Bauarbeiten am Bahngleis:Nachts, wenn die Hupe tönt

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Mit einem durchdringenden Signal werden auf der S-1-Strecke Arbeiter vor herannahenden Zügen gewarnt, die Baumaterial transportieren. Die Bahn will so Gleisunfälle vermeiden, die Anwohner sind genervt.

Von Thilo Schröder, Freising

Ein durchdringendes Signal erfüllt die Straßen neben den Gleisen. Kurze Zeit später fährt ein Zug durch, beladen mit Baumaterial. Seit Ende Juli laufen an der S-1-Bahnstrecke zwischen Feldmoching und Neufahrn die Bauarbeiten. Anwohner im Landkreis Freising beklagen sich über die Warnsignale, die jedes Mal ertönen, wenn ein Zug vorbeifährt - rund um die Uhr. Doch das sei notwendig, um Gleisunfälle zu vermeiden, sagt ein Bahn-Sprecher, und komme Anwohnern wie Pendlern zugute, die sonst womöglich Jahre auf das Ende der Bauarbeiten warten müssten.

Elias Lambers wohnt mit seiner Frau im Seilerbrückl-Viertel in Freising und bereitet sich auf sein Staatsexamen auf Lehramt vor. Keine 20 Meter neben seiner Wohnung, nur durch eine Baumreihe abgetrennt, verlaufen die Bahngleise. Dass die Warnsignale für die Sicherheit der Bauarbeiter am Gleis notwendig sind, dessen sei er sich bewusst. "Das Problem ist allerdings, dass das Warnsystem die Ruhezeiten nicht einhält, was sich negativ auf den Schlafrhythmus auswirkt", sagt Lambers.

Gerade in der Prüfungszeit sei ihm ausreichend Schlaf aber besonders wichtig. "Ich bin aufgrund des Warnsystems um 5.42 Uhr aufgewacht und innerhalb der ersten Stunde war die Hupe zwölf Mal zu hören. Diese Woche habe ich die letzte Hupe gegen 23.45 Uhr gehört", schildert Lambers. "Wir müssen Tag und Nacht bauen, um die Sperrpause so gering wie möglich zu halten", erklärt ein Bahn-Sprecher und zieht einen Vergleich: Würde nur tagsüber gearbeitet, betrüge die Bauzeit acht Monate statt der geplanten etwa sechs Wochen. Baue man nur am Wochenende, würde das zwei Jahre dauern.

"Jedes Mal, wenn man Leute zu Besuch hat, erschrecken sie sich aufgrund der Hupe, die wirklich sehr laut in unserer ganzen Wohnung zu hören ist", fährt Lambers fort. "Da es die vergangenen Wochen so heiß war, bleibt die Option, die Fenster zuzulassen, nicht wirklich. Man schreckt jedes Mal hoch. Deswegen bin ich auf Ohropax zum Schlafen umgestiegen."

Man nutze die Gleise für die Baulogistik, rechtfertigt der Bahn-Sprecher das Vorgehen, denn: "Die Alternative wären Tausende von Lastwagen-Fahrten durch die Ortslagen der betroffenen Kommunen." Anwohner seien daher über die bevorstehenden Unannehmlichkeiten informiert und aufgeklärt worden: "Bei den Arbeiten im Gleisbereich hat verständlicherweise die Sicherheit der Mitarbeiter die höchste Priorität. Die Arbeiter werden durch akustische Signale - in diesem Fall durch das gesetzlich vorgeschriebene Automatische Warnsystem - vor herannahenden Zügen gewarnt. Diese Warnsignale müssen gut wahrnehmbar sein, deshalb liegt ihr Schallpegel über dem der eingesetzten Baumaschinen (bis zu 120 Dezibel)."

Auf Facebook schildern Nutzer ihre Erfahrungen mit dem Hupen-Warnsystem. Jenny Alexandra schreibt: "Wir wohnen direkt an den Gleisen. Und ich könnte teilweise echt kotzen, besonders über das Schreiben, was wir bei Beginn im Briefkasten hatten. Was bringt mir denen ihre vorgedruckte Entschuldigung, wenn ich, wie letzte Woche, bei einer 33 Grad heißen Wohnung die Fenster schließen muss, weil es so extrem laut war, dass man nicht mal mehr den Fernseher verstanden hat?"

"Wohne in der Liebigstraße. Wenn man bei den hohen Temperaturen mit offenem Fenster schlafen will, macht man sie freiwillig um sechs Uhr zu, da der Lärm einem sonst bereits morgens die Laune verdirbt und Kopfschmerzen bereitet", schreibt Nutzerin Corinna Schuler. "Ich höre es bis rauf nach Nord beim Wasserturm ...", so Nutzer Alexander Götz. "Endlich mal wieder was los in Pulling", kommentiert Andy Haas ironisch.

"Wird sicher einen Sinn machen, auch wenn's nervt. Und klar geht da Sicherheit vor. Allerdings wird Pendlern und Anwohnern in der Zeit einiges zugemutet. Ich durfte mir jetzt schon zwei Wochen den SEV geben und jetzt noch täglich geweckt zu werden (trotz der Entfernung), ist eine Zumutung. Und dann erst noch so nah dran", kommentiert Nutzerin Melanie Sturm. Die Freisinger Grünen-Stadträtin Susanne Günther teilt mit: "Wir hören das Gehupe bis in die Innenstadt. Mag nicht wissen, wie heftig das an der Bahnstrecke selbst ist ... Aber besser, als wenn was passiert, das muss man ja auch mal sagen."

Das Warnsystem ist nicht der einzige Störfaktor für die Anwohner. Ein Problem seien vor allem die teilweise zeitlich kurz aufeinanderfolgenden Schläge auf Stahlträger, das nächtliche Flexen, und nicht zuletzt die ewig an der gleichen Stelle stehenden, aber trotzdem durchgehend laut tönenden Lokomotiven, schreibt der Pullinger und Gleis-Anwohner Kevin Neuwirth. "Gerade problematisch, wenn man im Dachgeschoss wohnt und wegen der Hitze nachts alle Fenster weit aufreißen muss, weil die den Lärmschutzvorgaben entsprechend dick gedämmten Wände inklusive Dach aktiv gegenheizen."

Doch nicht jeder scheint durch das Warnsystem gestört zu werden. "Ich höre es kaum und wohne 500 Meter vom Bahnhof weg", teilt Günter Steiner via Facebook mit. "Ich wohne auch direkt am Bahnhof, ich hab aber nix gehört", pflichtet ihm Nutzer Dominik Roithmaier bei.

Die Bahn ist sich über die Lärmbelästigung durchaus im Klaren: "Wir wussten das im Vorfeld", sagt deren Sprecher. Aber: "Da kommen wir nicht drum herum." Das vor rund 20 Jahren eingeführte Automatische Warnsystem zeige außerdem Wirkung: Laut dem Sprecher ist die Zahl der Unfälle bei Gleisarbeiten seitdem "spürbar zurückgegangen".

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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