Archivstück des Monats:Ein Wahrzeichen Freisings muss weichen

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Der historisierende Bau des Lerchenfelder Brücktores sollte ursprünglich den Bau einer Stromleitung von Moosburg nach München ermöglichen, ohne den Panoramablick auf den Domberg zu stören. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1920. (Foto: Stadtarchiv)

Erst 1912 gebaut, wurde das Lerchenfelder Brücktor im November 1948 gesprengt. Es stand einer Verbreiterung der Straße über die Isar im Weg.

Von Florian Notter, Freising

Auf dem südlichen Brückenkopf der Freisinger Isarbrücke stand einst ein massiver Torbau. Anders als es die unzähligen Foto- und Postkartenmotive, die es von diesem Tor gibt, glauben machen, existierte es tatsächlich nur wenige Jahrzehnte - genau genommen 36 Jahre, von 1912 bis 1948. Das Tor darf man daher wohl als eines der kurzlebigsten Bauwerke der Freisinger Stadtgeschichte bezeichnen.

Das Lerchenfelder Brücktor soll einen Tragmasten für eine Hochspannungsleitung kaschieren

Als das Brücktor 1912 im Auftrag des königlich-bayerischen Straßen- und Flussbauamtes München errichtet wurde, ging es nicht eigentlich darum, an dieser Stelle ein Tor zu bauen. Das tatsächliche Motiv war ein anderes und deutlich moderneres: Eine Hochspannungsleitung, die vom Elektrizitätswerk Moosburg in Richtung München geführt wurde, benötigte in diesem Bereich einen neuen und stabilen Tragmasten. Das erst 1907 zu diesem Zweck bei der Brücke aufgestellte Leitungsgerüst musste aufgrund der umfassenden Hochwasserschutzbauten und der südseitigen Erweiterung der Isarbrücke um zwei Flutbögen (1910 bis 1912) aufgegeben werden. Mit der Brückenerweiterung sah man die Chance, eine geeignete Lösung für den notwendigen Tragmasten zu finden - in Form eines historisch anmutenden Torbogens.

Es entsprach durchaus jener Zeit, das Erscheinungsbild eines rein funktionalen Bauwerks zu kaschieren und architektonisch zu überformen - insbesondere dann, wenn man dem Gebäude oder seiner städtebaulichen Umgebung eine herausgehobene Bedeutung zumaß. Bei der Erweiterung der 1893/94 errichteten Freisinger Isarbrücke spielte dieser Umstand eine Rolle. Auch wenn es sich hier um eine staatliche Baumaßnahme handelte, so dürfte die Stadtpolitik um Bürgermeister Stephan Bierner (im Amt 1899-1933) Einfluss darauf genommen haben. Es lag damals sicher in ihrem Interesse, für den Bereich der Isarbrücke mit dem Panoramablick auf den Domberg eine andere Lösung zu finden, als dort einen hohen Eisentragmasten aufzustellen. Das Brücktor mit seiner historisierenden Formensprache ist als zeittypischer Lösungsansatz für dieses ästhetische Problem zu werten.

Im Lerchenfelder Brückentor ist einst der Strom vom Eittinger Kraftwerk angekommen. Im Torbogen erfolgte die Umspannung. Ein Erdkabel führte von dort aus zum alten E-Werk an der Fabrikstraße. (Foto: Stadtarchiv)

Wer sich also von 1912 an von Lerchenfeld her über die Isarbrücke in die Innenstadt aufmachte, der musste dieses große Tor passieren. Das an der südlichen Torseite angebrachte Freisinger Stadtwappen suggerierte, dass die Stadt erst hier begann und Lerchenfeld nicht so recht zu ihr gehörte. Im Lauf der Zeit, wohl während der 1920er Jahre, verlor das Brücktor seine eigentliche Funktion als Tragkonstruktion für die Hochspannungsleitung. Sämtliche Isolatoren und Kabel, die im oberen Bereich des Tores befestigt waren, wurden entfernt. Zuletzt war es nur mehr ein architektonisches Ornament der Isarbrücke.

Die kritischen letzten Kriegswochen, den Fliegerangriff am 18. April und die Teilsprengung der Isarbrücke am 29. April 1945, hatte das Brücktor unbeschadet überstanden. Der Wiederaufbau und die verkehrsmäßige Ertüchtigung der Brücke in den Jahren 1946 bis 1948 bereiteten dem Tor aber das Ende. Zwar hatte der Verwaltungsausschuss des Freisinger Stadtrates in seiner Sitzung vom 14. Juni 1948 dem Tor durchaus die Eigenschaft eines "Wahrzeichens" zuerkannt; die Verbreiterung der Fahrbahn hätte jedoch für die beidseitigen Gehwege Durchbrüche durch die Torpfeiler zur Folge gehabt. Den dafür erforderlichen Kostenaufwand wollte seinerzeit niemand tragen - schon gar nicht der bayerische Staat, der 1937 zwar die Baulast an der Brücke auf die Stadt abwälzen konnte, nicht aber für das Brücktor. Es befand sich nach wie vor in seinem Besitz.

Am Sonntag, 21. November 1948, morgens um 8.15 Uhr, konnte man in Freising einen dumpfen Knall wahrnehmen: Das Brücktor wurde gesprengt und fiel in sich zusammen.

Quellen: StadtAFS, AA II, Nr. 3370 (mit Plänen) u. 5722; ebd., B II, Protokoll des Stadtrats-Verwaltungsausschusses 1948, Nr. 206 (14.06.) u. Nr. 386 (13.09.); ebd., Druckschriftensammlung, Verwaltungsbericht der Stadt für 1911/12; ebd., Zeitungssammlung, Freisinger Tagblatt, 07.05.1907, u. Isar-Post/Neues Freisinger Tagblatt, 21.10., 18.11., 23.11.1948, u. Freisinger Zeitung, 24.11.1948.

Literatur : Gruber, Hans: Felder, Lerchen und unsere Stadt. Die ungewöhnliche Geschichte von Lerchenfeld, Freisings größtem Stadtteil, v.a. S. 107-111 u. 176; Notter, Florian: Freising in der Frühzeit der Fotografie. 60 Aufnahmen aus den Jahren 1860 bis 1900 (Kataloge des Stadtarchivs Freising 1), München 2015, S. 154-155.

Der Autor ist Leiter des Freisinger Stadtarchivs

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