Aus dem Amtsgericht:Notlage schamlos ausgenutzt

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Dreist hat ein Mann die Notlage eines zweijährigen Kindes und seiner Großeltern ausgenutzt. Das Mädchen hatte sich versehentlich in der Toilette eingesperrt.

Peter Becker

Dreist hat ein Mann die Notlage eines zweijährigen Kindes und seiner Großeltern ausgenutzt. Das Mädchen hatte sich versehentlich in der Toilette eingesperrt. Ein alarmierter Schlüsseldienst versprach telefonisch, das Kind für 100Euro aus seiner misslichen Lage zu befreien. Am Ort des Geschehens in Freising wurde der 47-Jährige aber erst dann tätig, als er von den Großeltern 337 Euro erhalten hatte. Das brachte ihm eine Anzeige wegen Wucher und Erpressung ein. Wegen des letzteren Delikts verurteilt ihn Richter Jakob Wanderer zu einer Geldstrafe von1250Euro.

Dem Großvater des Mädchens musste die Szene abstrus vorgekommen sein. Da kam der zu Hilfe gerufene Schlüsseldienst ins Haus, die Enkelin befand sich schon seit über eine Stunde in dem kleinen Raum. Anstatt das Schloss sofort zu öffnen, um das Kind aus seiner misslichen Lage zu befreien, zog der Schlüsselmann aber erst einmal eine Rechenmaschine hervor und begann zu tippen. Am Ende seiner Berechnungen verlangte er von den Großeltern sofort 337Euro. Wenn wir die nicht im Haus hätten, müssten wir sie eben bei den Nachbarn auftreiben, habe der Mann gesagt, berichtete der Großvater vor Gericht. "Kaum hatten wir bezahlt, "dauerte es fünf Sekunden, dann war der Fall erledigt."

Die Großeltern und der Vater des Mädchens ärgerten sich zunächst über die hohe Summe. Sie erstatteten aber erst nach ein paar Tagen Anzeige, als sie erfahren hatten, dass gegen den so genannten "Schlüsselmann" schon einige Anzeigen erstattet worden waren. 100Euro sei der vereinbarte Preis gewesen sei, sagte der Vater. "Von Zuschlägen war keine Rede", beteuert er vor Gericht. "Er hat ja so schnell aufgelegt, dass ich ihn darüber gar nicht aufklären konnte", verteidigt sich der Beschuldigte. Vor der Toilettentür im Haus der Großeltern habe er erst einmal die doppelte Arbeitspauschale berechnet, weil sich das Malheur an einem Sonntag zugetragen habe. Dazu addierte er die Kosten für seine An- und Abfahrt. Hinzu kam noch eine Werkzeugpauschale. "Wegen der Abnützung", erklärte der Angeklagte. Es verwende nämlich Spezialgeräte, die er zum Teil selbst herstelle.

Wie das Geschehen nun zu werten ist, darüber gehen die Meinungen des Sachverständigen Josef Weindl von der Metallinnung, Verteidiger Patrick Schladt und dem Staatsanwalt auseinander. Weindl ist der Auffassung, dass der Preis den der Schlüsseldienst zugrunde gelegt hat, überzogen ist. "Am fairsten ist es, einen Stundenlohn zu berechnen", stellt er fest. Es gebe aber auch viele Schlüsseldienste, die Pauschalen verlangten. Die Preise, auf die sich der Sachverständige bezog, hat die Bundesfachgruppe für Schließ- und Sicherungstechnik festgelegt, die aus Handwerkern besteht.

Deren Kalkulation wiederum bezeichnet Verteidiger Schladt als "markttheoretisch", aber nicht "marktpraktisch". Ganz im Gegensatz zum Verband der Schlüsseldienste. Den und dessen Preisgestaltung hält der Staatsanwalt für "einen Verein von Leuten, die sich zusammengeschlossen haben, um die Preise hochzutreiben".

Richter Wanderer ließ schließlich den Vorwurf des Wuchers fallen, sah aber den Tatbestand der Erpressung gegeben. Bei dem Telefonat sei ein mündlicher Vertrag zustande gekommen. Der Angeklagte habe sich bereit erklärt, die Tür für 100Euro zu öffnen. Von Zuschlägen sei nicht die Rede gewesen. Sonst hätte sich der Vater des Mädchens wohl einen günstigeren Schlüsseldienst gesucht. Aus den Unterlagen früherer Anzeigen in ähnlichen Fällen gehe hervor, dass der 47-Jährige stets Sonntags-, Anreise- und Werkzeugpauschalen verlangt habe. "Die 237Euro haben Sie erpresst", sagt Richter Wanderer zum Angeklagten. Er habe sich die Notlage der Großeltern und des Mädchens zunutze gemacht.

© SZ vom 23.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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