Agenda-21-Gruppen:Kleine Schritte in die richtige Richtung

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Bei einem Stadtrundgang im Januar 2023 mit Menschen mit Beeinträchtigung machte Kerstin Schulz (vorne), die Sprecherin der Agenda-Gruppe "Menschen mit Behinderung", auf die zu hohen Kanten im Leitsystem aufmerksam. (Foto: Marco Einfeldt)

Die barrierefreie Stadt ist das ambitionierte Ziel der Agenda-Gruppe "Menschen mit Behinderung", denn nur so ist Teilhabe möglich. Der Weg dorthin aber ist lang und mühsam.

Von Gudrun Regelein, Freising

Die Agenda 21 wurde 1992 bei der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro verabschiedet. Sie ist ein entwicklungs- und umweltpolitisches Aktionsprogramm mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit für das 21. Jahrhundert. In Freising fiel der Stadtratsbeschluss, auf lokaler Ebene die Agenda 21 umzusetzen, im Juli 1997 einstimmig. Danach gründeten sich schrittweise verschiedene Agenda-Gruppen - mittlerweile sind es neun. Die SZ Freising stellt diese in einer losen Serie vor. Heute: die Agenda-21-Gruppe "Menschen mit Behinderung".

Kerstin Schulz sitzt im Rollstuhl, seit etwa fünf Jahren ist sie bei der Agenda-Gruppe dabei, seit 2022 ist sie die Sprecherin. Dort engagieren sich neben Menschen mit Beeinträchtigung, deren Angehörige, die Lebenshilfe, die Freisinger Elterninitiative für Inklusion "Fini" und engagierte Bürgerinnen und Bürger. Insgesamt zählt die Gruppe etwa 20 Mitglieder, acht seien regelmäßig bei den Treffen dabei, bei denen Anliegen und Nöte besprochen werden, schildert Schulz. Danach werden bei der Stadt Anträge auf Anpassung oder Veränderungen gestellt. "Baustellen gibt es in Freising noch viele."

Die gängige Meinung sei, dass Barrierefreiheit viel Geld für eine nur geringe Zahl von Menschen koste. "Barrierefreiheit ist aber nicht nur für uns Rollstuhlfahrer und andere Menschen mit Behinderung da, sondern für alle", betont Schulz. Für Senioren, die nicht mehr so gut laufen können, für Menschen, die auf einen Rollator angewiesen sind oder für Eltern mit Kinderwagen. Die barrierefreie Stadt ist das ambitionierte Ziel der Agenda-Gruppe - nur so sei Teilhabe möglich, gerade auch für Menschen mit Beeinträchtigung. Diese hätten mit vielen verschiedenen Problemen zu kämpfen, oft aber nicht die Kraft, laut in Erscheinung zu treten und etwas einzufordern, sagt Schulz.

Es werden mehr behindertengerechte Parkplätze in der Innenstadt geschaffen

"Wir rennen zwar keine offenen Türen ein, einiges konnten wir aber dennoch bereits bewegen." In der Innenstadt gebe es beispielsweise noch immer viel zu wenige Parkplätze für mobilitätseingeschränkte Menschen. Die wenigen auf dem Marienplatz hinter dem Rathaus seien nicht ausreichend. Nun werden auf Initiative der Gruppe auf dem Parkplatz am Rindermarkt weitere geschaffen. Auch die Schaltzeiten der Ampeln wurden auf Wunsch der Agenda-Gruppe verlängert und mit einem akustischen Signal nachgerüstet. "Es war auch unsere Anregung, die Wege im Bereich des Marienplatzes durch Verlegung von Bodenplatten für Rollstuhlfahrer durchgängig zu machen", berichtet Schulz. Genauso gebe es mittlerweile Säulen mit einer Blindenmarkierung, mithilfe einer App kann man sich dort Infos vorlesen lassen.

"Wir haben auch darauf hingewiesen, dass die Kanten des innerstädtischen Blindenleitsystems nachgebessert werden müssen", sagt Schulz. Passiert ist bislang aber nichts. Für Sehbehinderte, die einen Langstock benutzen, funktioniere das Leitsystem zwar, das in die Entwässerungsrinne integriert ist, dafür stolperten aber Passanten immer wieder über die hohen Kanten. Insgesamt sei die Umsetzung nicht optimal gelaufen, kritisiert Schulz. Das eigentliche Ziel der Stadt, bei der Innenstadt-Neugestaltung eine Barrierefreiheit zu schaffen, wurde zumindest nicht erreicht.

Das Blindenleitsystem ist ein Provisorium

Das Blindenleitsystem beispielsweise sei noch immer nicht farblich gekennzeichnet. Zudem werde die Leitkante und der dazugehörende Korridor immer wieder zugestellt: mit Fahrrädern, Werbeaufstellern oder auch mit Tischen und Stühlen von Cafés oder Gasthäusern, was einen Hürdenlauf bedeutet. Sogar die Stadt selbst habe kürzlich auf der Rinne ein Verkehrsschild aufgestellt. "Das ist super ärgerlich", sagt Schulz. Das Leitsystem sei trotz Nachbesserung ein Provisorium.

Bei einem Aktionstag im vergangenen September machte die Agenda-Gruppe darauf aufmerksam: Interessierte Passanten konnten sich mit Langstock und abgedunkelten Augen auf einen Probelauf entlang der Leitlinien begeben. "Es sollte ein Versuch sein, das Verständnis für die Situation blinder Menschen in Freising zu verstärken, selber zu erleben, was es bedeutet mit dem Stock auf einmal auf ein Hindernis wie eine Mülltonne oder ein abgestelltes Fahrrad zu treffen", erzählt Schulz. Außerdem steckte man Postkarten unter die Scheibenwischer der auf dem Leitsystem parkenden Autos, um auf das Problem hinzuweisen.

Keine Behindertentoilette in der Luitpoldanlage

"Es ist wichtig, Verständnis für uns Menschen mit Beeinträchtigung zu wecken", sagt Schulz. Eine Mutter wisse vielleicht, wie schwierig es ist, einen Kinderwagen über Kopfsteinpflaster zu schieben, was mit einem Rollstuhl ähnlich sei. Jemand, der das aber nie versucht hat, wisse es nicht. Manches werde von der Stadt zwar sehr zeitnah nachgebessert, anderes - Dinge, die Geld kosten - dauerten dagegen länger. "Länger als wir uns wünschen würden." Eine Behindertentoilette in der Luitpoldanlage gebe es beispielsweise noch immer nicht.

"Es ist ein sehr mühsamer Prozess, aber wir bleiben dran", sagt Schulz. "Zumindest machen wir Babyschritte in die richtige Richtung." Zukünftig wolle man mit der Agenda-Gruppe "Bauen, Wohnen und Verkehr" enger zusammenarbeiten, vielleicht werde dann manches schneller realisiert. "Zumindest habe ich diese Hoffnung."

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