Ansichtssache:Der gläserne Abgeordnete

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Geht abgeordnetenwatch.de lieber aus dem Weg: CSU-Mitglied Erich Irlstorfer (Foto: Marco Einfeldt)

Die Bundestagskandidaten finden Internet-Plattformen wie abgeordnetenwatch.de sinnvolll. Bürger erfahren etwas über ihre Aktivitäten und können Fragen stellen. Mancher Politiker antwortet gerne, andere gar nicht.

Von Benjamin Reibert, Freising

Zur deutschen Bundestagswahl in acht Tagen sind Plattformen, welche die Arbeit der Parlamentarier dokumentieren, besonders gefragt. Die Fragen aller Fragen für die Landkreise Freising und Erding-Ebersberg lauten: Was haben die Abgeordneten Erich Irlstorfer (CSU) und Ewald Schurer (SPD) in den vergangenen vier Jahren gemacht - und was halten sie von Plattformen, die Parlamente und Abgeordnete transparenter machen wollen?

Heutzutage ist es recht simpel herauszufinden, was Irlstorfer und Schurer in der ablaufenden Legislaturperiode getan haben. Dafür gibt es das Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentarische Vorgänge (DIP) und die unabhängige Internetplattform "abgeordnetenwatch.de". Erstgenanntes wertet die öffentlich zugänglichen Materialien des Deutschen Bundestages und des Bundesrates (Plenardebatten, Gesetzesentwürfe, Anträge, Anfragen, Berichte) nach formalen und inhaltlichen Kriterien aus. Dadurch ist es möglich, sich die Redebeiträge zu bestimmten Tagesordnungspunkten durchzulesen und so das parlamentarische Wirken eines einzelnen Abgeordneten nachzuvollziehen.

Über Erich Irlstorfer erfährt man, dass er nicht nur als CSU-Abgeordneter im Deutschen Bundestag sitzt, sondern auch ordentliches Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und stellvertretendes Mitglied im Unterausschuss "Bürgerschaftliches Engagement" sowie im Sportausschuss ist. Neben seiner Tätigkeit als Parlamentarier ist Irlstorfer Mitglied im Aufsichtsrat des Klinikums Freising. Seit der konstituierenden Sitzung am 22. Oktober 2013 stimmte der CSU-Abgeordnete 177 mal ab - 114 mal mit Ja, 63 mal mit Nein. Bei 34 Anträgen stimmte er nicht ab. Zuletzt mit Nein beim Entwurf des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts.

Mehr Transparenz schaffen

Schurer ist neben seinem Bundestagmandat für die SPD noch Obmann und ordentliches Mitglied im Unterausschuss zu Fragen der Europäischen Union und sitzt im Haushaltsauschuss. Er ist zusätzlich noch stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Darüber hinaus verdient Schurer Geld als Unternehmensberater in Ebersberg. Der Parlamentarier war von 211 Abstimmungen 204 mal anwesend. 113 mal stimmte er mit Ja, 75 mal mit Nein. 16 mal enthielt er sich. Nur sieben Abstimmungen blieb er fern.

Die Plattform "abgeordnetenwatch.de" hat es sich zur Aufgabe gemacht, mehr Transparenz zu schaffen. Die Gründer ermöglichen mit ihrem Angebot, Abgeordnete verschiedener Parlamente öffentlich zu befragen. Neben Fragen von Bürgern sind berufliche Qualifikation, Mitgliedschaft in Ausschüssen, anzeigepflichtige Nebentätigkeiten sowie das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten bei wichtigen Parlamentsentscheidungen öffentlich einsehbar. Einige der Bundestagsabgeordneten verschiedener Parteien boykottieren die Website. Als Gründe werden oft der Missbrauch durch Lobbygruppen, Anonymität der Fragesteller und die Rolle der Plattform als Vermittler zwischen Bürgern und Politik genannt.

"Ich halte nicht mehr oder weniger von "abgeordnetenwatch.de" als vor vier Jahren", sagt Irlstorfer, der seit der Bundestagswahl 2013 34 Fragen auf der Plattform bislang unbeantwortet ließ. Jeder habe die Möglichkeit, mit ihm ins Gespräch zu kommen - sei es per Telefon, Email oder im persönlichen Gespräch, ergänzt der CSU-Kandidat des Landkreises Freising. Eine generelle Kritik an der Internetplattform habe er nicht, aber "ich lasse es mir als Abgeordneter nicht aufzwingen, dort aktiv zu sein". Dass "abgeordnetenwatch.de" Parlamente und Abgeordnete stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken will, finde er voll in Ordnung - mitmachen wolle er aber dennoch nicht.

Das Problem der Trolle

Andreas Mehlretter, SPD-Kandidat im Landkreis Freising, findet Irlstorfers Verhalten schwach: "Die Plattform ist ein sehr gutes Angebot, um Fragen zu stellen - nicht nur an Abgeordnete sondern auch an Kandidaten." Ihn würden viele Emails erreichen, die nicht öffentlich zu sehen seien: "Wenn also jemand eine gleiche Frage hat, kann er auf "abgeordnetenwatch.de" nachschauen und meine Antwort dazu finden." Bislang wurden Mehlretter drei Fragen über die Website gestellt, beantwortet hat er alle. Die Betreiber würden ihre Sache gut machen, aber einen Verbesserungsvorschlag hätte er: "Man sollte einen wirklich institutionellen Anbieter für eine solche Plattform haben, keinen kommerziellen Betreiber."

Guido Hoyer (Die Linke) merkt hingegen an, dass es immer Menschen geben werde, die digital nicht eingebunden seien - etwa aus finanziellen Gründen. "abgeordnetenwatch".de sei eine gute Form der Kommunikation zwischen Bürgern und Abgeordneten, "wobei eine direkte Kommunikation der Fragesteller mit den Gefragten noch besser wäre", so Hoyer. Nicht zu unterschätzen sei allerdings in Wahlkampfzeiten das Problem der Trolle.

"Ich schätze die Seite vor allem für ihren ausdauernden - und auch gerichtlichen - Kampf um mehr Transparenz bei den Nebeneinkünften von Abgeordneten", erklärt Reinhold Reck, Kandidat der ÖDP. Es sei ein berechtigtes Anliegen, dass die Arbeit und vor allem das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten transparenter werde, so Reck, der bislang neun Fragen über die Plattform erhielt und beantwortete.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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