinger Stadtwerke im Jahr 2006 zum 100-jährigen Bestehen des Wasserturms veröffentlicht haben, gewährt einen tiefen Einblick, wie es gegen Ende des 19. Jahrhunderts um die Wasserversorgung in der Stadt stand. Diese habe ein drängendes Problem dargestellt, heißt es da. Die Freisinger versorgten sich zu dieser Zeit aus der Moosach mit Trinkwasser. Diese war mit Fäkalien und Schlachtabfällen verunreinigt. "Sie muss zum Himmel gestunken haben", heißt es in der Chronik.

Schutz erhofften sich die Gläubigen bei einem Bittamt am Marienplatz. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Folge der mangelnden Hygiene waren Seuchen: Cholera und Typhus machten sich in regelmäßigen Abständen in Freising breit. Das Freisinger Wochenblatt informierte 1854 in einem Beitrag darüber, dass der "Würgeengel Asiens", die Cholera, die Stadt fest in seinem Griff habe. Diese Infektionskrankheit war damals auch unter dem Begriff "Asiatische Brechruhr" bekannt. Aus Hallbergmoos und anderen Dörfern im Landkreis waren ebenfalls Fälle bekannt geworden. Die Stadt richtete von September bis Oktober eine Suppenanstalt ein, verteilte Socken und Binden. Der Armenpflegeschaftsrat wendete sich an die Öffentlichkeit mit der Bitte, die Leute sollten zur Unterstützung von Familien spenden.

Am 16. Oktober 1854 fand ein "Bittamt" der Bürgerschaft an der Mariensäule statt. Der Maler und Lithograf Peter Ellmer (1785-1873) hat diese Szene in einem Bild festgehalten. Es befindet sich im Stadtmuseum. Die Mariensäule ist mit Girlanden umwunden und mit Blumen geschmückt. Davor sind ein Altar und ein Kredenztisch mit den liturgischen Geräten aufgebaut. Der Priester spendet den Segen. Der ehemalige Kreisheimatpfleger Rudolf Goerge und der frühere Direktor des Diözesanmuseums Peter Steiner haben diese Szene in ihrem Buch "Der Landkreis Freising in historischen Ansichten" wiedergegeben, das sich im Bestand des Freisinger Stadtarchivs befindet.

Die Moosach, hier eine Impression aus der Fischergasse, hat Peter Thomas, besser bekannt als "Waisenhaus-Bäderl" zu einem neuen Buch inspiriert. (Foto: Marco Einfeldt)

Reinhard Weber listet in seinem Beitrag "Zum Medizinalwesen im Raum Freising im 19. Jahrhundert" in der Zeitschrift Amperland die vorherrschenden Krankheiten im damaligen Bezirk Freising auf. Von 1864 bis 1867 habe es eine Pockenepidemie gegeben. Er erwähnt auch die Choleraepidemie von 1854. 426 Erkrankte habe es in der Stadt gegeben, 114 Menschen seien gestorben. "In Neustift und Hallbergmoos starben von 221 Kranken 74 Personen."

Skurril mutet das Rezept des Freiherrn von Hallberg während der Choleraepidemie von 1831 an. Es erinnert an die Coronapartys der Gegenwart. Das sicherste Mittel, so zitiert ihn Rudolf Birkner in einem Beitrag der Zeitschrift Frigisinga von 1931, sei "allezeit lustig und fröhlich zu sein". Deshalb lud er seine Freunde aus München und Freising in den Gasthof "Zum Otto von Wittelsbach" in Hallbergmoos ein. Dort gab es "Berge von Kuchen", Tanzmusik und "köstliches Freisinger Freibier". 1873 suchte die Cholera Zolling besonders schlimm heim. Panik habe geherrscht, als ein junges Ehepaar gestorben sei, schreibt Birkner 1929. Es gab sieben Tote in dem Dorf. "Aber diejenigen, die nach den ersten Anzeichen viel schwitzten und scharfen Branntwein tranken, wurden gerettet." Besser als Schnaps hat in jedem Fall der Bau einer Wasserversorgung und Kanalisation, wie sie in Freising von 1886 an Bürgermeister Martin Mauermayr vorantrieb, dafür gesorgt, dass die Cholera aus Freising verschwand.

Ihrem auf dem "Feld der Ehre" gefallenen Bruder sei eine junge Frau nach nur achttägiger Krankheit ins Jenseits gefolgt. Eine 19-Jährige aus Untermarchenbach starb nach kurzer schwerer Krankheit. Ein Tagelöhner ist nach achttägigem Krankenlager gestorben. Solche Todesanzeigen gab es in den Ausgaben des Freisinger Tagblatts aus den Jahren 1918/19 zuhauf. Die Spanische Grippe hatte die Stadt Freising erreicht. Manfred Vasold beschreibt sie 2006 in einem Beitrag des Historischen Lexikons als "die verheerendste Seuche des 20. Jahrhunderts". In Bayern habe sie ihren Höhepunkt im Oktober und November 1918 erreicht, kurz vor dem militärischen Zusammenbruch und den Revolutionen.

Vasold schreibt, dass ihr weltweit 20 bis 50 Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren - mehr als im zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieg. Die Wirren der Zeit und die scharfe Zensur der Krieg führenden Staaten hatten laut Vasold dafür gesorgt, dass der Pandemie nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden war. Wie viele Menschen ihr letztlich in Freising und im Landkreis erlagen, ist nicht klar.

Eingeschleppt wurde die "Spanische Grippe" von US-Soldaten. Nachdem die Vereinigten Staaten 1917 in den Weltkrieg eingetreten waren, kämpften sie auf europäischem Boden und verbreiteten das Virus. Das "Statistische Jahrbuch für den Freistaat Bayern" für das Jahr 1918 hatte laut Vasold 20 321 Zivilisten unter der Todesursache "Grippe" registriert. Insgesamt, schätzt Vasold habe die Epidemie in Bayern mehr als 30 000 Menschen das Leben gekostet.

© SZ vom 09.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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